- Thomas Frings, geboren 1960, legte 2015 sein Amt als Pfarrer in einer Münsteraner City-Pfarrei nieder und begründete den Schritt unter anderem in dem Bestseller „Aus, Amen, Ende? So kann ich nicht mehr Pfarrer sein“.
- Nach einer Auszeit in einem niederländischen Kloster kam er ins Erzbistum Köln, wo er seit 2018 in der Großpfarrei Innenstadt wirkt.
- Mit uns hat er darüber gesprochen, wie er sich ein Leben nach dem Tod vorstellt.
Herr Pfarrer Frings, mittlerweile glaubt die Mehrheit der Deutschen nicht mehr an ein Leben nach dem Tod. Tendenz steigend. Geht es Ihnen besser, weil Sie glauben, dass es für Sie weitergeht?
Ich kenne die Alternative ja nicht. Ich kenne nur mein Leben, wie es ist und ich lebe es mit der Vorstellung eines Lebens nach dem Tod. Ich glaube daran, aber ich weiß es nicht und damit geht es mir ziemlich gut.
Wie sieht denn Ihre Vorstellung aus?Gut, wie in allen Religionen. Es gibt zwar eine Hölle, aber da sieht sich ja niemand, eher im Himmel. Ich stelle mir eine große Steigerung von dem vor, was ich hier vorfinde. Vollkommenheit.
Worin besteht für Sie diese Vollkommenheit?
Wir sind natürlich immer nur in der Lage, dies analog zu hiesigen Erfahrungen zu beschreiben. In allen Darstellungen ist es ein großes Fest. Immer gutes Essen und gutes Trinken. Musik und viel Tanz. Das zieht sich durch viele Religionen. Ich glaube Augustinus hat gesagt: Mensch, du musst tanzen, sonst wissen die Engel nichts mit dir anzufangen. Für mich ist der Himmel Vollkommenheit von Liebe. Mein ganzes Leben wird wertgeschätzt und ernst genommen. Mit allem was ich richtig und falsch gemacht habe. Ich bin keinem mehr etwas schuldig, keiner mir.
Glauben Sie, dass Sie Ihre Liebsten wiedersehen?
Ja, das glaube ich. Doch noch spannender wird die Begegnung sein mit denjenigen, mit denen ich so meine Schwierigkeiten hatte. Am Ende eines Gottesdienstes gibt es einen Segen und den formuliere ich manchmal in diesem Sinne: Es segne euch, alle Menschen die ihr liebt — und alle die ihr noch nicht liebt unser Gott ...
Sie haben gesagt, dass die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod ein Grund für Ihren Glauben ist. Muss man Glauben heutzutage begründen?
Da sprechen Sie mit dem Richtigen. Ich bin jemand, der das deutlich ausspricht. Wissen Sie: In meiner Kindheit waren wir evangelisch, katholisch oder komisch.
Ich war angeblich komisch.
Und die Komischen mussten immer begründen, warum sie nicht normal waren. Sprich, keiner Konfession angehörten. Die konfessionell gebundenen Menschen geraten heute in die Minderheit und müssen jetzt begründen, warum sie glauben. Dazu noch in der Kirche. Und darauf ist die Kirche nicht gut vorbereitet oder hat es noch nicht verstanden. Sie denkt immer noch, sie könnte einfach einladen, weil sie von der Sache überzeugt ist.
Und welche Rolle spielt dabei die Frage nach dem ewigen Leben?
Vor hundert Jahren war an die konfessionelle Zugehörigkeit die Zusage des ewigen Lebens geknüpft. Es gab die Heilsgewissheit, das man mit der Taufe den Passierschein für den Himmel in der Tasche hat. Heutzutage ist es so, dass selbst kirchlicherseits nicht mehr behauptet wird, dass du die Sakramente empfangen haben musst, damit du in den Himmel kommst. Der Himmel ist für alle Menschen geöffnet worden. Damit ist es noch schwerer zu begründen, warum man noch an eine bestimmte Religion glaubt. Das allgemein Spirituelle ist viel leichter.
Selbst Kirchenmitglieder verlieren laut Umfrage den Glauben an das Leben nach dem Tod. Beobachten Sie das auch?
Ich will das nicht schönreden. Aber ich glaube, dass es davon abhängt, wie die Frage gestellt wird. Werde ich in der Einkaufsstraße interviewt und gefragt, ob ich an ein Leben nach dem Tod glaube, rechts und links eine Einkaufstasche, dann gebe ich vielleicht eine andere Antwort, als wenn ich gerade an dem offenen Grab eines Menschen stehe, den ich über alle Maßen geliebt habe, und gefragt werde: Glaubst du daran, dass dieser Mensch in irgendeiner Weise existent ist? Bei acht Milliarden Menschen ist es mir relativ egal, ob sie ein Leben nach dem Tod haben, weil ich sie nicht kenne. Bei einem konkreten wird das aber relevant .
Inwiefern?Ich erzähle Ihnen das Beispiel eines Bräutigams aus meinem Bekanntenkreis. Er ist Atheist. Dessen Vater ist vor drei Jahren gestorben. Bei der Hochzeitsfeier kam vom Bräutigam der Satz: Papa sieht uns. Er ist anwesend. Ich musste da schon sehr schmunzeln und dachte: Bei deinem Vater bist du also ein gläubiger Mensch geworden.
Das ist ein sehr schöner, sehr emotionaler Moment, vielleicht sogar ein gläubiger Augenblick. Braucht es dafür eine Religion?
Gläubig sein ist Religion. Wir kommen zwar als konfessionelle Christen in die Minderheit. Glaubende Menschen oder spirituelle Menschen sind wir aber viel mehr. Gehen Sie mal an einem Werktag um neun in den Dom zur Schmuckmadonna im linken Querschiff. Da haben sie schon ein Flammenmeer stehen. Ich glaube nicht, dass jeder reflektiert dort hingeht, um dort einen Glaubensakt zu setzen, sondern viele Touristen einfach eine Kerze anmachen, um irgendein diffuses, religiöses Zeichen zu setzen. Die machen ja nicht die Kerze an, damit der Dom heller wird. Sie verhalten sich zu etwas. Das ist für mich Religion.
Viele Jugendliche bezeichnen sich eher als gläubig denn als religiös. Tun Sie das, weil sie Religion immer noch zwangsläufig mit Kirche in Verbindung bringen?
Ja, ich glaube für viele ist das noch identisch. Kirche ohne Religion gibt es nicht. Wohl aber natürlich umgekehrt. Und da geht es in der Begrifflichkeit arg durcheinander. Auch wenn man die Atheisten fragt, von denen viele bestenfalls Agnostiker sind, indem sie sagen, ich weiß es nicht.
Gilt sicher auch für konfessionelle Christen, von denen sich auch einige mit der Idee der Seelenwanderung anfreunden können, nicht aber mehr mit dem Himmel-Hölle-Konzept.
Ja. Die wenigsten wissen, was jetzt genau die Lehre der Kirche sagt. Ich habe in der Familie einige, die vor Jahrzehnten aus der Kirche ausgetreten sind, aber zuhause einen Engel stehen haben und davor ein Kerzchen anzünden. Ich nehme das alles aber als sehr sympathisch wahr, weil ich weiß, dass auch in ihnen etwas anklingt. Zumindest die Sehnsucht, dass es weitergeht.
Die Sehnsucht nach einem jenseitigen Leben erfasst natürlich auch Konfessionslose. Auf die Formulierung: Die Seele lebt als Teil von etwas Größerem weiter, können sich ziemlich viele einigen. Können Sie irgendetwas damit anfangen?
In dem Moment, in dem ich mich in einen Menschen verliebe, wünsche ich mir, dass dessen Existenz niemals endet. Auch nicht durch seinen Tod. Wenn Eltern ein Kind bekommen, sagen sie nicht, das Letzte, was von dir bleibt, sind Würmer. Deshalb habe ich auch so viel Verständnis dafür, wenn Menschen nur für die kirchliche Trauung kommen, weil sie etwas spüren, dass sie übersteigt. Oder wenn sie nur für die Taufe eines Kindes kommen und nicht sagen, jetzt wollen wir auch noch etwas für die Kirchengemeinde tun. Die kommen, weil sie auf ein Gefühl bei sich auf eine religiöse oder spirituelle Weise reagieren.
Wünschen ist ja nicht glauben. Aber vielleicht reicht ja auch schon der innige Wunsch nach einer Fortsetzung?
Wozu?Als Trost zum Beispiel.
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Das Wort Trost nehme ich nur selten in den Mund, weil die Kirche zu lange alles mit dem Jenseits vertröstete und sich zu wenig ums Diesseits gekümmert hat. Aber wenn Sie es benutzen.
Ich dachte, einfach gut für die Psyche im Hier und Jetzt.
Wussten Sie, dass die Weltgesundheitsorganisation die Spiritualität zu einer Dimension der Gesundheit des Lebens erklärt hat? Also, als ein Bestandteil umfassender Gesundheit? Dazu gehört vielleicht auch schon das vorgeschaltete: Ich wünsche mir, glauben zu können. Ich finde, das ist doch schon viel. Ich kann natürlich nicht einfach so tun, als könnte ich glauben. Oder man versucht es wie Isaac Singer, der in seinem Essay „Der Büßer“ einen Menschen bei seinem Versuch beschreibt, religiös zu sein, weil ihm etwas fehlt. Er fängt mit der Praxis an und darüber erwächst ihm tatsächlich eine Religiosität.
Was tritt denn an die Stelle von Glauben bei Menschen, die wirklich nichts mehr erwarten?
Das weiß ich nicht. Ich kenne aber viele überzeugte Gläubige die angesichts des Todes große Zweifel bekommen. Und ich erlebe überzeugte Atheisten, die ebenfalls in Zweifel geraten. Da berühren sich beide Welten.
Wie bewerten Sie, dass die Skepsis mit dem Alter steigt? Nur 29 Prozent derer, die 65 Jahre und älter sind, glauben, dass da noch etwas kommt.
Ich bin überrascht. Vielleicht, weil es enger und konkreter wird. Wenn man 80 ist, wird die Zeit knapper, jetzt kommt es tatsächlich drauf an. Ich bin im letzten Lebensdrittel und noch glaube ich.
Ist der Zweifel die offene Hintertür für den Glauben?
Warum nicht. Ja. Zweifel ist wichtig. Er bewahrt vor Radikalisierung bei Glaubenden und Atheisten. Ich plädiere dafür, den Zweifel zu stärken. Doch wenn mich jemand auf dem Sterbebett fragt, gibt es ein Leben nach dem Tod, dann sage ich ja. Das ist das, was der Mensch in diesem Moment von mir hören will. Wenn mir aber jemand mit Sicherheit sagt, es gibt ein Leben nach dem Tod oder es gibt das nicht, dann säe ich Zweifel.
Gerade Kinder sind sehr empfänglich für, sagen wir mal, transzendente Hoffnungen. Wie gehen Sie damit um?
Ich überschreite manchmal meine Grenzen, wenn mich Kinder fragen, kann ich im Himmel Fußball spielen? Dann sage ich, ja, ohne dass ich es natürlich weiß. Aber für die Kinder ist Fußball spielen wie der Himmel auf Erden. Ergo geht es nicht darum, gegen einen Ball zu treten. Es ist das Schöne, was sie meinen.
Können Sie sich an Ihre kindliche Vorstellung vom Himmel erinnern?
Ich habe es als Kind mit anderen Worten beschrieben. Der Himmel war für mich schön. Als Erwachsener glaube ich an die Vollkommenheit, wie es sie hier nicht gibt. Wie man sie aber häufig erahnt, wenn man ein Musikstück hört oder vor einem Kunstwerk steht. Dann gibt es nahezu vollkommenen Momente.
Das wäre wunderbar.
Es gibt übrigens tolle Kinderbücher über den Tod. „Die schönsten Beerdigungen der Welt“ von Ulf Nielsson ist so eines. Nach dem Motto: Und morgen spielen wir etwas anderes.
Das klingt lustig. Sehr lebensfroh.
Darum geht es doch. Leben macht Spaß, auch wenn es endlich ist, vielleicht auch weil es so ist. Die Qualität mindert sich nicht, wenn ich darüber nachdenke.
Im Gegenteil. Wenn ich die WHO richtig verstanden habe, setzt dieser Gedanke erst Spiritualität und damit auch Ressourcen frei?
Angesichts existenzieller Fragen kann man Hoffnung schöpfen und seinem Leben einen Sinn geben. Sich verzeihen. Das klingt paradox. Und wenn es paradox ist, dann ist es nahe an der Wahrheit.