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Nach dem MissbrauchsgutachtenWoelki: „Ich habe nicht das Menschenmögliche getan“

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Woelki_Konsequenzen

Erzbischof Rainer Woelki am Dienstag in Köln

Köln – Wir sind in einem Rechtsstaat. Das ist Kardinal Rainer Woelki sehr wichtig an diesem Tag, an dem er erste Konsequenzen aus Fehlern, Versäumnissen und Pflichtverletzungen im Umgang des Erzbistums Köln mit sexuellem Missbrauch vorstellt. Denn dann sind auch die Kirche und ihre Verantwortlichen den Regeln des Rechtsstaats unterworfen.

Was in diesem Fall bedeutet: Urteilen und Verurteilen, das dürfen als Einzige die Gerichte. Ganz so ist es natürlich nicht. Denn neben juristischen Urteilen gibt es zum Beispiel auch noch die moralischen. Und da zählen dann andere Kategorien.

Von denen ist denn auch ausführlich die Rede, als Woelki zum ersten Mal zu dem von ihm beauftragten Rechtsgutachten mitsamt den Folgen Stellung nimmt, die sich daraus ergeben. Woelki spricht von Schuld, von Sünde, von Scham – von fehlendem Mitgefühl, von mangelnder Bereitschaft, auf die Stimme der Missbrauchsopfer zu hören. „Wie muss das verletzt, erniedrigt haben?“, fragt er mit belegter Stimme.

Ansprache schwankt zwischen Schuldbekenntnis und Verteidigungsrede

Das Genre seiner Ansprache schwankt zwischen Schuldbekenntnis, Anklagerede und Plädoyer der Verteidigung. Zum ersten Mal seit Beginn der mittlerweile fast einjährigen Kontroverse um ein erstes, unter Verschluss genommenes Gutachten, die Bestellung eines Ersatzgutachtens und auch um gegen ihn selbst gerichtete Vertuschungsvorwürfe spricht Woelki von persönlichen Fehlern.

Aus dem 900-Seiten-Gutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke wisse er nunmehr, dass er im Fall des mit ihm befreundeten Pfarrers Johannes O. „pflichtgemäß und rechtssicher gehandelt“ habe, als er einen Missbrauchsvorwurf 2015 nicht untersuchen ließ und die Information nicht nach Rom weitergab. Aber: „Ich habe nicht das Menschenmögliche getan“.

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Er hätte den Fall zwar nicht melden müssen, aber er hätte ihn melden können und sollen. „Es wäre besser gewesen, wenn ich es so getan hätte.“ Und es sei nicht das erste Mal, dass er mehr hätte tun müssen, fügt Woelki hinzu.

Auch in einem anderen Fall habe er einen anderen Missbrauchstäter – unter Befolgung römischer Anweisungen – zu lange unbehelligt gelassen. Er habe Zweifel daran, „alles getan zu haben, was hilft“. Das sei für ihn „auch ein beschämendes Beispiel für meine persönliche Unzulänglichkeit“.

An diesem Punkt jedoch, an dem er dieses Eingeständnis mit dem Satz „und deshalb trete ich zurück“ hätte vollenden können, biegt Woelki den Gedankengang ins Gegenteil um: „Ich kann es nur aus meinem Amt heraus besser machen.“

Und genau hier kippt das „Mea culpa“ in einen kraftvoll-energischen Auftritt des Aufklärers Woelki. „Die moralische Verantwortung einfach mitnehmen und gehen zum Schutz des Ansehens von Bischofsamt und Kirche – das ist mir zu einfach“, sagt er. Wer noch die Erklärung des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße aus der vorigen Woche im Ohr hat, dem fällt auf, dass dies genau die Begründung war, mit der Heße sein Rücktrittsgesuch an den Papst unterlegte.

So also will Woelki nicht weichen. Ein Rücktritt wäre lediglich „ein Symbol, das nur kurze Zeit hält“, und sein Weg der Verantwortung sei es stattdessen zu verstehen, „dass ich die Vergangenheit nicht ändern, aber hier und heute und in Zukunft alles tun kann, dass möglichst keine Fehler mehr passieren“.

Alles und sofort wäre auch bei allerhöchsten Ansprüchen zu viel verlangt. Aber einen Anfang immerhin setzt der Kölner Erzbischof. Sein Generalvikar Markus Hofmann stellt einen Acht-Punkte-Plan vor. Dem Katalog eher formaler Folgerungen fügt Woelki dann – wie in einer spontanen Aufwallung – noch einige Punkte hinzu. „Ich bin, wie unverkennbar wahrzunehmen, der zuständige Erzbischof“.

Mit all seiner Macht wolle er verbessern, was in Köln zu verbessern ist: eine gründlichere Vorbereitung der Pfarrer auf ihre Leitungsaufgaben, Optimierung der Amtsführung („Good Governance“), Formen von Macht- und Entscheidungskontrolle. Auf die Frage, wie er mit dem Gedächtnis und dem Erbe seines Vorgängers und Mentors Joachim Meisner umgehen will, bleibt Woelki vorerst unkonkret.

Woelki will von Meisners unrechtmäßigem Handeln nichts gewusst haben

Dass er das Wirken Meisners und seinen Einsatz für den Schutz des Lebens in den Würdigungen nach Meisners Tod „verkürzend“ dargestellt habe, müsse er „im Nachhinein“ zugeben. Allerdings habe erst das Gercke-Gutachten ans Licht gebracht, „wie das Entscheiden des Erzbischofs wirklich gewesen ist“.

Daran haben viele im Kölner Erzbistum Zweifel. Die Kölner Laienvertretung zum Beispiel will Woelkis Rolle als langjähriger Geheimsekretär und Weihbischof geklärt wissen. Von Woelki – und dem Generalvikar als seinem Alter Ego – gibt es dazu wortreich nur die Auskunft, er sei in Missbrauchsfälle „grundsätzlich nicht eingeschaltet“ gewesen und habe auch nicht „irgendwelches Wissen“ gehabt, das zu Entscheidungen geführt hätte.

Somit habe er auch nicht gewusst, dass Kardinal Meisner „nicht nach Recht und Gesetz vorgegangen ist“. Rufe nach der Umbenennung eines nach Meisner benannten Platzes könne er verstehen und werde die Diskussionen aufmerksam verfolgen.

Was allerdings nicht allzu schwer sein dürfte, da besagter Meisner-Platz – der erste und einzige in ganz Deutschland – weit weg von Köln in Thüringen liegt. Eine Umwidmung der millionenschweren Kardinal-Meisner-Stiftung müsse von Stiftungsrechtlern geprüft werden.

Er gehe aber davon aus, dass sein Generalvikar „sich das schon notiert hat“. Zum Schluss bemüht Woelki das Wort vom Neubeginn. „Es kann nicht mehr alles so bleiben, wie es war.“ Dass er dafür steht, indem er bleibt, wo er ist – das ist das paradoxe Versprechen, das er nun einlösen muss.