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Adil Demirci über Haft in Türkei„Es fällt mir sehr schwer, über die Zeit zu sprechen“

Lesezeit 5 Minuten
Demirci_Krasniqi

Adil Demirci (r.) mit seinem Vater und Un­ter­stüt­zern.

  1. 14 Monate wurde der Kölner Adil Demirci in der Türkei festgehalten – zehn davon verbrachte er im Hochsicherheitsgefängnis Silivri.
  2. Der Grund: Er soll Mitglied der verbotenen Marxistisch-Leninistischen Partei (MLKP) sein (was er bestreitet) und an Beerdigungen von MLKP-Mitgliedern teilgenommen haben.
  3. Vor einem Jahr wurde er entlassen. In seinem Gastbeitrag blickt er zurück: Auf seinen juristischen Kampf, den Tod seiner Mutter und den Schmerz, Geisel des Erdogan-Regimes gewesen zu sein.

Köln – Heute, am 13. Februar, steht mein nächster Prozesstermin an. Auch wenn ich wieder frei und in Sicherheit bin, kostet mich dieser Prozess Nerven. Es gibt zwar keine Anwesenheitspflicht, ich muss also nicht in Istanbul sein, aber der Gedanke an den Prozess und die Erinnerungen an die Haftzeit machen mich nervös. Wäre ich hingeflogen, wenn es eine Anwesenheitspflicht geben würde? Ich denke nicht. Dazu liegt der Prozesstermin fast genau am Jahrestag meiner Entlassung aus der Haft.

Am 14. Februar 2019 wurde ich an meinem zweiten Verhandlungstag aus der Haft entlassen. Es fällt mir weiterhin sehr schwer, über die Zeit zu sprechen und zu glauben, dass nun ein Jahr vorüber ist.

Unterstützung und Solidarität aus Deutschland war wichtig

Was ist alles geschehen nach meiner Freilassung? In der ersten Zeit war ich nicht wirklich „frei“. Eine der Auflagen war eine Ausreisesperre. Die umfasste nicht nur die Türkei. Ich durfte noch nicht mal Istanbul verlassen. Glücklicherweise war ich nicht in einer anderen Stadt festgenommen worden. Istanbul ist eine Weltstadt. Ich war natürlich sehr froh darüber, dass ich nach zehn Monaten Haft in Silivri endlich in Freiheit war.

Alles zum Thema Henriette Reker

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Das Schwierigste an der Situation war, dass ich meine krebskranke Mutter in Köln nicht besuchen konnte. In meiner Zeit in Istanbul haben wir zwar täglich telefoniert, aber die Angst, dass ich sie vielleicht nicht mehr würde sehen können, machte mir zu schaffen. Ich sagte ihr das nicht, um sie nicht traurig zu machen. Meine einzige Möglichkeit war es, den juristischen Kampf anzugehen und mit allen Mitteln die Ausreisesperre aufzuheben.

Der nächste Prozesstermin war für den 30. April 2019 angesetzt. Am Tag davor traf ich Christian Wulff in einem Hotel in Istanbul. Bei der Fahrt dorthin war ich sehr nervös. Schließlich würde ich gleich den Altbundespräsidenten treffen und mit ihm über mein Verfahren sprechen. Für mich war es sehr wichtig, die Solidarität und Unterstützung aus Deutschland zu spüren. Zugleich stiegen die Hoffnungen, nach dem bevorstehenden Prozesstermin ausreisen zu dürfen.

Ausreisesperre kurz vor Beerdigung aufgehoben

Mir wurde empfohlen, über mein Treffen mit Christian Wulff nicht mit der Presse zu sprechen, weil es meinen Prozess negativ beeinflussen könne. Wir hielten das Treffen also geheim. Meine Rechtsanwälte teilten mir zwar mit, dass sie die Arztberichte meiner Mutter eingereicht und die Aufhebung der Ausreisesperre beantragt hatten. Trotzdem sollte ich mir keine großen Hoffnungen machen. Leider behielten die Anwälte Recht, meine Ausreisesperre wurde nicht aufgehoben.

Einige Tage später kam meine schwerkranke Mutter nach Istanbul. Es sollte unser letztes Treffen sein. Erst als sie gestorben war, hob das Gericht im Juni die Ausreisesperre gegen eine Kaution auf, und ich durfte zur Beerdigung nach Köln reisen. Es war ein schrecklicher Tag, ich war völlig erschöpft. Ich bekam um 8 Uhr morgens einen Anruf vom deutschen Konsulat, dass der erste Antrag auf Aufhebung der Ausreisesperre abgelehnt werde und ich sofort einen erneuten Antrag stellen solle. Wir haben das nicht richtig verstanden und die Anwälte angerufen. Tatsächlich: Gegen eine Kaution von 20.000 Türkischen Lira (etwa 3000 Euro) wurde meine Ausreisesperre aufgehoben. Zwei deutsche Beamte begleiteten mich am Flughafen bis zum Einstieg in mein Flugzeug.

Nach 14 Monaten „Zwangsaufenthalt“ zurück in Köln

Schließlich kam ich nach 14 Monaten „Zwangsaufenthalt“ in der Türkei wieder in meiner Heimatstadt Köln an. Ich hatte es noch zur Beerdigung geschafft, aber die letzte Zeit weder bei meiner Mutter noch meiner Familie verbracht. Es fühlte sich so an, als hätte ich sie alleingelassen. Dass ich in dieser schwierigen Zeit nicht bei ihnen sein konnte, werde ich den Richtern und der türkischen Justiz niemals verzeihen. Mein Körper war zwar wieder in Köln, geistig war ich aber noch in Istanbul. Der Schmerz, zehn Monate Geisel des Erdogan-Regimes zu sein, hatte sich vermischt mit dem Schmerz, mich nicht von meiner Mutter verabschiedet zu haben.

Jedes Mal, wenn wir sie an ihrem Grab besuchen, kommen diese Erinnerungen hoch, und es wird noch seine Zeit brauchen, bis ich darüber hinwegkomme. Die Verarbeitung der Geiselhaft hatte ich zunächst verschoben. Ich fand es sehr wichtig, wieder in den Alltag zu finden und wollte mein altes Leben zurück.

Mein Arbeitgeber, der Internationale Bund, war mir während der ganzen Zeit eine große Unterstützung; nach einer längeren Pause kehrte ich in meine alte Tätigkeit zurück. Auch wenn ich wollte, war nichts mehr wie früher. Die Jugendlichen aus meiner Beratung, meine Kolleginnen und Kollegen und auch die unzähligen „unbekannten“ Menschen hatten meinen Fall verfolgt und sprechen mich nun auf offener Straße an.

59 Deutsche sitzen noch in türkischer Haft

Heute weiß ich, dass ich mich nicht mehr in mein „altes Leben“ zurückziehen kann und habe mich entschlossen, über meine Zeit in der Geiselhaft zu sprechen. Ich war und bin kein Einzellfall. Neben Hozan Cane, ihrer Tochter Gönül Örs und Bekir Topgider, die wie ich aus Köln kommen, befinden sich 59 deutsche Staatsbürger in türkischer Haft. Gegen 74 Menschen besteht weiterhin eine Ausreisesperre.

In der Initiative „Freiheit für Adil Demirci“ entschlossen wir uns, die weiteren Fälle bekanntzumachen. „Stimmen der Solidarität – Mahnwache Köln“ heißt unser Verein. Den Namen haben wir auch deshalb gewählt, weil die Mahnwache am Wallrafplatz für uns zum symbolischen Ort der Solidarität geworden ist. Anke Brunn und Günter Wallraff, die während der ganzen Zeit hinter mir standen, halfen uns bei der Gründung des Vereins. Meine Ehrung durch die Oberbürgermeisterin Henriette Reker im Rathaus sowie die starke Unterstützung der Kölner Politiker wie Rolf Mützenich und Jörg Detjen haben uns bei diesem Schritt sehr viel Mut gemacht.