Lange Zeit wusste niemand etwas über die Geschichte des Hauses an der Neusser Straße 27 bis 29. Erst nach einem Bericht im "Kölner Stadt-Anzeiger" fügten sich die Puzzleteile zusammen.
Historischer OrtLuxuskarossen aus dem Kölner Agnesviertel
Die Spurensuche führt die drei Herren über eine Rampe hinab in die Tiefgarage. Hier müssen die Automobile aus dem Hause Papler einst zur Auslieferung geparkt worden sein. Da sind sich Karl Rosarius, Horst Nordmann und Helmut Rupsch sicher. Es waren stattliche Luxus-Karossen, die von hier aus auf die Kölner Straßen entlassen wurden - per Handarbeit zusammengesetzt für betuchte Herrschaften der Kölner und internationalen High Society.
Der Rundgang in die Vergangenheit führt in das „Erft-Haus“, einem gründerzeitlichen Wohn- und Geschäftshaus im Agnesviertel. Karl Rosarius, der 1990 das Gebäude an der Neusser Straße 27 bis 29 in reichlich marodem Zustand kaufte und aufwändig sanieren ließ, wusste bis vor Kurzem wenig über diese Geschichte. „Es gibt kaum Unterlagen von diesem Bau“, sagt der 85-Jährige. Erst ein Bericht im „Kölner Stadt-Anzeiger“ brachte vor einigen Wochen Licht ins Dunkel.
In dem Beitrag ging es um Horst Nordmann, der die Kölner Fahrzeug-Geschichte erforscht und kürzlich zwei kostbare Alben mit Fotos von Papler-Automobilen aus den 1920er Jahren ankaufte. Als Produktionsstandort nannte Nordmann unter anderem das „Erft-Haus“. Es war das große Puzzleteil, nach dem Karl Rosarius lange gesucht hatte: „Ich habe erfahren, was hier wirklich war.“ Viele weitere Puzzleteile wurden jetzt bei einem Treffen vor Ort gefunden.
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Ein wichtiger Teil der Familiengeschichte
Mit dabei war auch Helmut Rupsch, dessen Großvater bis Ende der 1950er Jahre als Sattlermeister bei Papler beschäftigt war. Als Kind habe er die Arbeitsstätte seines Opas leider nie von innen zu Gesicht bekommen, sagt der 79-Jährige: „Es bedeutet mir sehr viel, hier nochmal reinzuschauen.“ Auch Horst Nordmann besichtigt an diesem Nachmittag zum ersten Mal das Papler-Gebäude. Er ist beeindruckt: „Man kann sich die Firma vor dem geistigen Auge wieder vorstellen.“
Das Karosseriewerk „Papler & Sohn“ wurde 1868 gegründet und war zunächst im Severinsviertel, später dann an der Neusser Straße zu Hause. Anfangs wurden hochwertige Kutschen produziert, ab 1908 auch Automobil-Karosserien. Ungefähr zu diesem Zeitpunkt zog Papler in das Erft-Haus um, das 1905/06 nach Plänen des Architekten Oscar Schütz gebaut worden war. Auftraggeber war die Vermögensverwaltung der Familie von Carstanjen, die mit Zucker und Tabak reich wurde. Der Name „Erft-Haus“ ist laut Ulrich S. Soénius, Direktor des Rheinisch-Westfälischen Wirtschaftsarchivs, einfach zu erklären: „Die Neusser Straße endet in Neuss und dort mündet die Erft in den Rhein.“
„Architektonisch ist es ein Schmuckstück“
Im dreiteiligen Vorderhaus entstanden großbürgerliche Wohnungen, über der mittleren Einfahrt zum Hinterhaus mit den Werkstätten entfaltete sich eine Jugendstil-Fassade aus Sandstein, Stuck-Ornamenten und gekachelten Kanten an den Erkern. „Architektonisch ist es ein Schmuckstück“, sagt der ehemalige Kölner Stadtkonservator Ulrich Krings. Und auch technisch war das Erft-Haus auf der Höhe seiner Zeit: „Es gab zum Beispiel zum ersten Mal Sozialräume mit Duschen“, so Horst Nordmann.
Zu den ersten Nutzern des Erft-Hauses gehörten verschiedene Textil-Unternehmen, darunter ein Spezialist für Metzgerjacken. Etwas später stieß Papler hinzu, das laut Nordmann zuvor schräg gegenüber an der Neusser Straße produzierte.
Seine Blütephase erlebte das Karosseriewerk in den 1920er Jahren, als Fahrgestelle der Marken Rolls-Royce, Maybach oder Horch in den Etagen hinter dem Vorderhaus mit edlen Aufbauten versehen wurden. Manche Wagen waren mit sofaähnlichen Sitzmöbeln ausgestattet, andere sahen von hinten aus wie Boote. Schauspieler, Adlige oder Direktoren ließen sich in Paplers noblen Stadt- und Sportwagen chauffieren. Die breite Masse konnte davon nur träumen. Auch Krankenwagen für die Kölner Feuerwehr oder Lkw für die Post verließen das Unternehmen.
Helmut Rupschs Großvater Albert Degen kümmerte sich um die Polsterungen, Innenverkleidungen und Lederarbeiten, habe aber selbst gar kein Auto besessen. Jeden Tag sei er mit dem Zug aus Brühl an die Neusser Straße gekommen, im Krieg sogar manchmal zu Fuß. 1909 hatte Albert Degen bei Papler angeheuert, erst 46 Jahre später schied er aus. Ein altes Foto aus der NS-Zeit zeigt die Belegschaft im Innenhof des Erft-Hauses mit Hakenkreuzen und Porträt Adolf Hitlers. Auch Albert Degen ist darauf zu sehen. Es muss eine heikle Zeit für ihn gewesen sein. Denn in Wirklichkeit sei er SPD-Anhänger gewesen, so Helmut Rupsch
Während des Zweiten Weltkriegs wurde das Erft-Haus nur leicht beschädigt. Papler produzierte als „kriegswichtiger Betrieb“ weiter. Im Zweigwerk an der Bremerhavener Straße in Niehl entstanden in Zusammenarbeit mit Ford Fahrzeuge für die Wehrmacht. Dazu wurden auch Zwangsarbeiter herangezogen: „Diese Leute wurden unsäglich behandelt“, sagt Horst Nordmann. Nach dem Krieg baute Papler Kübelwagen für Polizei und Feuerwehr. Mit der Übernahme durch das Fahrzeugbau-Unternehmen Faun endete 1955 die Geschichte des Karosseriewerks. Albert Degen ging in den Ruhestand.
Der Ausflug in die eigene Familiengeschichte hat Helmut Rupsch bewegt: „Man kann sich vorstellen, wie hier gearbeitet wurde“, sagt er nach dem Rundgang durch das liebevoll sanierte Gebäude. Aus einem von seinem Großvater handgefertigten Koffer zieht er einige Dokumente heraus, darunter sein Arbeitszeugnis zum Ausscheiden aus dem Betrieb. Auch das Werkzeug, das Albert Degen nutzte, besitzt er noch. Horst Nordmann hat eines der Foto-Alben mitgebracht, die ein junger Papler-Mitarbeiter 1955 vor dem Müll rettete, Jahrzehnte aufbewahrte und Nordmann schließlich zum Kauf anbot. Die Aufnahmen zeigen automobile Schmuckstücke, gefertigt in einem architektonischen Schmuckstück an der Neusser Straße 27-29.