Jeder Kölner kennt ihn: Mit seinen Markenzeichen Latzhose und Geige war er über Jahrzehnte auf der Schildergasse zu erleben.
Am 20. Januar wird der achtfache Opa Klaus von Wrochem, besser bekannt als Klaus der Geiger, 80 Jahre alt.
Klaus der Geiger: „Musikmachen ist schön. Aber für mich muss in jedes Konzert auch ein echtes politisches Statement.“
Köln – „Ich sehne mich nach der Straße.“ Nur Konzerte zu geben, sei eigentlich nichts für ihn, sagt Klaus der Geiger. „Auf der Straße bist Du mittendrin. Man hat das Gefühl, was zu verändern. Zu Konzerten kommen die, die Dich kennen und sowieso Bescheid wissen.“ Ihm fehle die Herausforderung, Unbekannte mit seiner Musik und seinen politischen Botschaften zu konfrontieren.
Vor ein paar Jahren habe er es noch einmal versucht. „Da habe ich direkt zwei Anzeigen kassiert, weil ich mich nicht an die Zeitvorgabe des Ordnungsamts gehalten habe.“
Deutschlands bekanntester Straßenmusiker – Bürgerschreck und Komiker, Provokateur und Menschenfreund – wird 80 Jahre alt. Äußerlich verändert hat er sich wenig, die wilde Haarpracht ist etwas lichter geworden. Die Stimme sei nicht mehr laut genug, um unverstärkt singen zu können. Außerdem müsse er mal bei Ärzten vorbeischauen, von denen er vor ein paar Jahren noch nicht wusste, dass es sie überhaupt gibt. Der Ohrenarzt habe ein Hörgerät empfohlen. „Das will ich aber noch nicht.“ Alles in alllem gehe es ihm „erstaunlich gut“, diagnostiziert der achtfache Opa.
Das Zimmer in der ehemals von Kommunarden bewohnten Südstadtwohnung ist voller Spielzeug für die Enkel. Geschlafen wird weiterhin im irgendwann zusammengezimmerten Hochbett. Auf einem Notenständer liegen Notenblätter zur Vorbereitung des nächsten Konzerts. Klaus der Geiger spielt weiter. 128 Euro Rente bekomme er im Monat. Da müsse er doch weiter Konzerte geben.
Geburtstagswunsch: „Kölner kommt zu meinen Konzerten!“
„Es ist gut, dass es eine Grundrente gibt. Aber so lange es geht, will ich sie nicht beantragen.“ Er wolle keine Abhängigkeit vom Staat und sein Leben weiter selbst finanzieren. Sein Wunsch zum Geburtstag lautet: „Kölner, kommt in meine Konzerte. Ich lebe davon!“
Dazu braucht er nicht viel. Daran habe sich nichts geändert, seitdem er sich Ende der 1960er Jahre bewusst gegen eine Karriere als Musiker und Komponist im subventionierten bürgerlichen Kulturbetrieb entschieden hat. Damals wurde aus Klaus von Wrochem Klaus der Geiger.
Live im Bistro Verde
In der Reihe „Blue Notes – Live Jazz im tiefen Süden“ spielt Klaus der Geiger zusammen mit dem Gitarrist Marius Peters am Freitag, 24. Januar um 20 Uhr im Bistro verde in der alten Schmiede, Maternusstraße 6, in Rodenkirchen. Er präsentiert dort auch Lieder seiner neuen CD „Imma Dolla“. Karten für 15 Euro gibt es im Lokal. (fra)
Er hatte sich in den USA der Hippiebewegung angeschlossen und war nach seiner Rückkehr nach Köln, wo er 1960 sein Violinstudium an der Musikhochschule begonnen hatte, als Straßenkämpfer und Hausbesetzer unterwegs: Stollwerck-Besetzung, Anti-Atomkraft-Bewegung, Proteste gegen die Nato-Nachrüstung und gegen eine aus seiner Sicht fehlgeleitete Stadtsanierung – überall war er dabei. 15-mal stand er vor Gericht, vor allem wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt.
Über Jahrzehnte war der provozierende Geiger auf der Schildergasse in Köln zu erleben
Seine Markenzeichen waren Latzhose und Geige, die er mit einem Rundbogen spielte und manchmal auch malträtierte. Über Jahrzehnte war er so auf der Schildergasse zu erleben. Jeder Kölner kannte den singenden, brüllenden und provozierenden Geiger. Mit seiner Musik verbanden sich laute Protestlieder gegen Unrecht, skrupellose Kapitalinteressen und Umweltzerstörung. Diese Lieder singt er noch heute. Nur gefälliger Jazz oder gelegentliche Konzerte mit kölschen Musikern seien ihm zu wenig. „Musikmachen ist schön. Aber für mich muss in jedes Konzert auch ein echtes politisches Statement.“
Im Rückblick sagt er: „Natürlich habe ich immer auch mal gemosert, dass ich zu wenig Geld habe. Aber unterm Strich habe ich den Verzicht auf materiellen Wohlstand nie bereut. Das war der Preis, den ich bezahlt habe, um etwas Wertvolleres zu bekommen.“ Auf die Frage, was das sei, überlegt er, um die Antwort auf einen Begriff zu bringen: „Würde.“
Was hat sich geändert auf dem Weg zur 80? „Manchmal fehlt mir die Spontanität. Dann bin ich neidisch auf die Jungen“, sagt er. Und: „Man schließt mit vielem Frieden. Das ist aber auch gefährlich.“ Früher sei er radikaler gewesen. „Das war toll, aber auch bequem. Da gab es nur ja oder nein – und nichts dazwischen.“ Einen Bereich gebe es aber, wo er heute deutlich radikaler sei als früher. „Ich feiere nicht mehr alles mit.“ Der Ganzjahreskarneval mit den feierenden Massen, die vor allem in der Südstadt einfallen, finde er „doof“. Die Leute sollten sich lieber mehr Zeit nehmen, um zu „überlegen, wie es mit der Menschheit weitergeht“.
Auch an den eigentlichen Karnevalstagen halte er sich mittlerweile zurück. Nur Karnevalsdienstag sei das Fest so, wie er sich das wünsche. Dann fährt er mit Musiker-Freunden auf einem Wagen im Südstadtzug mit und macht mit Kindern der Grundschule Musik. Danach treffe man sich „an der Eiche“, das Stunksitzungs-Ensemble komme dazu, alle seien froh und glücklich und landeten schließlich zum Singen und Tanzen in einer Kneipe.
Er bleibe politisch aktiv, vor allem der Naturschutz sei sein Thema. „Der Klimawandel kann unsere Rettung sein.“ Er zwinge die Menschen, sich grundsätzlichen Fragen zu stellen. Leider würden sich zu viele nur um ihr eigenes Wohl schweren und sich nicht für Politik interessieren. Das könnte sich nun ändern. „Aber es besteht auch die Gefahr, dass es in eine falsche Richtung läuft.“ Auf autoritäre Konzepte zu setzen, sei falsch. Die Demokratie müsse weiter wertgeschätzt werden. „Jeder ist aufgefordert, den Kopf zum Selberdenken aufzumachen.“