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Kommunalwahl in PorzWie eine junge Aktivisten zur Hoffnungsträgerin der Linken wird

Lesezeit 6 Minuten
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Sarah Niknamtavin hat sich bereits vielfältig engagiert, nun will sie in den Rat

  1. 45 Wahlbezirke gibt es in Köln. Bis zur Wahl am 13. September berichten wir aus allen Veedeln der Stadt.
  2. Es geht um spannende Duelle, interessante Kandidaten, prägende Themen und Trends und Kuriositäten.
  3. In dieser Folge stellen wir Ihnen eine 21-jährige Aktivistin vor, die den Klimawandel als die größte Bedrohung unserer Zeit sieht und gegen Rassismus kämpfen will.

Köln – Ein schüchternes Kind ohne Hobbys, ohne wirkliche Interessen neben der Schule. Auf der Suche nach einer Leidenschaft. „Das war ich damals“, sagt Sarah Niknamtavin, die heute 21 Jahre alt ist und als eine der Spitzenkandidatinnen der Linken in den Stadtrat will. Sie habe sich in Sportvereinen und einem Theaterkurs versucht – aber ohne Erfolg. Vielmehr machte sich Langeweile breit, vor allem in den Ferien. „Da war eine riesengroße Lücke und ich wusste, dass es so nicht weitergehen kann.“ Sie fing an, sich zu informieren, wo man sich in Köln engagieren kann. Wird auf Organisationen wie Unicef und Greenpeace aufmerksam.

So besucht die damals 15-jährige Realschülerin die Unicef-Hochschulgruppe. „Ich war eine halbe Stunde zu spät und habe darum mit mir gehadert, ob ich nun noch reingehen soll oder nicht“, sagt Niknamtavin, die mit drei älteren Geschwistern in Porz aufgewachsen ist. Sie entscheidet sich dagegen. Wartet lieber das Ende der Veranstaltung ab, um die Verantwortlichen direkt anzusprechen.

In den Vorstand der Kölner Bezirksschülervertretung gewählt

„Die Leidenschaft und Selbstlosigkeit, die die Menschen hatten, die sich dort engagiert haben, haben mich total fasziniert. Und irgendwann ist dann auch ein Funke zu mir übergesprungen.“ Sie wird daraufhin selber ein Teil davon, tritt neben Unicef auch der Jugendgruppe von Greenpeace bei. Wird in den Vorstand der Bezirksschülervertretung gewählt, genauso wie in den Vorstand des Kölner Jugendrings.

Sie eignet sich in ihrer Freizeit selbstständig immer mehr Wissen über Themen wie Klima- und Umweltschutz, Fleisch- und Plastikkonsum an – etwas, das in der Schule nicht möglich sei. „Das Schulsystem ist nicht darauf aufgebaut, dass man seine Persönlichkeit entfaltet. Man wird wie in einem Hühnerstall eingepfercht und nach Zahlen bewertet.“

Möchte die Linksjugend im Kölner Stadtrat vertreten

Ihre Noten werden mit der Zeit schlechter. Dafür wird sie im Alter von 17 mit dem Ehrenamtspreis der Stadt ausgezeichnet. Nach der elften Klasse bricht sie dann die Schule mit Mittlerer Reife ab, um sich auf ihre politischen Aktivitäten zu konzentrieren. „Das war die beste Entscheidung meines Lebens“, so Niknamtavin. Sie tritt der Linksjugend bei – und möchte diese nun im Kölner Stadtrat vertreten.

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Bei der Kommunalwahl am 13. September kandidiert sie in Wahnheide, Wahn, Lind, Libur und Zündorf – die Stadtteile bilden den Wahlbezirk 32. Aktuell ist die Linke mit sechs Sitzen vertreten. Dass die 21-Jährige, die auf der Reserveliste ihrer Fraktion auf Platz fünf steht, tatsächlich Ratsmitglied wird, ist daher realistisch und ein guter Karrierestart in der Kommunalpolitik.

Respekt bei den Wählern verdienen

Dennoch befürchte sie, dass sie als junge Frau weniger ernst genommen werde, als Männer in ihrem Alter. „Man wird oft als Küken angesehen, das erst noch von den Älteren lernen muss“, so Niknamtavin. Doch so sei es nicht. Natürlich müsse man sich Respekt verdienen – allerdings vielmehr bei den Wählern.

Und auch in ihrer eigenen Partei sieht Sarah Niknamtavin eine Herausforderung: „Die Linke ist eine alteingesessene Partei, wo Themen wie Klimaschutz, vegane Ernährung und Queerness nicht wirklich präsent sind. Das finde ich schade.“ Doch genau das solle sich nun ändern, denn vor allem „der Klimawandel ist die größte Bedrohung unserer Zeit“. Alle anderen Themen seien hinfällig, wenn die Erde „verrotten“ würde. Daher müssten Gruppen wie Fridays for Future unterstützt werden, „weil es super cool ist, dass Jugendliche gerade diese Energie wiederfinden, sich gemeinsam für etwas einzusetzen“.

Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus

Zudem fordert Niknamtavin, dass auf allen städtischen Gebäuden Photovoltaikanlagen eingesetzt werden, durch die mithilfe von Solarzellen Sonnenstrahlen in elektrische Energie umgewandelt werden. Außerdem soll die Rhein-Energie bis zum Jahr 2030 nur noch in erneuerbare Energien investieren. „Ich finde nicht, dass diese Forderungen super utopisch sind. Und der Klimawandel ist nicht diskutabel, er ist Fakt.“

Ein weiteres wichtiges Thema für die 21-Jährige ist der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus. Dabei sei ziviler Ungehorsam, etwa in Form von Blockaden, bei Gegendemonstrationen ein legitimes Mittel. „Man kann nicht mit Blumen werfen, wenn gewaltbereite Neonazis auf der anderen Seite Steine haben“, so Niknamtavin, die früher selber unterschwelligen Rassismus mitbekommen habe, weil ihre Mutter ein Kopftuch trägt.

Jenen gewaltbereiten Rechten müsste Angst gemacht werden, denn man dürfe nicht erst darauf warten, bis ein Flüchtlingsheim in Brand steht oder noch mehr Menschen Attentaten zum Opfer fallen. Es sei wichtig, mehr zu tun, als nur auf den Boden „Köln bleibt bunt“ mit Kreide zu schreiben. Das sei schön und höre sich gut an, doch sei letzten Endes keine große Abschreckung.

Ausbau des Straßenbahnnetzes und kostenloser ÖPNV

In ihrem Wahlbezirk wolle sie sich hingegen für den Ausbau des Straßenbahnnetzes und einen kostenlosen Öffentlichen Personen- und Nahverkehr einsetzen. „Ich kenne die Probleme in Porz. Ich habe selbst erlebt, dass ab einer bestimmten Uhrzeit keine Bahnen mehr fahren und ich von der Innenstadt aus nicht mehr zurückgekommen bin“, so Niknamtavin. Zudem sei es für viele Menschen zu teuer, sich überhaupt ein Ticket zu kaufen. „Meine Mutter arbeitet zwar, kann sich allerdings trotzdem kein Monatsticket leisten. Dadurch fährt sie sehr selten bis gar nicht in die Innenstadt, was super schade ist.“

Wie ihre weitere politische Karriere in der Zukunft verläuft, wisse Sarah Niknamtavin noch nicht. Für sie sei die Kommunalwahl und ihre mögliche Ratsperiode eine Möglichkeit, „um das System einmal von innen kennenzulernen“. Sie wolle Politik und politisches Engagement für andere nahbar machen, „denn es wäre wünschenswert, wenn sich mehr junge Leute dafür interessieren würden“. Für ein „buntes Köln“, das nicht nur mit Kreide auf die Straße geschrieben, sondern auch gelebt wird.

Noch mehr Kandidaten im Wahlbezirk 32

Mit dem amtierenden SPD-Fraktionschef Christian Joisten und dem CDU-Ratsherr und Schulpolitiker Helge Schlieben streiten sich hier zwei exponierte und profilierte Kommunalpolitiker um das Direktmandat. Der Zuschnitt des Wahlkreises hat sich etwas verändert. Dadurch könnte es noch spannender werden.

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Christian Joisten

Zum Wahlbezirk 32 gehören Wahnheide, Wahn, Lind, Libur und Teile von Zündorf. Bei der letzten Kommunalwahl hatte Joisten rund 170 Stimmen mehr als Schlieben.

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Helge Schlieben

Die Grünen, für die nun der Bezirksvertreter Dieter Redlin kandidiert, musste sich mit mageren 8,7 Prozent zufrieden geben. Redlin war 2018 aus Protest gegen die Grüne-Fraktionsspitze im Rat wegen des Postenklüngels bei den Stadtwerken aus seiner Partei ausgetreten, ein Jahr später trat er wieder ein.

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Dieter Redlin

Überdurchschnittlich stark war beim letzten Mal die AfD mit 7,5 Prozent. Addiert man die ebenfalls beachtlichen 4,2 Prozent für Pro Köln dazu, wählten hier 11,7 Prozent eine rechtsextreme oder rechtspopulistische Partei.

FDP und Linke bekamen nur rund 4 Prozent. Insgesamt treten nun elf Parteien mit ihren Kandidaten an. (fra)