Köln – Störfälle und Pannen hatte es immer wieder gegeben. Und nun kommt ein weiterer Fall hinzu: Die Shell-Raffinerie in Godorf hat die Öffentlichkeit nicht über eine Betriebsstörung in einer Produktionsanlage informiert. Wie erst jetzt bekannt wurde, kam es bereits vor drei Wochen zu dem Zwischenfall, bei dem ein Kohlenwasserstoff-Gemisch den Boden verunreinigte.
Die Raffinerie meldete den Vorfall zwar am 7. Mai um vier Uhr morgens, wie ein Sprecher der Bezirksregierung auf Anfrage mitteilte. Auf die Kontaminierung des Bodens wiesen sie die Behörde jedoch erst am Tag darauf hin. Es dauerte noch einen weiteren Tag, bis Mitarbeiter der Bezirksregierung zum Werk fuhren, um die Situation an Ort und Stelle zu untersuchen.
Vermeintlich schwächste Betriebsstörung
Da es sich bei der ersten Meldung um die schwächste Form einer Betriebsstörung gehandelt habe, habe man sich gegen einen nächtlichen Soforteinsatz entschieden. Es sei allenfalls mit einer Geruchsbelästigung zu rechnen gewesen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Shell allerdings bereits mit den Reinigungsarbeiten begonnen – dazu sei das Unternehmen verpflichtet, so die Bezirksregierung.
Die Verzögerung in der Meldekette ist für Shell-Sprecher Jan Zeese nicht ungewöhnlich. Die zuständigen Behörden seien sofort informiert worden. Erst einen Tag später habe man über die Lage detaillierter informieren können. Das sei ein normaler Ablauf.
Kritik, dass Shell die Öffentlichkeit drei Wochen lang nicht über den Vorfall informierte, wies Zeese zurück. Es handle sich lediglich um einen internen Vorfall. „Wir haben sofort die Behörden informiert und haben also ein reines Gewissen.“
Informationen für Anwohner bei Gefahr
Grundsätzlich informiere das Unternehmen nur über solche Vorfälle, wenn eine Gefahr für das umliegende Gebiet besteht oder ein dauerhafter Schaden entstanden ist. Dies sei aber nicht der Fall. „Es ist kein Umweltskandal“, sagte der Sprecher. Inzwischen hat der Tüv Süd als Gutachter die Untersuchung der Panne übernommen.
Bei dem Störfall habe ein Auffangbehälter nicht funktioniert, sagte Zeese dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. In den zwei Tanks des Lagers wird nach Angaben der Bezirksregierung ein Gemisch aus verschiedenen Kohlenwasserstoffen und Wasser gesammelt. Wenn die Behältnisse zur Hälfte oder mehr gefüllt sind, werden sie über eine Pumpe in einen größeren Tank gefüllt. Da die Füllanzeige nicht funktionierte, sprang auch die Pumpe nicht an. Der Sammelbehälter wurde weiter gefüllt. Die Flüssigkeit staute sich an und trat schließlich in einer Entwässerungsleitung aus. Insgesamt sind dabei knapp zwei Kubikmeter Flüssigkeit ausgelaufen. Das sind 2000 Liter des Kohlenwasserstoff-Gemischs, etwa die Hälfte davon sei Wasser gewesen.
Keine Hinweise auf Verunreinigung des Grundwassers
„Wir reinigen nun eine Fläche von 240 Quadratmetern“, so der Sprecher. Es gebe keinen Hinweis auf eine Grundwasserverunreinigung. Der Boden sei oberflächlich betroffen und könnte abgetragen werden. Die Arbeiten würden einige Wochen in Anspruch nehmen, sagte Zeese.
Auch die Bezirksregierung wies die Verantwortung von sich, die Öffentlichkeit darüber informieren zu müssen. Das sei Aufgabe der Berufsfeuerwehr. „Wir wurden am 7. Mai 2017 um 3.48 Uhr durch die Firma Shell darüber in Kenntnis gesetzt, dass Reinigungsarbeiten im Feld 8 stattfinden“, sagte ein Feuerwehrsprecher auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“.
Zwischenfall hätte gemeldet werden können
Am Tag darauf um 15.25 Uhr sei die Meldung wieder zurückgenommen worden. Das sei so üblich, wenn ein Vorfall abgeschlossen sei. „Es handelt sich dabei um ganz kurze Meldungen seitens der Chemieunternehmen, die wir nicht infrage stellen“, so der Sprecher. Die Feuerwehr informiere die Bevölkerung nur dann, wenn ihrer Kenntnis nach eine Gefahr für sie bestehe. Da das laut der Mitteilung von Shell nicht der Fall gewesen sei, habe die Feuerwehr nichts unternommen.
Das Unternehmen hätte allerdings von sich aus mit dem Zwischenfall an die Öffentlichkeit gehen können. Störfälle und Pannen hatte es schon zuvor gegeben. Vor fünf Jahren waren etwa eine Millionen Liter Kerosin ins Erdreich gelaufen. Bereits in der Vergangenheit war der Betrieb dafür kritisiert worden, spärlich informiert zu haben. Das Werk im Rheinland ist Deutschlands größte Raffinerie. Pro Jahr werden hier etwa 17 Millionen Tonnen Rohöl verarbeitet.
Landesregierung reagiert verärgert
Im Düsseldorfer Landtag löste der erneute Zwischenfall Verärgerung aus. „Wir hätten erwartet, dass Shell die Öffentlichkeit proaktiv und zeitnah informiert“, erklärte Norwich Rüße, Vize-Fraktionschef der Grünen. Henning Höne, Umwelt-Experte der Liberalen, ermahnte Shell, seine „Informationspolitik zu überdenken“.
Auch Rainer Deppe, umweltpolitischer Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, fand klare Worte: „Die Verkettung der Pannen wirft Fragen nach dem Unterhaltungszustand der Anlage auf.“ Shell habe nach den gravierenden Störfällen in der Vergangenheit angekündigt, das Werk sicherer zu machen. „Die Aufsichtsbehörde muss sich jetzt intensiv mit dem neuen Fall befassen. Es kann nicht sein, dass die Öffentlichkeit erst jetzt von der Versickerung erfährt. Es drängt sich der Verdacht auf, dass NRW-Umweltminister Remmel zu sehr mit dem Wahlkampf beschäftigt war, anstatt sich um sein Kerngeschäft zu kümmern.“
Das NRW-Umweltministerium erklärte, die Bezirksregierung habe den Vorfall am 9. Mai gemeldet und festgestellt, dass es sich dabei nicht um „ein meldepflichtiges Ereignis im Sinne der Störfallverordnung“ gehandelt haben soll. „Unabhängig von den gesetzlichen Maßnahmen ist es für Unternehmen wie Shell grundsätzlich aber angezeigt, als vertrauensbildende Maßnahme und zur Abbildung von Transparenz die Öffentlichkeit über einen solchen Zwischenfall zu informieren“, sagte ein Sprecher auf Anfrage.
Eine lange Liste von Zwischenfällen
In den vergangenen Jahren hatte es immer wieder Betriebsstörungen und Unfälle in der Raffinerie von Shell in Godorf gegeben. Innerhalb des letzten Jahres waren auffällige Werte von krebserregenden Kohlenwasserstoffen gefunden worden, nach einem Materialfehler des Werks Schadstoffe aus einer Abwasserleitung in der Nähe der Waldstraße geflossen und Heizöl kurzzeitig in Brand geraten.
Zuletzt wurde im Oktober 2016 ein Leck an der Armatur einer Sauerwasserleitung entdeckt. In allen Fällen betonte Shell, dass keine Gefahr für Menschen bestanden hätte.
Bereits am 10. Mai 2015 war bei einem Großbrand die Olefin-Anlage komplett zerstört worden. Zwei der neun Öfen mussten ersetzt werden. Der Rest wurde repariert. Bei dem größten Unfall vor fünf Jahren waren etwa eine Millionen Liter Kerosin ins Erdreich gelaufen. Über Wochen entwich die Flüssigkeit durch eine undichte unterirdische Leitung aus dem Jahr 1942 und breitete sich auf einer Fläche von sechs Fußballfeldern aus.
Bei seinem Amtsantritt drei Jahre danach hatte der Chef der Shell Tochter Rheinland-Raffinerie Thomas Zengerly deshalb den Anspruch formuliert: „Wir wollen nicht nur Deutschlands größte Raffinerie sein, sondern auch die sicherste.“ Bis heute konnte nur ein Drittel des Kerosins abgepumpt werden. Kurz darauf hatte sich das Werk umfangreichen Revisionsarbeiten unterzogen. Sechs Wochen lang wurden die Arbeiten deshalb stillgelegt. Wartungen wie diese werden alle fünf Jahre vorgenommen.