seit dem Tod meines Vaters lebt meine Mutter allein in unserem Elternhaus. Zum Glück wohnt meine Schwester mit Familie um die Ecke und kann leicht nach ihr sehen, gerade jetzt. Am vorigen Wochenende waren wir alle zu Besuch: Wir im Garten, Oma auf der höher liegenden Terrasse. Die Treppe wurde zum Kuchenbüffet mit Kaffeeausschank. Skurril und zugleich verbindend.
Ich erzähle Ihnen das, weil mir eine Leserin und ein Leser um die 60 in einer E-Mail fast gleichzeitig von ihrer großen Angst um Vater und Mutter berichteten. Beide lägen in einem Pflegeheim „notgedrungen“ im Bett und würden immer weniger. „Was wird sein, wenn wir nach Wochen unsere Liebsten wieder besuchen dürfen? Wie werden sie gealtert sein? Was ist aus ihnen ohne Physiotherapie geworden, ohne Arztbesuch, ohne Friseur, ohne Fußpflege?“ Das Personal im Heim könne den seelischen Verlust des Ausbleibens von Angehörigen nur bedingt auffangen. „Telefonieren geht manchmal noch, aber beide können sich kaum bewegen. Es wird auch dieser Kontakt weniger.“
Sicher spüren Sie – wie ich – die Not, die aus solchen Sätzen spricht. Und vielleicht teilen Sie sogar ein ähnliches Schicksal. Wir haben schon mehrfach auf das Problem der Isolation von Menschen in Pflegeheimen aufmerksam gemacht. Im Expertenrat von NRW-Ministerpräsident Armin Laschet ist es ein Thema, und auch unsere Kolumnistin Frauke Rostalski, jüngstes Mitglied im Deutschen Ethikrat, hat direkt nach ihrer Berufung die Notwendigkeit benannt, in der Corona-Krise das Infektionsrisiko gegen andere Gefahren wie Einsamkeit abzuwägen.
Mir ist klar, dass sich das abstrakt leichter sagen als konkret umsetzen lässt: Wenn ich mir etwa vorstelle, ich hätte den Besuch von Angehörigen in einem Pflegeheim erzwungen und dabei dann, selbst unwissentlich infiziert, andere Bewohner oder Pflegekräfte angesteckt, dann wird mir ganz anders.
Ich möchte auch nicht auf die abschüssige Bahn einer Debatte über die Frage geraten, was denn nun wichtiger sei – die Rettung Covid-19-Kranker vor dem oder der Schutz des Lebens von Menschen, die „nur“ mittelbar von der Pandemie betroffen sind. Man landet sonst schnell bei der sozialdarwinistischen Überlegung, ob sich der medizinische Einsatz für Menschen noch „lohnt“, die auch ohne Corona in Kürze sterben würden.
Wie bewahren wir in der Krise die Mitmenschlichkeit? Doch zuerst, indem wir wach und sensibel bleiben für die Menschen um uns. Dann werden allgemeine „Problemstellungen“ nämlich zu persönlichen Bedürfnissen. Wenn wir von „Öffnung“ sprechen, sollten wir also immer auch an Herz und Sinne denken und nicht nur an Werkstore oder die Türen von Schulen und Kitas denken – so wichtig auch das ist.
Bleiben Sie gesund! Achten Sie auf sich und Ihre Nächsten!