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Hilferuf eines Kölner Lehrers„Noch nie hatten so viele Schüler psychische Probleme“

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Viele Kinder und Jugendliche leiden in der Corona-Zeit an psychischen Problemen.

Köln – Mia Weber geht in die Q1 der Katharina-Henoth-Gesamtschule in Höhenberg. Eigentlich. Denn an den meisten Tagen steht sie pünktlich auf und geht zur Schule. Aber dann kehrt sie vor dem Schultor um. „Zuletzt war ich leider sehr selten in der Schule,“ erzählt die 18-Jährige. Sie leidet seit der Pandemie unter massiven Panikattacken, wenn sie sich in Menschengruppen begibt. Sie heißt eigentlich anders, will aber ihre Privatsphäre schützen.

Das Problem kannte Mia im Ansatz schon vor der Pandemie. „Schon da musste ich mich manchmal überwinden. Aber der Wille, den Abschluss zu machen war stärker. Ich bin gerne zur Schule gegangen.“ Seit Corona schafft sie das nicht mehr. „Ich bekomme Luftnot, fange an zu zittern. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich gleich sterben“, beschreibt sie die Attacke. Die Schulsozialarbeiterin kümmert sich um sie und hat mit dafür gesorgt, dass Mia auf den Wartelisten mehrerer Psychologen steht. „Aber obwohl ich jetzt schon lange warte, sind es jetzt immer noch sechs Monate Wartezeit.“

Psychische Probleme bei Schülern: „So viele wie noch nie“

Das Problem ist, dass Schülerinnen wie Mia an den Kölner Schulen längst keine Einzelfälle sind. „So viele Schülerinnen und Schüler mit psychischen Problemen hatten wir hier an der Schule noch nie“, sagt Winfried Schneider, der Oberstufenleiter der Henoth-Gesamtschule. In der Oberstufe hätten seit der Pandemie vor allem Angststörungen, Depressionen, Essstörungen und Selbstverletzungen massiv zugenommen. In der Unterstufe seien es vor allem Aggressionen und Aufmerksamkeitsstörungen. Es gebe dort Klassen, wo die Hälfte der Kinder Auffälligkeiten zeigten.

Alles zum Thema Karl-Josef Laumann

„Weil die Lage so dramatisch ist, ist höchste Zeit für einen öffentlichen Hilferuf. Wir brauchen mehr psychologische Unterstützung an den Schulen“, fordert er. Gerade weil viele jetzt vielleicht den Eindruck hätten, die Pandemie sei vorbei. Corona-Aufholprogramme zum Lernen und Freizeitprogramme für das soziale Miteinander seien zwar wichtig – aber helfen eben bei vielen psychischen Problemen nicht. Im Austausch mit anderen Kölner Gesamtschulen, Haupt- und Realschulen hat Schneider ermittelt, dass auch dort die Zahl der Schülerinnen und Schüler mit psychischen Problemen durch die Bank gestiegen ist. Aber auch an Gymnasien sind Themen wie Schulangst und Depressionen seit Corona präsent.

29 Prozent haben psychische Probleme

Die dritte Copsy-Studie (Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf zur psychischen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in der Pandemie bestätigt Schneiders Eindruck: Noch immer leiden laut der Studie 29 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen unter psychischen Problemen. Die Bochumer Professorin für Kinder- und Jugendpsychologie, Silvia Schneider, die für die NRW-Staatskanzlei einen Bericht zur prekären Lage der jüngeren Generation erstellt hat, bestätigt, wie kritisch gerade die Schulzeit im Hinblick auf psychische Störungen sei: 75 Prozent aller Menschen mit psychischer Störung bildeten diese bis zu einem Alter von 24 Jahren aus. 50 Prozent sogar in einer Altersspanne unter 14 Jahren. Corona war bei vielen der Auslöser.

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Sein letzter Eltern-Schüler-Sprechtag hat für Schneider das Fass zum Überlaufen gebracht. Er will unbedingt, dass etwas passiert: „Sieben Schülerinnen und Schüler, die viel gefehlt hatten, und die ich zum Gespräch gebeten habe, saßen da weinend vor mir und erzählten, dass sie nicht mehr auf dem Bett kommen.“ Einige hätten sich kurz vor dem Abi von der Schule abgemeldet und die Prüfungen geschmissen. Das Problem ist, dass es zu wenig Hilfsangebote gibt: Die wenigen Schulsozialarbeiter wissen vor Arbeit nicht ein noch aus. Und auf Therapieplätze müssen Schülerinnen und Schüler bis zu neun Monate warten. Niedrigschwellige psychologische Hilfe in den Schulen, sei das, was jetzt dringend gebraucht werde, sagt auch die Psychologieprofessorin Schneider. Damit sich die psychischen Probleme erst gar nicht so hoch aufbauen.

Wie hilfreich solche sein können, hat Winfried Schneider festgestellt, als er in diesem Schuljahr die Initiative „Mind the Mind“ für einen Tag in die Schule geholt hat. Dabei kommen Psychologiestudentinnen oder -studenten, um für psychische Probleme zu sensibilisieren und die Schüler zu motivieren, darüber offen zu sprechen. Ihm habe das gezeigt, wie hilfreich so etwas sein könne. Mit dem Präventionsprogramm „Verrückt! Na und?“ des Vereins „Irrsinnig menschlich“ hat er nun ein Konzept ausfindig gemacht, das er unbedingt an die Kölner Schulen holen möchte. Der Projekt-Schultag „Verrückt? Na und!“ bringt das Thema psychische Gesundheit in die Schule und zeigt einfache und wirksame Wege, wie Schülerinnen und Schüler gemeinsam mit ihren Lehrkräften Krisen meistern und seelische Gesundheit stärken können. Es ist in vielen Bundesländern bereits als erfolgreich im Einsatz, um Depressionen zu verhindern, bevor sie sich verfestigen. In Nordrhein-Westfalen steht das Programm unter der Schirmherrschaft von Sozialminister Karl-Josef Laumann und bewährt sich bereits in vielen anderen Kommunen wie etwa im Rhein-Erftkreis, Leverkusen oder Dortmund.

Köln als weißer Fleck

Aber in Köln gibt es dergleichen bislang nicht. „Es wäre grundsätzlich kein Problem, das Programm für Köln zu gewinnen. Aber Voraussetzung ist, dass es an einen Träger angebunden sein muss. Das kann die Kommune sein oder auch ein freier Träger.“ Schneider setzt alles in Bewegung, den zu finden. Er hat sogar schon einen Runden Tisch einberufen, an den er alle zusammengetrommelt hat, die helfen könnten, um endlich mehr Hilfe an die Schulen zu holen: von Vertretern der Politik, über die Sozialpädiatrische Zentren, den Schulpsychologischen Dienst und alle möglichen Verbände von Alexianern bis hin zu konfessionellen Trägern. Die SPD hat nun im Schulausschuss einen Antrag gestellt, in dem sie die Stadt auffordert, eine Kooperation mit „Verrückt? Na und!“ auszuloten.

Maya hat Magersucht

Der 16-jährigen Maya jedenfalls hat geholfen, an der Katharina-Henoth-Schule über ihr Problem reden zu können. Maya ist in der Pandemie an Magersucht erkrankt. Zwischenzeitlich wog sie bei einer Körpergröße von 1,63 Metern nur noch 40 Kilo. Sie konnte fast nicht mehr laufen und keine Treppen mehr steigen. Die Schülerin ist dankbar, dass sie auch mit Unterstützung der Schule nun Hilfe gefunden hat. „Ich gehe jetzt ein Mal in der Woche zur Therapie und wiege inzwischen 46 Kilo. Ich kann immer noch nicht schnell laufen. Aber es ist mehr als ein Anfang.“