Nach dem Ende der wöchentlichen Friday-For-Future-Demos in Köln und anderswo stellt sich die Frage: Wie geht es weiter mit dem Protest?
Ein Teil der Umweltbewegung greift zu radikaleren Mitteln: Die Gruppe Extinction Rebellion blockiert Straßen und Brücken. Auch Aktivisten von Fridays for Future sympathisieren mit zivilem Ungehorsam.
Wir haben mit Kölner Umweltaktivisten gesprochen, ob es mehr zivilen Ungehorsam braucht, um Politik zum Handeln zu zwingen.
Köln – „Wir streiken, bis ihr handelt“. So war der Plan. Entschlossen sind sie mit diesem Slogan ein Jahr lang in Köln jeden Freitag auf die Straße gegangen, die Schüler von Fridays for Future. Aber seit Januar ist Katzenjammer: Woche für Woche wurden es weniger, und auch bei den großen Generalstreiks war der Trend unabweisbar. Waren es im September 70.000 Schüler, die in Köln durch die Innenstadt zogen, kamen zu den Freitagsstreiks gegen Ende des Jahres nur noch um die 100, Tendenz sinkend. Die Kölner Fridays-for-Future-Gruppe war im Januar die erste in Deutschland, die Konsequenzen gezogen hat.
Ehe am Ende nach den eindrucksvollen Bildern nur noch ein klägliches übrig bleibt, verkündete sie: „Wir hören auf, wöchentlich zu streiken.“ Inzwischen haben quasi alle Ortsgruppen nachgezogen. Der Plan, freitags zu streiken, bis die Politik handelt, ist also nicht aufgegangen: „Es ist zwar viel erreicht worden, aber eben noch nicht das eigentliche Ziel“, sagt Pauline Brünger, das prominenteste Gesicht von FFF in Köln. Ein Jahr lang hat sich die 18-jährige Gymnasiastin bis an die Grenzen der Belastbarkeit aufgerieben. Der Lohn: Das Thema Klimawandel ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Der Frust: Die Politik hat sich nicht wirklich bewegt. Das Ergebnis: ein enttäuschendes Klimapaket.
Das war der Moment, an dem die Protestwelle gebrochen ist. Die gescheiterte internationale Klimakonferenz in Madrid enttarnte die letzten Hoffnungen als Illusion, als selbst Luisa Neubauer, die bekannteste deutsche FFF-Demonstrantin, nach der Konferenz resigniert fragte: „Was sollen wir denn noch machen?“ Die Enttäuschung sitzt tief, man nimmt sich eine Atempause. Und fragt sich, was man tun soll, wenn man streikt und keiner handelt.
„In einem strategischen Prozess“ wie Brünger es nennt, suchen sie nach einer Antwort, wie es weitergehen kann und welche neuen Formate Bewegung bringen könnten. „Das ist besser, als immer weiter Ressourcen in die Organisation der Streiks zu stecken.“ Sicher sind sie, dass FFF etwas ändern muss, um weiter gehört zu werden. Was das sein könnte, wissen die 18-Jährige und ihre Mitstreiter aber noch nicht. Demonstrieren wollen sie weiter, aber eher anlassbezogen und nur noch zentral in größeren Abständen. So wie am gestrigen Freitag, als Greta Thunberg mit ihrem Auftritt in Hamburg noch mal 25.000 Schüler mobilisiert hat.
Neben der Suche nach neuen Debattenformaten gibt es bei FFF aber auch die Debatte, ob man nicht radikaler werden muss. Ob es nicht andere Kaliber braucht, als Plakate hochzuhalten und laut zu sein. Luisa Neubauer zog mit einer Klimaklage vor das Bundesverfassungsgericht, um eine Neuauflage des Klimaschutzgesetzes zu erzwingen. Den politischen Kampf führen also die prominenten Köpfe aus der ersten Reihe um Thunberg und Neubauer weiter. Und die Hunderttausenden anderen? Viele geben entmutigt auf, andere wollen provokanter werden und mit zivilem
Ungehorsam, der über das Schwänzen hinausgeht, die Politik zum Handeln zwingen. Tara Cicchetti, Kölner FFF-Aktivistin der ersten Stunde, ist eine von ihnen. Sie hat beschlossen, die Sache selbst in die Hand zu nehmen. Die 22-Jährige war dabei, als vor zwei Wochen 120 Anti-Kohle-Aktivisten von „Ende Gelände“ – einer Organisation, die der Verfassungsschutz als „linksextremistisch beeinflusst“ einschätzt – das neue Steinkohlekraftwerk Datteln 4 besetzt haben. Für Cicchetti ist es „unfassbar und absurd“, dass man den Kohleausstieg beschließt und dann doch noch ein neues Kraftwerk ans Netz bringt. Zwölf der 120 Aktivisten, die das Gelände blockiert haben, sollen Fridays for Future angehört haben. Nach sieben Stunden begann die Polizei mit der Räumung, Cicchetti bekam einen dreimonatigen Platzverweis. Natürlich habe sie auch Angst, in diese neue Form der Konfrontation zu gehen, gibt sie zu. „Wer will schon gerne Prozesse am Laufen haben. Aber es ist so wichtig, starke Zeichen zu setzen, statt nur auf die Straße zu gehen.“Die Verhinderung der Inbetriebnahme von Datteln 4, das könnte auch ein neuer Schwerpunkt von FFF werden, sagt die Kölner Organisatorin Brünger: Datteln quasi als das „Hambi 2020“. Es müsse jetzt Akteure geben, die Aktionen zuspitzen, mit denen sich FFF solidarisch zeige, sagt Kraftwerk-Besetzerin Ciccheti. Diese Aktionen kommen aber nicht nur von dem Anti-Kohle-Bündnis „Ende Gelände“. Sondern auch von der Umweltgruppe Extinction Rebellion.
Kampf für den Planeten
Braucht es mehr zivilen Ungehorsam? Für die Runde, die an einem Sonntag im Allerweltshaus in Ehrenfeld sitzt, ist die Antwort ein klares Ja: Die Ortsgruppe Köln von Extinction Rebellion hat zum so genannten Onboarding geladen. Die, die schon mitmachen und die, die neugierig sind, treffen sich zum Austausch: Lehrer, Eltern, Rentner, Studenten und auch Demonstrationsveteranen, die schon beim Kampf gegen den Nato-Doppelbeschluss aktiv waren, sitzen im Kreis. Sie eint das Bedürfnis, nicht mehr tatenlos zuzusehen, wie der Planet vor die Wand gefahren wird. Extinction Rebellion – abgekürzt XR – heißt übersetzt „Rebellion gegen das Aussterben“. Viele sehen in ihr eine Art Fridays for Future für Erwachsene.
XR ist eine internationale aus Großbritannien kommende gesellschaftspolitische Bewegung. Ziel der Bewegung ist es, die Klima-Katastrophe zu stoppen durch massenhaften gewaltfreien zivilen Ungehorsam, der die Politik zum Handeln zwingen soll. Dabei ist die Strategie eine zweiteilige: Zum einen soll das System gestört werden, um so politischen Druck aufzubauen – etwa durch die friedliche Blockade von Brücken und Straßen. „Zum gewaltfreien zivilen Ungehorsam gehört der Rechtsbruch als symbolischer Akt“, erläutert der Sozialphilosoph Robin Celikates, der sich an der Uni Berlin mit der Protestform des zivilen Ungehorsams beschäftigt. Es sei der Versuch, den Gang der Dinge zu unterbrechen, um aufzurütteln – etwa indem man den Verkehr lahmlegt.
Der zweite Teil der Strategie ist, durch spektakuläre Bilder maximale mediale Aufmerksamkeit zu erzielen. Diese spektakuläre Seite sei enorm wichtig für solche Bewegungen, erläutert Celikates. Gerade wenn es in der Öffentlichkeit das Phänomen der Erschöpfung gebe. „Die Leute sollen durch aufrüttelnde Bilder aus ihrer Ignoranz rausgeholt werden.“ So geschehen etwa in Hamburg, wo XR-Aktivisten eimerweise als „Blut unserer Kinder“ deklariertes Kunstblut auf die Hafentreppe schütteten .Menschen legen sich mitten in der Stadt bei sogenannten „Die-ins“ in Gruppen reglos auf die Straße. In Köln sind regelmäßig die Red Rebels unterwegs, eine Untergruppe von XR. Sie wandeln mit Blut symbolisierenden roten wallenden Kostümen in einer Art synchron-gespenstischer Gehmeditation und heben beschwörend die Hände: Auf deren Innenflächen prangt die Sanduhr – das Symbol der auslaufenden Zeit, das gleichzeitig das Symbol für „Extinction Rebellion“ ist. Konkrete Forderungen an die Politik sind, den Klimanotstand auszurufen und die Treibgasemissionen bis 2025 auf null zu senken. Über 130 Ortsgruppen gibt es neben der in Köln inzwischen in Deutschland. Nach eigenen Angaben gehören der dezentral organisierten Bewegung in Deutschland 20.000 Aktivisten an. Eine Leitung gibt es offiziell nicht. In Köln sind es nach Schätzungen über 300.
„Wir haben das Recht und die Pflicht zu rebellieren, weil der Staat die Fürsorgepflicht für seine Bürger nicht mehr wahrnimmt“, sagt Claudia Dreher, die das Treffen im Allerweltshaus leitet. Ihren richtigen Namen will die Lehrerin lieber nicht in der Zeitung lesen, da sie in Köln Schulleiterin ist. Derzeit lässt sie ihren Beamtenstatus ruhen, um sich bei XR zu engagieren, „weil das sonst zu heikel wäre“. Die 47-Jährige hat sich als Pädagogin viel mit dem Nationalsozialismus auseinandergesetzt. „Mich hat immer die Frage umgetrieben: Warum haben die Menschen damals nichts getan? Da sehe ich Parallelen zu heute und bin schnell bei der Frage, was habe ich jetzt in dieser Situation getan?“ Für sie sei klar, „dass ich nicht verantworten kann, nichts getan zu haben, selbst wenn es am Ende nichts bewirken sollte.“
„Man fühlt sich ohnmächtig”
Leonie Rutil (28) geht es, wie sie sagt, deutlich besser, seit sie sich bei XR engagiert. Die Kölner Ökonomin wollte raus aus diesem Gefühl, dem Nichtstun der Politik hilflos ausgeliefert zu sein. „Man ernährt sich vegan, konsumiert sehr bewusst, vermeidet Plastik – und fühlt sich doch ohnmächtig, weil es eben keine individuelle Frage, sondern eine Systemfrage ist. Unser System des Wirtschaftens zerstört unsere Lebensgrundlage.“ Auch das ist laut Sozialphilosoph Celikates die gemeinsame Charakteristik von Bewegungen wie Fridays for Future und Extinction Rebellion: Sie weisen auf ein strukturelles Problem hin, das sich nur durch konzertierte Gesetzgebung lösen lässt.
Im Juli haben Aktivisten von Extinction Rebellion die Deutzer Brücke besetzt. Im Oktober war Rutil bei der sogenannten Rebellion Week in Berlin: Eine Woche haben die Aktivisten den Betrieb in der Hauptstadt behindert – etwa durch Straßenblockaden am Potsdamer Platz. Bei drei bis vier Grad hätten sie sich mit ihren Schlafsäcken nachts auf die Straße gelegt, erzählt die junge Frau, die man nicht für eine Blockiererin halten würde. „Ich musste mich am Anfang richtig überwinden, eine Straße zu blockieren und Autofahrer aufzuhalten.“
Rutil war beeindruckt von der Atmosphäre, nicht nur weil sie in ihrer Blockadegruppe eine für sie verblüffend bunte Mischung vorgefunden hat. „Das reichte vom Opel-Mitarbeiter, über eine Lehrerin, einen Logistiker, eine Psychologin bis zu einem Arbeitslosen.“ Es wurde gesungen und getanzt, den Autofahrern wurde geduldig erklärt, was das alles soll. Man entschuldigte sich und verteilte als Wiedergutmachung Kekse. Auch die Polizisten wurden freundlich angesprochen. Konfrontationen sollen auf jeden Fall vermieden werden. Dieses Verhalten trainieren die Aktivisten von XR vorher in Workshops. Denn es geht ihnen, abgesehen von einem Systemwandel und einer klimagerechten Zukunft, auch um einen Kulturwandel in der Kommunikation: weg von Hatespeech und gegenseitiger Beschuldigung. „Es geht bei XR eben auch darum, das aktive Zuhören, gewaltfreie Kommunikation und die Empathie – also das Einfühlungsvermögen – der Aktivisten zu schulen“, erläutert Claudia Dreher.
Training der gewaltfreien Kommunikation
Weil es der Bewegung eben auch um das Experiment einer zukunftsfähigen Gesellschaft gehe. Deeskalation und gewaltfreie Kommunikation trainieren die Aktivisten vor Demonstrationen: Sie stehen sich in zwei langen Reihen gegenüber. Die Menschen auf der einen Seite sollen Polizei spielen und ihr Gegenüber auffordern, die Blockade aufzulösen. Die auf der anderen Seite sind Blockierende, sie müssen versuchen, ruhig und friedlich zu bleiben. Die vor einem Jahr gegründete Bewegung, die sich auf Vorbilder wie Ghandi und Martin Luther King beruft, will eine große soziale Bewegung in Gang setzen. Bei Extinction Rebellion dreht sich alles um die Zahl 3,5 Prozent: So hoch ist angeblich der Anteil einer Bevölkerung, der mobilisiert werden muss, um ein System zu verändern. Für Deutschland bedeutet das die Mobilisierung von 2,9 Millionen Menschen.
Diesbezüglich war es ein schwerer Schlag, dass der britische Mitgründer von XR, Roger Hallam, im November in einem Gespräch mit der „Zeit“ den Holocaust relativierte. „Das Ausmaß dieses Traumas kann lähmen“, warnte der 52-Jährige. „Das verhindert, dass man daraus lernt.“ Genozide habe es in den vergangenen 500 Jahren immer gegeben. Der deutsche Sprecher der Extinction Rebellion, Tino Pfaff, sprach von einem „absoluten Tiefpunkt“ der Bewegung. Er distanzierte sich im Namen der deutschen Extinction Rebellion von Hallam.
An den Protestformen von Extinction Rebellion scheiden sich die Geister: Die einen sehen darin effektheischenden Protestkarneval, andere den Rechtsstaat infrage gestellt. Jugendforscher Klaus Hurrelmann konstatierte im „Tagesspiegel“ die Gefahr, dass die öffentliche Akzeptanz für die Klimaproteste schwinde, wenn „jetzt die Verhältnismäßigkeit der Mittel radikal überdehnt wird“. Auch könne das Aufkommen radikalerer Gruppen wie Extinction Rebellion oder „Ende Gelände“ zur Aufspaltung von Fridays for Future führen.
Protest als notwendiges Korrektiv
Sozialphilosoph Celikates sieht das anders: Wichtige demokratische Fortschritte – egal, ob etwa die amerikanische Bürgerrechtsbewegung, die Frauenbewegung, die Arbeiterbewegung oder die Anti-Atom-Proteste – seien immer durch zivilen Ungehorsam angestoßen worden. Solche Bewegungen seien nötig, um Themen auf die Agenda zu setzen und dort zu halten. Insofern könnte XR aus seiner Perspektive am Ende demokratieförderlich sein, da außerparlamentarischer Protest ein notwendiges Korrektiv sei. Celikates sieht darin einen „Ausdruck einer reifen politischen Kultur, wenn die Demokratie sich auf diese Provokationen einlässt.“ Demnächst gibt es dazu wieder Gelegenheit. Am 4. Mai dieses Jahres will XR für eine Woche die Hauptstadt lahmlegen. Diesmal sollen sich die Blockaden gegen die Bundesregierung, Ministerien, Lobbyistenbüros und Unternehmenszentralen richten.