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Kölner Jazzclub „Loft“„Vor 30 Jahren war Ehrenfeld ein heißes Pflaster“

Lesezeit 7 Minuten
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Benedikt Müller betreibt den Jazzclub Loft in Köln-Ehrenfeld.

  1. Benedikt Müller ist 40 Jahre alt, promovierter Biologe und leitet seit 2017 die Geschicke des Lofts in der Wißmannstraße.
  2. Im Interview spricht er über 2G, die Auszeichnung zum besten Jazzclub und Ehrenfeld.

KölnHerr Müller, trotz der Sorge vor einer erneuten Corona-Welle findet Kultur aktuell in sehr eingeschränktem Maße statt, bestuhlte Konzerte sind seit Wochen unter 2G-Bedingungen möglich. Wie ist die Stimmung derzeit im Loft?Benedikt Müller: Es ist ambivalent. Bei den Musikern ist die Stimmung eigentlich gut, weil die froh sind, dass sie wieder vor Publikum spielen dürfen und weil sie aufgrund der gut funktionierenden Förderinstrumente, die bei Soloselbständigen angesetzt wurden, finanziell halbwegs versorgt sind. Aber das Publikum ist verunsichert. Das hat sich leider in den letzten 18 Monaten eingeschlichen. Wenn man in so einem massiven traumatischen Lockdown ist, dann suchen sich die Leute eben auch andere Beschäftigungen. Wenn eine junge Band hier spielt, die in Köln gut vernetzt ist, können auch 40 bis 60 Gäste hier sitzen, während es früher 80 gewesen wären.

Und wenn nicht?

Dann kommt ein Alexander von Schlippenbach, die Free-Jazz-Ikone der 60er-Jahre, der das dienstälteste Trio betreibt, und dessen Sohn Vincent bis 2005 der DJ von Seeed war. Bei Alexander von Schlippenbach waren wir mit 30 Leuten hier, wo wir eigentlich volles Haus mit 100 bis 120 Gäste gehabt hätten. Dabei herrscht ein Ungleichgewicht: Durch die coronabedingten Fördermaßnahmen ist so viel Geld in die Musikszene gepumpt worden, damit sie erhalten bleibt, dass im Augenblick mehr Angebot da ist als sonst. Und das zu einem Zeitpunkt, wo das Publikum eher die Füße stillhält.

In dieser Serie sprechen wir regelmäßig mit Club- und Barbetreibern. Jazzclub und Nachtleben: Wie geht das im Fall vom Loft zusammen?

Jazzkonzerte dauern zwar nicht so lang wie Elektropartys, aber hier konnte das vor Pandemiezeiten auch gut mal bis vier oder fünf Uhr morgens gehen. Die Konzerte sind um 23.30 Uhr spätestens durch und dann folgt der sogenannte „Hang“. Es hängen alle zusammen rum und reden, früher haben sie natürlich auch alle geraucht wie die Schornsteine. Türen und Fenster auf geht auch nicht, weil hier Wohnhäuser nebendran sind.

Köln-Ehrenfeld vor 30 Jahren vor der Gentrifizierung

Hier in der Wissmannstraße 30 war früher eine Parfumfabrik, etwas von dieser industriellen Atmosphäre ist geblieben. Wie war das Ehrenfeld von damals?

Vor 30 Jahren hat sich niemand an den Geräuschen gestört. Hier in Ehrenfeld, das war heißes Pflaster. Nach sechs Uhr abends ist man als Kind nicht mehr auf die Straße gegangen. Da war der Spielplatz, die Drogendealer. Die Eingangstür unten war schon immer auf, auch damals. Das Treppenhaus war immer vollgesprüht, da wurde uriniert. Das waren die späten 80er. Ehrenfeld ist ja ein Paradebeispiel der Gentrifizierung. Heute befinden wir uns im vielleicht schmuddeligeren, aber kreativeren Teil, in dem Sinne, dass man mehr ausprobieren kann, ohne dass man jemanden stört, wobei es immer mehr eben doch stört.

Sie waren bei Gründung des Lofts acht, neun Jahre alt. Wie fing alles an?

Vor 30 Jahren war Jazz noch gar nicht im Programm. Mein Vater, der den Raum damals gegründet hat, wollte einen Freiraum haben, wo er Musik präsentieren kann, die sonst nirgendwo stattfindet. Frei improvisierte Musik hatte in Köln keine Bühne. Musiker setzen sich hin und es passieren Dinge: Ein Saxophonist macht zum Beispiel Geräusche mit seinem Instrument, von denen man nicht wusste, dass das geht. Dazu rückt er vielleicht mit dem Stuhl. Das entzieht sich der Definition der meisten Menschen von Musik. Das Tolle an diesen Musikern ist, dass das lebhafte und sympathische Leute sind, da sind auch verschrobene dabei, klar. Persönlichkeiten wie Karlheinz Stockhausen, die auch hier waren, wenn deren Musik aufgeführt wurde, habe ich mal lieber nicht den Flummi an den Kopf geworfen.

Wie kam der Jazz dann hinzu?

Das fing später an. Die Jazzmusikerinnen und -musiker haben den Raum quasi erschnüffelt. Mein Vater hat immer gesagt, die Musik wird nicht besser, wenn sie auf schlechten Instrumenten gespielt wird, er hat also immer dafür gesorgt, dass hier ein guter Instrumentenfuhrpark bereit steht. Neben dem Steinway D-Flügel gibt es einen kleineren Yamaha-Flügel. Seit vier Jahren haben wir ein Kontrabass da, weil Flugreisen kaum noch bezahlbar sind. Die Bläser haben immer ihr eigenes Instrument dabei, mit dem sie verheiratet sind. Wir sind also hauptsächlich ein Infrastrukturort. Da mein Vater historisch aus dem Jazz kommt, hat er versucht, alles möglich zu machen. Die Jazzszene in Köln hat sich mit der Jazzabteilung der Hochschule, die heute eine der wichtigsten in Deutschland und Europa ist, wenn nicht gar die wichtigste, ganz stark entwickelt und ist in den letzten 20 Jahren unglaublich gewachsen.

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Der Steinway D-Flügel gehört zur Infrastruktur des Lofts in Köln.

Köln ist Jazzhochburg. Wo verorten Sie das Loft im Jazzgefüge der Stadt?

Es wurde lange als Szene-Backing beschrieben, als der kleine Bruder des Stadtgartens. Mit dem Stadtgarten sind wir sehr gut arrangiert, seit Jahren ist das unser Partnerclub. Wir schauen, dass wir uns programmatisch nicht zu sehr dazwischen funken. Im Loft findet am meisten zeitgenössischer Jazz statt. „Straight-Ahead-Jazz“ wie Miles Davis machen wir nur ab und zu, dafür gibt es andere Bühnen. Große Acts spielen in der Philharmonie, sonst gibt es das King Georg dafür. Was man in Köln nicht machen kann, ist in der Jazzszene irgendwas in Schubladen zu stecken. Und die Schublade Jazz gibt es schon mal nicht. Auch diese Aufteilung in Free, zeitgenössischer und „Straight-Ahead-Jazz“ geht eigentlich nicht. Die Hälfte der Showband von Jan Böhmermann, das Rundfunk-Tanzorchester, sind Musikerinnen und Musiker, die hier aufgetreten sind und ihr Examenskonzert gespielt haben. Die sind eben in der Musik unterwegs.

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Auszeichnung „Club des Jahres“ für das Loft in Köln-Ehrenfeld

Das Loft hat im Juni 2021 die Auszeichnung „Club des Jahres“ erhalten. Was ist das Besondere daran?

Das war die Verleihung des 1. Deutschen Jazzpreises von der gerade ausgeschiedenen Kulturstaatsministerin Monika Grütters. Es war der einzige von insgesamt 31 Preisen, der nicht von einer Fachjury vergeben wurde, sondern direkt per Online-Voting von den über 1300 Mitgliedern der Deutschen Jazzunion (UDJ), dem Verband der deutschen Jazzmusikerinnen und -musiker.Der Deutsche Jazzpreis hat das Scheinwerferlicht mehr auf uns gelegt. Der Szene musste man das nicht erklären, denn die hat es ja bestimmt. Nicht-jazzaffines Publikum nimmt das gar nicht wahr. Für das nationale Fachpublikum war es die größte Überraschung.

Zu Person und zum Club

Benedikt Müller ist 40 Jahre alt, promovierter Biologe und leitet seit 2017 die Geschicke des Lofts in der Wißmannstraße 30. Er ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Er kennt den Jazzclub schon sein Leben lang, da sein Vater Hans Martin Müller der Gründer ist. Im Jahr 1986 eröffnete der Flötist und damalige Dozent der Musikhochschule Köln das Loft zunächst in einem Hinterhof-Fabrikraum in der Nähe der Kölner Musikhochschule. Seit September 1989 finden Konzerte in den heutigen Räumen statt. Das angeschlossene Tonstudio nutzt den Konzertraum als Aufnahmeort. 2021 erhielt das Loft einen Deutschen Jazzpreis als „Club des Jahres“. (gam)

Ihr Vater Hans Martin Müller, Loft-Gründer, ist Flötist. Sie selbst haben einen anderen Weg eingeschlagen: Sie haben Biologie studiert, promoviert, und doch führen Sie seit vier Jahren den Club. Wie kam es dazu?

Das war eine zufällige, nicht geplante Entwicklung, ich war als Nachfolge eigentlich nicht vorgesehen. Mein Vater hatte einen anderen Wechsel von langer Hand geplant. Ich habe mich immer sehr für das Loft interessiert, mir haben die Konzerte und das Gewusel hier als Kind gefallen. Ich kannte den Laden, sowohl vom Praktischen her als auch vom Programm. Ich war zudem der letzte verbleibende Mitarbeiter in der Arbeitsgruppe an meinem Institut in Köln, die sich dann aufgelöst hat. Wir hatten gerade das erste Kind bekommen, als Naturwissenschaftler habe ich sehr viel gearbeitet, auch an Samstagen und Sonntagen. So kam eins und eins zusammen. 2017 habe ich dann hier angefangen, und die Arbeit ist für mich immer noch sehr erfüllend.