Am Rande der großen Kölner Anti-Rassismus-Demo auf der Deutzer Werft ist es zu einer bemerkenswerten Szene gekommen: Drei Polizisten knieten gemeinsam mit Demo-Teilnehmern nieder.
Ein Basketballprofi, der die Szene im Bild festgehalten hat, erzählt, wie es zu der Geste kam, die gleich danach instrumentalisiert wurde.
Während die Polizisten unter anderem von OB Henriette Reker Zuspruch bekommen, müssen sie mit dienstrechtlichen Folgen rechnen.
Köln-Deutz – Als Profisportler kennt sich Ron Mvouika mit dem perfekten Moment gut aus. Auf dem Parkett in der Basketballhalle gibt er normalerweise den Flügelspieler, aber an diesem Samstag im Juni geht es ihm wie etwa 10.000 anderen Menschen auf der Deutzer Werft zunächst einmal nicht um Flügel, die sollten erst später kommen. Eine beeindruckende Masse von Menschen versammelt sich am Rhein, um Rassismus und Polizeigewalt in Deutschland und der ganzen Welt den Kampf anzusagen. Demoteilnehmer Ron Mvouika und einige Freunde kommen mit drei der mehreren hundert Bereitschaftspolizisten in ein friedliches, konstruktives Gespräch, wie sich der 28-Jährige später erinnern wird.
Mvouika fragt die Polizisten, wie sie zu der Diskussion um Polizeigewalt stehen, so kurz nach dem brutalen Tod des Afroamerikaners George Floyd in den USA. Die Polizisten sagen, dass sie für derlei Übergriffe kein Verständnis haben, geben zu erkennen, dass ihnen die Botschaft der heutigen Demo sympathisch ist. Und weil Mvouika das Gespür für den Moment hat, lädt er die Polizisten ein: „Wenn ihr all das ernst meint, was ihr uns eben gesagt habt, solltet ihr kein Problem damit haben, mit uns auf die Knie zu gehen und ein Zeichen der Solidarität, Liebe und Barmherzigkeit zu senden.“ Es ist diese Geste, die schon zuvor zigtausende Demonstranten in aller Welt zeigten.
„Es war ein magischer Moment“
Mvouika erinnert sich, dass die Beamten ihren Vorgesetzten um Genehmigung bitten und auf die Knie gehen, als sie diese bekommen. Andere knien sich daneben, wieder andere applaudieren. „Es war ein magischer Moment“, erzählt Mvouika, der die Szene mit seiner Handykamera festhält. Dass einer der Beamten schwarz ist, dass ein Plakat mit der Aufschrift „Keine Polizeigewalt mehr“ auf dem Boden liegt, ist in dieser Sekunde vergessen.
Entstanden ist so ein ikonisches Foto, das es so in Köln wohl noch nie gab. Denn eigentlich sind Polizisten dem Neutralitätsgebot verpflichtet, das es ihnen untersagt, im Einsatz politisch Stellung zu beziehen. Aber auch in den USA haben sich zuletzt viele Einsatzkräfte, darunter auch Polizeipräsidenten, durch einen Kniefall mit der Bewegung solidarisiert. Die Bilder gingen um die Welt als Symbol der Menschlichkeit und der Deeskalation zum Teil gewalttätiger Demonstrationen.
Doch der Kniefall von Deutz wird nicht ohne Folgen bleiben für die drei Polizisten. Die Verletzung der Neutralitätspflicht sehe dienstrechtliche Maßnahmen vor, heißt es von der Polizei. Es werde Gespräche geben, in denen die Beteiligten für ihre Rolle sensibilisiert würden. Grund dafür dürfte neben der Dienstordnung auch die Tatsache sein, dass das Foto seither instrumentalisiert wird.
Als eine der ersten bezieht sich die auch Beatrix von Storch (AfD) via Twitter auf Mvouikas Foto. Sie spricht von „symbolischer Selbsterniedrigung“ der Polizei und fordert dienstrechtliche Konsequenzen. Mvouika, der in Köln und in dem Pariser Vorort, in dem er aufwuchs, selbst Rassismus und Polizeigewalt erlebt hat, lässt das nicht so stehen. Von Storch habe die Situation nicht miterlebt. „Lügen nehmen den Aufzug, die Wahrheit nimmt die Treppe. Lügen mögen schneller sein, aber die Wahrheit wird immer ihren Weg zum Ziel finden“, sagt er. In den sozialen Netzwerken ballt sich derweil die übliche Mélange aus Zustimmung, Skepsis und Hass. Auch der in Köln lebende und bis 2019 für Bayer Leverkusen spielende Mvouka sei verbal attackiert worden, erzählt er.
Henriette Reker unterstützt die Beamten
Unterstützung bekommen die knienden Polizisten von Oberbürgermeisterin Henriette Reker. „Wenn Polizisten mit einer spontanen Geste Solidarität zeigen ist das nicht zu beanstanden – im Gegenteil. Ich habe keinen Zweifel, dass unsere Polizei in gebotener Neutralität jegliche Versammlungen schützt“, sagt Reker dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Auch die Gewerkschaft der Polizei (GdP) unterstützt die Geste der Beamten. „Das Neutralitätsgebot der Polizei ist ein hohes Gut und macht das verfassungsmäßig garantierte Demonstrationsrecht erst möglich“, sagt GdP-NRW-Vorsitzender Michael Mertens. „Aber Polizisten sind auch Menschen, und wenn sich Polizisten im Zuge einer dynamischen Situation wie dieser Demonstration in einem gemeinsamen Akt dazu entschließen, mit anderen eine solchen Geste zu zeigen, ist das nicht nur völlig in Ordnung. Diese Geste ist auch Ausdruck von Artikel 3 des Grundgesetzes, der Benachteiligungen aufgrund der Hautfarbe verbietet“, so der Hauptkommissar weiter.
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Unterstützung kommt auch von Brigitta von Bülow, Sprecherin des Bündnisses „Köln stellt sich quer“: „Die Fotos berühren mich sehr. Sie machen deutlich, dass der Kampf gegen Rassismus an keiner Ländergrenze und keiner Berufsgruppe halt macht. Die Solidarität der Polizisten in Deutschland mit den Opfern von Rassismus ist besonders wichtig angesichts der rassistischen Übergriffe und Handlungen durch Polizisten in den USA. Sie sind ein deutliches Signal und zeigt, dass sie sich ihrer besonderen Verantwortung bewusst sind.“
„Ich hatte zuerst nicht den Eindruck, dass es eine Geste war, sondern eine rein taktische Maßnahme“, sagt demgegenüber Josef Kolisang, einer der Demo-Organisatoren. Er sei in der Nähe gewesen, habe aber nicht die Entstehung mitverfolgt. „Wenn es ein Zeichen der Solidarität war, ist das gut, aber auch nichts, wofür die Polizisten Anerkennung bekommen sollten. Anti-Rassismus sollte selbstverständlich sein.“Der Kampf um die Deutungshoheit dürfte gerade erst begonnen haben.