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Von Deutz nach RodenkirchenViele Kölner leiden unter Mangel an Schulplätzen

Lesezeit 4 Minuten

Erkan Önel bringt nach der Ford-Nachtschicht seinen Sohn Arda zur Schule.

Köln – Da haben sich die Mitarbeiter des Amtes für Schulentwicklung richtig Mühe gegeben: Ausführlich wird dem Familienvater Erkan Önel in einem zweiseitigen Brief erklärt, wie man einen Drei-Schicht-Betrieb bei Ford mit dem Transport seines elfjährigen Sohns von Deutz in die Gesamtschule Rodenkirchen und zurück organisieren kann.

Auf die Minute genau wird die Fahrtzeit mit dem Auto berechnet und dann zur Duschzeit nach Önels Frühschicht addiert. Ihm wird mitgeteilt, wann und wie er „in der Lage“ ist, seinen Sohn Arda zu fahren. Und wenn es zeitlich nicht klappt, solle der Junge doch alleine mit der Bahn zur Schule fahren.

Der Kölner Arda braucht Hilfe und Begleitung

Arda ist elf Jahre alt, ihm wurde ein sonderpädagogischer Förderbedarf attestiert, er braucht Hilfe und Begleitung. Bei der Schulwahl nach der vierten Klasse wurde der Familie der Wunsch nach einem Gesamtschulplatz in der Innenstadt verwehrt. Die Realschule in direkter Nachbarschaft nahm ihn nicht auf. 13 Plätze für Förderkinder waren zu vergeben, 16 hatten sich angemeldet.

Die Stadt schickte Arda auf die Gesamtschule nach Rodenkirchen. Wie er dahin kommen soll, spielte keine Rolle. Der Antrag auf Schülertransport zumindest für das erste Jahr in der neuen Schule wurde abgelehnt. Eine Stunde Bahnfahrt und Fußweg seien zumutbar, sagt die Stadt und beruft sich auf gesetzliche Regeln des Landes. Die gelten auch für behinderte Kinder.

Ausnahmezustand für die Familie aus Deutz

Seit dem ist die fünfköpfige Familie im Ausnahmezustand. Jeden Tag muss die Fahrt von Deutz nach Rodenkirchen organisiert werden. Der Vater übernimmt alle Fahrten mit dem Auto, die ihm Früh-, Spät- und Nachtschicht ermöglichen. An den anderen Tagen fährt die Mutter mit Arda Bahn – eine Stunde hin, eine Stunde zurück. Sie hat einen Mini-Job in einer Schulküche.

Alle kommen seit Ardas Wechsel auf die weiterführende Schule zu kurz: Ardas zwei kleinere Geschwister und die ganze Familie leidet unter der Situation. Nachbarn helfen. Erkan Önel berichtet von zwei Arbeitsunfällen. Dem Vater fehlt Schlaf. „Der Körper braucht auch mal eine Pause“, sagt Önel.

Kein Einzelfall in Köln: Kinder werden allein gelassen

Der Elternverein „Mittendrin“, der für Inklusion wirbt und für die Integration behinderter Kinder ins Regelschulsystem streitet, glaubt, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Es sei nicht selbstverständlich, dass Kinder mit Förderbedarf in Regelschulen gefahren werden, so Vereinssprecherin Eva Thomas. „Das ist immer schon ein Ärgernis.“

Köln habe sich im Vergleich zu anderen Kommunen aber immer etwas großzügiger verhalten, wenn Eltern Anträge auf den „Schülerspezialverkehr“ gestellt hätten. Doch die Zeiten hätten sich geändert. Kinder, die früher einen Fahrdienst bekommen hätten, würden heute alleine gelassen, so Thoms.

23,8 Millionen Euro für Schülerspezialverkehr in Köln

Die Stadt bestreitet, dass sie bei der Bewilligung von Anträgen strenger geworden ist. Man habe die Prüf- und Entscheidungsverfahren nicht verändert, so das Amt für Schulentwicklung. Für den Schülerspezialverkehr würden 23,8 Millionen ausgegeben.

Für das laufende Schuljahr habe man 2300 „Fälle“ bearbeitet, nur in etwa 80 seien die Anträge abgelehnt worden. Als „bewilligt“ zählt die Stadt allerdings auch solche Anträge, in denen sie den Familien ein Schülerticket für Bus und Bahn zuspricht, den Antrag auf Beförderung aber ablehnt.

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Wie passt der Fall der Familie Önel und anderer Betroffener zum Anspruch einer familien- und kinderfreundlichen Stadt? Das Etikett ist schnell angeklebt, deutlich schwieriger wird es aber offensichtlich, dem Eigenlob Taten folgen zu lassen: Unter dem Mangel an Schulplätzen, der die Wahlfreiheit von Familien zum Teil drastisch einschränkt, leiden Hunderte. Wenn es sich um Kinder mit Behinderungen und besonderem Förderbedarf handelt, machen die schlechten Rahmenbedingungen das Familienleben noch schwerer.

Stadt Köln verweist auf Elternpflicht

Auf die Frage, wie sich die Lebenssituation der Familie Önel mit den eigenen Ansprüchen verträgt, antwortet das Amt für Schulentwicklung: „Die Frage, wie sich der Anspruch der Stadt, kinder- und jugendfreundlich zu sein, mit dem verträgt, was man einzelnen Familien »zumutet«, beantwortet sich aus den Rahmenbedingungen von Gesetzen und Vorschriften.“ Die Stadtverwaltung verweist auf die „Mitwirkungspflicht der Eltern“.

Zu Einzelfällen dürfe man Medien aus datenschutzrechtlichen Gründen nichts sagen. Im Brief an die Familie Önel wird man dagegen umso deutlicher: Die Eltern seien „grundsätzlich sowohl in der Lage als auch dafür verantwortlich ihren familiären Alltag dahingehend an die Schulzubringung und Abholung des Sohnes anzupassen.“ Die Stadt sei „gehalten, bei der Festsetzung einer bestimmten Beförderungsart eine zumutbare und wirtschaftliche Weise zu wählen.“