Innenstadt – Eine bessere Fürsprecherin als den jüngsten Neuzugang aus dem Norden könnte sich die Severinstraße gar nicht wünschen. „Ich hatte mehrere Straßen zur Auswahl. Aber hier hatte ich sofort so ein warmes Gefühl.“
Brigitte Stein stammt aus Hannover, kam irgendwann „der Liebe wegen“ nach Köln und war bis vor kurzem in Düsseldorf im Bereich Damenmode tätig. Ihren Herzenswunsch, einen eigenen Laden zu eröffnen, wollte sie jedoch nicht in der Landeshauptstadt realisieren. Vor genau einem Monat feierte sie ein paar Meter vom Odeon-Kino entfernt Eröffnung.
Steins Geschäft für unkonventionelle Damenmode bis Größe 48 markiert eine der jüngsten positiven Veränderungen auf dieser durch den U-Bahn-Bau schwer gebeutelten Straße. In den zurückliegenden zwei Jahren siedelten sich auf der Meile zwischen der Severinstorburg und dem Kaiser-Wilhelm-Gymnasium 24 neue inhabergeführte Läden an. Damit trotzt die Severinstraße jener Entwicklung, die anderenorts beklagt wird: dass sich nämlich nur noch Filialisten auf den Einkaufsstraßen niederlassen.
Für Veedelsmanager Jörg Aue ist diese Tendenz „ein klarer Indikator dafür, dass wir nicht nur als Ramsch-Meile gesehen werden“. Auch wenn diese positive Veränderung im Gesamtbild der Straße nicht durchweg sichtbar ist, muss man konstatieren: Es hat sich was getan.
Authentische Küche
So ist gleich am Anfang der Straße mit dem Venezianer Andrea Pizzati und seiner Cuccina & Bar „Il Bacaro“ ein neuer Italiener hinzugekommen, der keine italienisch klingende Gerichte verkauft, sondern authentische Küche bietet und dem Gast tatsächlich ein wenig italienisches Lebensgefühl schenkt. So empfinden das jedenfalls Dina Saba und Tom Haugh, die am vordersten Tisch unter den pittoresken Madonnenbildern mit Ulla Fischer auf deren Geburtstag anstoßen. Ungezwungen, familiär und gastfreundlich ist es auch im Ludari, wo der Neapolitaner Ciro Rinaldi italienische Feinkost und einen Mittagstisch mit Pasta wie von Mamma offeriert.
Gegenüber vom Bacaro verhindern Maurerstaub und milchige Folien den Blick in den Innenraum der gerade entstehenden Eismanufaktur Marano, einem Ableger des Betriebes in Sürth. Die neue Gelateria und Weinbar soll in etwa einem Monat eröffnet werden.
Ob in absehbarer Zeit gegenüber dem Odeon-Kino ebenfalls eine Eröffnung ansteht, ist noch nicht sicher. Fest steht: Das Haus, in dem sich die Traditionskneipe Schmitze Lang befand, hat laut Aue nach langem Hin und Her einen Käufer gefunden, der der völlig maroden Immobilie wieder Leben einhauchen will. Bevor dort über neue Gastronomie nachgedacht werden kann, muss das mit Planen abgedeckte Haus jedoch erst einmal von Grund auf saniert werden.
Die positive Veränderung im Viertel macht Aue noch an zwei weiteren Komponenten fest: Zum einen ginge es „Entwicklern und Investoren weniger darum zu spekulieren, als Einzelhandelsfachgeschäfte unter Vertrag zu nehmen“. Zudem versuche auch er stets zwischen Eigentümern und Mietinteressenten dahingehend zu vermitteln, dass ein guter Mix bestehen bleibe. Natürlich gebe es keine Garantie dafür, dass in eines der beiden Fischgeschäfte, dessen Zukunft absehbar sei, wieder ein Fischgeschäft integriert werden könne. Aber man bemühe sich darum.
Ein weiteres Kapital der Straße sei das gute Miteinander der Geschäftsleute. Jüngstes Beispiel: Die Straße habe sich an der Ausschreibung für ein Pilotprojekt von Netcologne für ein öffentliches W-Lan beworben. Zuvor seien die Geschäftsleute im Veedel aufgefordert worden, sich zu beteiligen. Und tatsächlich hätten alle 164 Händler mitgemacht.
Seit vielen, vielen Jahren besteht die Anziehungskraft der Severinstraße unter anderem darin, dass dort bei allen Schwierigkeiten, die die Händler durchstehen mussten, die Perlen im Wesentlichen geblieben sind. Was wäre diese Meile beispielsweise ohne ihre Fachmetzgereien und Fachbäckereien.
Chance für Verjüngung
Da schmerzt allein der Gedanke, dass eine dieser Veedelsperlen nach jahrzehntelanger Präsenz verschwindet. Fraglos sind das Einschnitte, die mit Wehmut betrachtet werden. Aber sie eröffnen auch Chancen für Verjüngung, wie sie die Straße bereits erhalten hat: Ein Beispiel ist das Eisgeschäft Gea mit sogar veganem Angebot ein anderes ist „Jörg’s Südstadt Piercing“. Jörg Ewering setzt seinen Kunden bereits seit 25 Jahren Schmuck in die Haut. Insider kennen ihn aus dem Laden auf der Schildergasse, den er 15 Jahre lang hatte. Nun kann man seine Piercing-Fertigkeit auf der Severinstraße in Anspruch nehmen. Und nicht nur diese. In dem hellen, modernen Laden werden auch Tattoos, Fußpflege, permanent Make-Up und Dermal Anchor angeboten. Letztere sind Mini-Implantate, die unter die Haut gesetzt werden und später Basis und Gewinde beispielsweise für kleine Schmuckstecker bieten, die eingeschraubt werden und auf der Haut als einzelner Glanzpunkt sichtbar sind. Bei den Piercings sind zurzeit nach Angaben von Mitarbeiter Daniel Kremer insbesondere Piercings an der Nasenscheidewand oder in der Zunge gefragt. Das gesamte Team sei sehr froh über den Standort des Studios, sagt Kremer. Die Atmosphäre sei „sehr familiär, offen und nett“.
Genauso wirkt es auch in dem seit 15 Jahren bestehenden Feinkostgeschäft Gusto Italiano. Während der Chef Raffaele Iuliano mehrere Rotbarben auf einer Platte arrangiert und neben ihm Parmaschinken und Sülze aus der Toskana geschnitten wird, sitzen Geschäftsleute im lebhaften Gespräch beim Lunch.
Wenn der Veedelsmanager von seinen 164 Händlern spricht, denkt er gewissermaßen auch um die Ecke. Ins Hirschgässchen etwa, das mit seinem Angebot an besonderen Läden ein echtes Kleinod darstellt: Ob Designwerkstatt zum Goldenen Hirschen, die gerade renovierte Boutique Pfiff, der Kinderklamottenladen Mona Lieschen und nicht zu vergessen der aus der Marienburg hinzugezogene Harald Berens mit seinem Geschäft für Genießer und Kenner sind einen Besuch wert.
Wer einmal in Berens charmantem „Tearoom“ seinen Kaffee genossen hat, wird nur ungern an seinen Arbeitsplatz zurück wollen. Dabei kann auch der reizvolle Perspektiven eröffnen, wie die Bilderrahmen-Manufaktur und Galerie „Art+Bijou“ beweist. Den Geschäftsnamen hat der promovierte Chemiker Thorsten Fröhlich von Vorbesitzer Alfred Schulze beibehalten. Das Geschäft als solches wurde in den viereinhalb Jahren seines Bestehens (an neuem Standort) auf 260 Quadratmeter vergrößert und aufwendig modernisiert. Inzwischen ist der Art Concept Store sowohl Fachgeschäft als auch Ausstellungsort und Werkstatt, der nicht nur Kundschaft aus Köln anzieht.