Polizeigewalt gegen CSD-BesucherStaatsanwältin sieht Rechtsfehler – Revison möglich
Köln – Der Fall eines jungen CSD-Demonstranten, der wegen Widerstands gegen Polizisten vor Gericht stand, aber vor dem Amtsgericht und – nach einer Berufung der Staatsanwaltschaft – auch vom Kölner Landgericht freigesprochen worden war, wird möglicherweise ein drittes Mal verhandelt: Die zuständige Oberstaatsanwältin geht von mehreren Rechtsfehlern aus. So habe sich das Landgericht nicht ausreichend mit der dem Angeklagten zur Last gelegten Körperverletzung auseinandergesetzt, der Vorwurf der Beleidigung von Beamten sei zudem ohne ausreichende Gründe fallengelassen worden, heißt es in der Begründung der Revision, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt.
Im Mai 2018 war Sven W. vom Amtsgericht freigesprochen worden. Die Berufung der Staatsanwaltschaft hatte Thomas Quast, Richter am Landgericht, im April 2019 verworfen. Und mehr: Der Richter geht von mehreren Straftaten von Polizisten im Dienst aus. Aufsehen erregt hatte das Urteil auch, weil Quast in seiner emotional vorgetragenen Urteilsbegründung gesagt hatte: „Ich sitze hier als Vertreter eines Staates, den ich für den bestmöglichen halte. Und ich muss sagen: Ich schäme mich für diesen Staat.“
Richter: „Ich schäme mich für diesen Staat“
Die Aussage „Ich schäme mich für diesen Staat“, zitiert in zahlreichen Medien, nahm der Rechtsausschuss des Landtags auf Anfrage der SPD-Fraktion zum Anlass, über den Fall und die Aussage Quasts zu diskutieren. Dokumentiert werden in dem Bericht des Ausschusses die Einschätzungen der Behörden: Roland Ketterle, Präsident des Kölner Landgerichts, sagte, Quasts Urteilsbegründung liege „im Kernbereich seiner richterlichen Unabhängigkeit“, die Angemessenheit seiner Äußerung wollte Ketterle „weder bewerten noch weiter kommentieren“. Auch die Präsidentin des Oberlandesgerichts, Margarete Gräfin von Schwerin, sah in der Aussage keinen Anlass einer „dienstaufsichtsrechtlichen Prüfung“. Der bestehe erst dann, „wenn es sich um einen offensichtlichen, jedem Zweifel entrückten Fehlgriff handelt“. Davon könne keine Rede sein. Das Ministerium schloss sich den Aussagen der Richter an.
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Quast hat seine öffentlich zugängliche Urteilsbegründung beim Gericht hinterlegt – die Revision der Staatsanwaltschaft hält er für unbegründet, seine rechtliche Einschätzung, Polizisten hätten sich bei dem Einsatz mehrfach strafbar gemacht, untermauerte er.
Der „Blendschlag“, mit dem ein Polizist den Angeklagten in einer Mc-Donalds-Filiale in der Marzellenstraße niedergestreckt hatte, sei genauso rechtswidrig erfolgt wie die Fesselung des Angeklagten und der vorrübergehende Freiheitsentzug. Den von Zeugen bestätigten Tritt eines Beamten gegen die Körpermitte des Angeklagten wertete der Richter genauso als gefährliche Körperverletzung im Amt wie einen Faustschlag.
Richter sieht Körperverletzung und Freiheitsberaubung durch Polizisten
Die ohne richterliche Anordnung und gegen den Willen des Angeklagten entnommene Blutprobe bewertete Quast als Körperverletzung im Amt. Aus Sicht des Richters hätte der Angeklagte auch nicht für mehr als sechs Stunden in der Ausnüchterungszelle behalten werden dürfen – man hätte ihn laut Quast nach dem ärztlichen Befund entlassen müssen. Die Fortdauer des Gewahrsams bewertet Quast als Freiheitsberaubung im Amt.
Auch ein Fußtritt eines Beamten in der Ausnüchterungszelle stellt laut Richter eine gefährliche Körperverletzung im Amt dar. Als „unwürdig und verletzend“ bezeichnete Quast die Entlassung des Angeklagten aus dem Polizeipräsidium in Unterhose und T-Shirt.
Staatsanwaltschaft widerspricht Urteilsbegründung
Vom Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte sei er auch deswegen freizusprechen, da die Polizisten schon bei der Feststellung der Identität rechtswidrig gehandelt hätten. Ein vom Angeklagten veröffentlichter Facebook-Post, in dem er von Polizeigewalt schrieb und nach Zeugen suchte, erfülle nicht den Tatbestand der falschen Verdächtigung – es sei wahr. Zwar habe der Angeklagte einen Polizisten mit Schimpfwörtern beleidigt – doch auch dafür könne er nicht wegen Beleidigung bestraft werden, sie seien als „Ehrennotwehr“ zu bewerten.
Die Staatsanwaltschaft widerspricht der Urteilsbegründung in mehreren Punkten. Ob der Prozess neu aufgerollt wird, entscheidet das Oberlandesgericht.