- Nach dem Mord an dem städtischen Mitarbeiter Kurt Braun in Dünnwald ermittelt nun die Staatsanwaltschaft, ob Fehler im eigenen Haus gemacht wurden.
- Im Zentrum steht ein psychiatrisches Gutachten, das nach vorherigen Taten des Beschuldigten zwar angefragt wurde, aber nie bei der Staatsanwaltschaft eingegangen ist.
- Unterdessen kommen weitere Details zu den vorherigen Angriffen des Beschuldigten an seiner Wohnungstür und in einer LVR-Klinik ans Licht.
Köln – Nach dem Mord an dem städtischen Mitarbeiter Kurt Braun in Dünnwald Mitte Dezember ermittelt die Staatsanwaltschaft Köln, ob ein Staatsanwalt im eigenen Haus einen Fehler gemacht hat. Es handele sich um ein disziplinarrechtliches Verfahren, betonte Behördensprecher Ulf Willuhn.
Strafrechtliche Verstöße kämen nicht infrage; das habe eine Prüfung ergeben. Als Staatsanwalt müsse man nur dann strafrechtliche Ermittlungen fürchten, wenn man sich im Dienst „bewusst und vehement gegen das Recht gestemmt“ habe, erläuterte Willuhn.
Gutachten angefragt, aber nie angekommen
Der betreffende Staatsanwalt, so der Verdacht, hätte sich im Sommer mit mehr Nachdruck darum kümmern müssen, den mutmaßlichen Mörder (60) von Kurt Braun psychiatrisch begutachten zu lassen.
Zwar soll der Staatsanwalt zu diesem Zweck einen Sachverständigen schriftlich angefragt haben, eine Antwort sei aber nie bei der Staatsanwaltschaft eingegangen – entweder weil der Gutachter keine verfasst hat oder weil das Schreiben auf dem Postweg verloren gegangen ist. In jedem Fall aber, so der Vorwurf, hätte der Staatsanwalt nachhaken müssen – was er nicht getan hat.
Hätte die Tat durch ein Gutachten verhindert werden können?
Wäre der Gutachter zu dem Schluss gekommen, dass der 60-Jährige schon im August so krank war, dass er dauerhaft in einer Klinik hätte untergebracht werden müssen, wäre die Tat im Dezember wohl nicht geschehen. Braun wurde am Montag auf dem Nordfriedhof beerdigt.
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Anzeichen für eine schwere psychische Erkrankung des mutmaßlichen Mörders gab es schon Monate vorher, aber wohl auch Hinweise, die dagegen sprachen – etwa ein Entlassungsgutachten aus einer LVR-Klinik.
Brutaler Angriff auf bereits im März 2019
Aus einem Schreiben des NRW-Justizministeriums an den Rechtsausschuss des Landtags wird deutlich, wie brutal der 60-Jährige am 6. März vorigen Jahres im Hausflur vor seiner Wohnung offenbar eine städtische Bedienstete und einen Amtsarzt angegriffen hatte. Der Arzt sollte den Mieter, der unter gerichtlich bestellter Betreuung stand, psychiatrisch begutachten. Warum der 60-Jährige betreut wurde, blieb am Dienstag unklar.
Auf Klopfen und Klingeln reagierte der Mann nicht. Als die Stadtmitarbeiterin drohte, die Tür gewaltsam öffnen zu lassen, soll der Mann die Tür aufgerissen haben, mit einem 20 Zentimeter langen Schraubendreher in seiner erhobenen Hand herausgestürmt sein und der Frau in Richtung Gesicht und Hals gestochen haben.
Polizisten setzten Angreifer mit Reizgas außer Gefecht
Reflexhaft riss sie ihre Aktenmappe hoch und blieb nahezu unverletzt – in der Mappe klaffte ein zehn Zentimeter langer Riss. Auch auf den Arzt habe der 60-Jährige einstechen wollen, zwei Polizisten, die zur Begleitung dabei waren, setzten den Angreifer aber mit Reizgas außer Gefecht. Er wurde in eine geschlossene Klinik des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) eingewiesen.
Dort soll er laut Ministeriumsbericht am 23. März von hinten an einen Pfleger herangetreten sein, der gerade frühstückte, und ihn auf die Schulter und gegen den Oberarm geschlagen haben. Als der Pfleger sich umsah, habe der 60-Jährige mit einem Frühstücksmesser in der Hand vor ihm gestanden.
Klinikleitung regte Unterbringung in psychiatrischem Krankenhaus an
Eine Pflegerin, die ihrem Kollegen zur Hilfe kommen wollte, soll der Patient mit dem Messer an eine Wand gedrängt haben. Mindestens zwei Stichbewegungen habe er in Richtung des Bauchs der Frau gemacht. Sie wehrte sich mit Tritten und blieb unverletzt. Polizisten fesselten den Mann.
Nach dem Vorfall regte die Klinikleitung schriftlich bei der Staatsanwaltschaft Köln an, den 60-Jährigen in einem psychiatrischen Krankenhaus unterbringen zu lassen. Um dies prüfen zu lassen, schrieb der nun beschuldigte Staatsanwalt den Sachverständigen an mit der Bitte mitzuteilen, ob er für eine Begutachtung bereitstünde. Danach geschah in dieser Sache offenbar nichts mehr.
LVR beruft sich auf Schweigepflicht
Völlig unklar ist bis heute, warum die Klinik den 60-Jährigen dann am 18. April nach Hause entließ. Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass ein Arzt der Klinik einen Patienten vor einer Entlassung untersuchen muss. Offenbar kam der Mediziner zu der Einschätzung, dass von dem Mann keine Gefahr mehr ausging. Worauf diese Einschätzung beruhte, wollte der LVR am Dienstag auf Anfrage mit Verweis auf den Datenschutz und die ärztliche Schweigepflicht nicht mitteilen.
Wie das Justizministerium dem Rechtsausschuss außerdem berichtet, soll die Staatsanwaltschaft bereits 2003 wegen Verdachts eines versuchten Tötungsdelikts gegen den 60-Jährigen ermittelt haben. Er soll an einem Messerangriff auf einen Taxifahrer am Wiener Platz beteiligt gewesen sein. Weil er die Tat bestritt, weil das Opfer ihn nicht wiedererkannte und weil DNA-Spuren am Tatort nicht mit der DNA des 60-Jährigen übereinstimmten, hatte die Staatsanwaltschaft das Verfahren mangels hinreichenden Tatverdachts eingestellt.
Seit dem mutmaßlichen Mord an Stadtmitarbeiter Kurt Braun, der offene Geldforderungen bei dem 60-Jährigen eintreiben wollte und die gesamte Vorgeschichte wohl nicht kannte, sitzt der Beschuldigte in einem psychiatrischen Krankenhaus im Ruhrgebiet. Die Stadt will nach Angaben von Oberbürgermeisterin Henriette Reker nun ein ämterübergreifendes Meldesystem einführen, um solche Fälle künftig zu verhindern.