Köln – Bei der Razzia am Donnerstagmorgen wegen des Totschlags in Köln-Höhenberg Anfang März hat die Polizei offenbar eine falsche Wohnung in Köln-Neubrück gestürmt. Beamte brachen die Wohnungstür eines völlig unbeteiligten Ehepaares (beide 85) mit einer Ramme auf. Die Frau erlitt daraufhin Kreislaufprobleme, wie die Polizei mitteilte. Rettungskräfte kümmerten sich um sie, die Polizei veständigte den Opferschutzbeauftragten der Behörde, der sich um die nicht gut Deutsch sprechenden Rentner kümmerte und "das Bedauern der Polizei zum Ausdruck" brachte, wie ein Sprecher betonte. Ein Angehöriger des Paares dolmetschte. Ein weiterer Verwandter brachte die 85-Jährige vorsorglich in ein Krankenhaus.
Kölner Polizei ordnete Klingelgeräusch der falschen Wohnung zu
Die Polizei erklärte den folgenschweren Irrtum Stunden später so: Beamte hätten um sechs Uhr an der Haustür bei dem 42-jährigen Nachbarn der Senioren geklingelt, dem die Aktion eigentlich galt. Er wurde mit Haftbefehl gesucht, weil er am 10. März gemeinsam mit fast 30 anderen Familienmitgliedern einen 37-jährigen Mann auf der Bamberger Straße in Höhenberg abgepasst und durch Tritte, Schläge und Messerstiche so schwer verletzt haben soll, dass das Opfer 18 Tage später im Krankenhaus an den Folgen starb.
Donnerstag um 6 Uhr hätten die Polizisten an der Haustür bei dem 42-Jährigen geklingelt und das Klingelgeräusch einer Wohnung im ersten Obergeschoss zugeordnet, erklärte ein Polizeisprecher weiter - ein Fehler, denn dort wohnt das Ehepaar, nicht der gesuchte 42-Jährige. Die Einsatzkräfte hätten Bewegungen in der Wohnung wahrgenommen und die Bewohner mehrfach aufgefordert zu öffnen. Als die Tür aber verschlossen blieb, holten die Beamten die Ramme heraus und drangen gewaltsam ein. Die richtige Wohnung indes lag eine Tür weiter. Bei der Durchsuchung dieses Appartments stellten die Polizisten später mehrere Messer, eine Softair-Waffe, ein Fleischerbeil und Mobiltelefone sicher.
Der gesuchte 42-Jährige allerdings war nicht zu Hause - ebenso wenig wie die übrigen 17 Männer zwischen 17 und 60 Jahren, die die Polizei bei der Razzia am Donnerstagmorgen mit Haftbefehlen in sechs Kölner Wohnungen und vier Flüchtlingsunterkünften festnehmen wollte. Neun weitere Beteiligte an dem Angriff in Höhenberg konnten noch nicht identifiziert werden und sind ebenfalls noch auf freiem Fuß.
„Weder unter den Meldeanschriften noch an den sonst bekannt geworden Anschriften waren Beschuldige aufhältig. Sie werden jetzt europaweit zur Festnahme ausgeschrieben“, sagte Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer. Mutmaßungen, der Termin der geplanten Razzia könnte vorab durchgestochen worden sein, weist die Polizei von sich: Dafür gebe es nach jetzigem Stand keinen konkreten Anhaltspunkt, betonte ein Polizeisprecher. Der Vorwurf gegen die 18 Beschuldigten lautet: gemeinschaftlich begangener Totschlag.
Polizei nimmt Rücksicht auf ukrainische Kriegsflüchtlinge
Besonders behutsam gingen die Beamtinnen und Beamten in der Flüchtlingsunterkunft an der Bolternsternstraße in Köln-Riehl vor. Denn hier wohnen seit kurzem auch zahlreiche Menschen aus der Ukraine, die vor dem Krieg geflüchtet sind. „Es galt für uns, mit der größtmöglichen Sensibilität vorzugehen. Die Menschen sollten nicht retraumatisiert werden, wenn sie Beamte in Uniform sehen“, sagte Polizeisprecher Carsten Rust. Ukrainisch sprechende Einsatzkräfte und Dolmetscher seien aktiv auf die Kriegsflüchtlinge zugegangen, hätten ihnen den Hintergrund der Maßnahmen erläutert und versichert, dass die Razzia nicht ihnen gelte. Auch in einer Flüchtlingsunterkunft gegenüber der Messe in Deutz durchsuchte die Polizei einzelne Zimmer.
Warum die fast 30-köpfige Gruppe Anfang März auf den 37-Jährigen losgegangen ist, steht noch nicht endgültig fest. Klar ist laut Polizei bislang nur, dass es sich um eine Auseinandersetzung zwischen zwei Großfamilien aus Ex-Jugoslawien handelt, die schon länger schwelt. Viele der 18 identifizierten Verdächtigen sowie das Opfer selbst schon vor der Tat polizeibekannt, ganz überwiegend wegen Kleinkriminalität.
Angriff in Köln-Höhenberg ist minutiös auf Video dokumentiert
Dieser Umstand erleichterte den Ermittlern offenbar die Fahndung. Denn was die Täter nicht wussten: Eine fest installierte Überwachungskamera hatte den Überfall auf der Bamberger Straße minutiös festgehalten. Bei der Auswertung der Bilder sah die Mordkommission nicht nur, mit welcher Entschlossenheit und Brutalität die Täter vorgingen. Die Aufnahmen waren so hochwertig, dass auch einige der Beteiligten darauf gut zu erkennen waren – so gut jedenfalls, dass sie identifiziert werden konnten.
„Das gesamte Tatgeschehen bis hin zum Abtransport des Opfers im Rettungswagen ist auf dem vorhandenen Video dokumentiert", berichtete Oberstaatsanwalt Bremer. Auch so genannte Super-Recognizer der Polizei hätten bei der Identifizierung der Verdächtigen auf den Bildern geholfen. Diese Beamtinnen und Beamten haben die seltene angeborene Fähigkeit, sich Gesichter besonders genau einprägen und wiedererkennen zu können. Bekannt geworden war das Super-Recognizing hierzulande vor allem nach der Kölner Silvesternacht 2016. Auch damals halfen die Spezialisten bei der Identifizierung von mutmaßlichen Räubern und Sexualstraftätern.