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Drogenszene am Kölner NeumarktVor aller Augen am Abgrund

Lesezeit 6 Minuten
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Drogensüchtige spritzen sich in am Rautenstrauch-Joest-Museum gegenüber des Neumarkts Heroin.

Köln – Als der Himmel über ihm zu krachen beginnt und die Wolken ihre Schleusen öffnen, wirkt Andreas (Name geändert) im Durcheinander der Menschen verloren. Er will seinen Schlafsack vor dem Regen schützen und die Kippe im Mund behalten. Seine Pupillen, die all das begleiten, sind zu diesem Zeitpunkt so groß wie ein Pfefferkorn. Andreas ist heroinabhängig.

Es ist viel los an diesem Abend am Neumarkt, einem der Drogenumschlagplätze der Stadt, der mehr denn je zum Angstraum und Politikum geworden ist. Hier gibt es Konsum mit Aussicht. Politik und Anlieger streiten darum, ob es am Neumarkt einen Drogenkonsumraum geben soll, oder ob gerade der noch weitere Abhängige anziehen könnte.

Der Schauer ist vorbei, die Menge entspannt sich. Geschäftsleute mit Aktentasche und Rollkoffer gehen Richtung U-Bahn, eine Mutter mit Kinderwagen auf die Schildergasse, die letzten Einkäufe erledigen. Andreas bleibt stehen. Sein Platz ist die Straße, seit 17 Jahren.

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Auf der Treppe zum Neumarkt bereitet sich ein Drogensüchtiger für seinen Rausch vor.

Direkt nach der Schule zog es ihn hierher. Auf dem Neumarkt, unter der Überdachung zwischen Imbiss und Büdchen, ist er jeden Tag. Hier gibt es das, was Andreas nicht loslässt: Heroin. Die Droge, an der sein Bruder gestorben ist. Andreas sagt „Shore“ dazu.

„Abends ´ne Bubble“

So nennt man das Opiat, das aus Schlafmohn gewonnen wird, in der Szene, wenn es von minderer Qualität und günstig ist. „Ich bin im Programm“, sagt er, gedanklich recht klar. Auf Entzug also. Aber wie etwas loslassen, was so fest greift. „Abends´ne Bubble“, sagt Andreas.

Bubble, zu Deutsch: Blase, sind die Bezeichnung für zwei Zehntel Gramm Shore als Kügelchen in Cellophan gewickelt; so lässt sich das Heroin leicht im Mund aufbewahren. Geraucht oder gespritzt gönnt er sich die Bubble für die Seele, für die Nacht. Immer dann, wenn für ihn auch die Suche nach einem Schlafplatz beginnt.

„Irgendwo findet hier jeder seine eigene Platte“

Im Rheinpark, am Schuhgeschäft an der Hohe Straße, am Hauptbahnhof. „Irgendwo findet hier jeder seine eigene Platte“, sagt Andreas und zieht an seiner Zigarette. Er meint damit einen Ort für sich und seinen blauen Schlafsack, ehe er am Morgen „wach getreten“ wird, wie er sagt. Von KVB-Mitarbeitern, Polizisten oder Ladenbesitzern. Beginnt ein Tag für Andreas, brauche er etwa 20 Euro, schätzt er.

Ein bisschen Trinken, ein bisschen Essen und Heroin. Gerade ist er auf der Suche nach einer Zahnbürste und schnorrt dafür etwas Geld. Seine obere Zahnreihe ist faulig, sein Körper versinkt fast im grauen T-Shirt und der khakifarbenen Dreiviertel-Hose. Die langen, dunklen Haare sind feucht und fettig. Die Drogen haben ihn ausgezehrt.

Jorge verkauft am Neumarkt Heroin

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Drogensüchtige spritzen sich am Rautenstrauch-Joest-Museum gegenüber des Neumarkts Heroin.

Es sind Leute wie Andreas, mit denen Jorge sein Geld verdient. Er lächelt, als er seinen Namen sagt, im Wissen, dass es nicht sein richtiger ist. Jorge, ein stolzer Mann mit kurzen, grauen Haaren, Burberry-Hemd, Silberkette und osteuropäischem Akzent, er ist Kasache, verkauft am Neumarkt Heroin.

Heroin, Haschisch, Kokain, Amphetamin

„150 Euro“, sagt Jorge, brauche er, um neue Ware zu beschaffen. Manche Bettler, heißt es in der Szene, bekommen an guten Tagen das Gleiche. Fünf Gramm holt er dann, für sich, für die anderen, für das Leben mit seiner Freundin. Er ist nicht obdachlos, Jorge hat eine Wohnung außerhalb Kölns. Jorge kann fast alles besorgen. Heroin, Haschisch, Kokain, Amphetamin. Nur Crystal Meth, das hat er nicht. Crystal ist besonders leicht herzustellen und wirkt schnell und intensiv im Gehirn. Das macht es extrem gefährlich.

„Widerlich“, sagt Jorge, „bestialisch das Zeug“ und streift mit der rechten Hand seine Silberkette von der rechten Brust, die eine tätowierte Rose ziert. Zwischen 30 und 70 Euro kostet ein Gramm Shore. Eine Bubble, zwei Zehntel Gramm Shore also, gibt es für zehn Euro. Ein Gramm Gras ebenfalls. Aber das, so sagt man hier, kaufe man lieber am Ebertplatz. Dort, wo die Afrikaner stehen. Am Neumarkt, wo Jorge dealt, gibt es Heroin.

Er ist der, der den Rausch befriedigt

Seit fünf Monaten verkauft er wieder hier – jeden Tag. „Nur sauberes Zeug“, wie er versichert, und er ist offenbar ein gefragter Mann. In das Gespräch platzt ein Herr hinein. Anfang 50 geschätzt, schmale Brille, untersetzt, zu den olivgrünen Socken trägt er Wanderschuhe. Freundlich ist er, nicht ungepflegt. In der Hand hält er einen Energy-Drink.Seinen Freitagabend, denkt man im ersten Moment, könnte er auch mit seiner Familie auf der Gartenterrasse verbringen.

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Die Drogenszene am Kölner Neumarkt.

Stattdessen möchte er Drogen kaufen; Shore. „Warte kurz, wir unterhalten uns gerade, siehst Du doch“, raunt Jorge. Er darf das hier. Er ist der, der den Rausch befriedigt. Lange möchte Jorge das nicht mehr machen, eigentlich sei er Landschaftsgärtner, erzählt er, und holt eine Bubble aus seinem Mund, die er einem vorbeigehenden Kunden schweigend in die Hand drückt.

In Cellophan verpackt, kann er sie so unauffällig lagern und schnell verschlucken, sollten Beamte kommen. „Zweimal am Tag, mindestens“, sagt Jorge. Man kennt sich, auch die Zivilpolizisten. Angst hat er nicht. Weiter muss er trotzdem. Es gibt Geld zu verdienen.

Die Abhängigen sind immer da

Das hat sich Gürkan Saat auch gedacht. Auch er handelt am Neumarkt: allerdings mit Pommes, Döner und Currywurst. Saat, ein offener Mann mit freundlichem Lächeln und rundem Gesicht, stellt einige der Tische und Stühle vor seinem Imbiss zusammen. Essen tut hier niemand. Die Junkies benutzen sie als Ablagefläche für ihren Rucksack, einige auch für ihre Spritzen und Bleche, die Alufolien also, die sie für das Rauchen von Heroin erhitzen. „Da muss man beim Aufräumen selber aufpassen“, sagt Saat.

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Ein Dorgensüchtiger mit seinem „Besteck“.

So krass habe er sich all das aber nicht vorgestellt, als er sich im April selbstständig machte und die kleine Bude am Neumarkt übernahm. „Trotzdem arbeite ich gerne, unter der Woche zwölf, am Wochenende auch 15 Stunden.“ Die Abhängigen sind immer da. Ständig kommen neue dazu. Oftmals stehen sie, wie an diesem Freitagabend, zu gut einem Dutzend im Pulk.

Andreas aber will gehen; Richtung Rheinpark. Alles, was er hat, passt in den dunkelblauen Rucksack, den er trägt. Eine Decke, eine Nagelschere, zerknüllte Papiere und ein Buch. Sam Bourne, „Die Gerechten“, Seite 440. Ist die Gesellschaft gerecht? „Wenn du einmal Scheiße baust, tritt dich das System immer weiter nach unten“, sagt Andreas zum Abschied.

Er will sich langsam einen Schlafplatz suchen und die Zahnbürste besorgen, für die er vorher gebettelt hatte. Er wird an diesem Abend noch einmal zum Neumarkt zurückkehren. Eine Flasche Bier hat er sich dann gekauft, keine Zahnbürste. Die Bubble für die Nacht schon im Mund.

Drogenkonsumraum nicht vor 2018

An der Thieboldsgasse soll der neue Drogenkonsumraum die Situation rund um den Neumarkt entschärfen. Er soll, so die Hoffnung von Politik und Verwaltung, den Abhängigen einen geschützten Rahmen bieten und den öffentlichen Konsum in Hauseingängen und Geschäftspassagen eindämmen.

Der Start des Hilfsangebots wird sich allerdings verzögern. Statt im Herbst, wie ursprünglich geplant, rechnet die Stadt jetzt mit einer Inbetriebnahme erst zu Beginn 2018.

Gegen den Konsumraum hat sich eine Bürgerinitiative aus Anwohnern, Geschäftsleuten und Hausbesitzern gebildet. Sie befürchten, dass das Angebot weitere Süchtige aus der ganzen Stadt anziehen und das Problem verschärfen könnte. (jac)