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Rolly und Peter Brings im Interview„Der Antisemitismus wird wieder virulent“

Lesezeit 7 Minuten
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Brings werben für die Veranstaltungen im El-De Haus

  1. Rolly und Peter Brings sprechen – 80 Jahre nach der Progromnacht – gemeinsam über die wieder aufflammende Judenfeindlichkeit in Köln.
  2. Was Rolly Brings von seinem Sohn in den heutigen Zeiten erwartet.

KölnAn der Roonstraße brannte am 9. November die Synagoge. 80 Jahre danach – ist das Thema Antisemitismus auch bei uns in Köln immer noch aktuell?

Peter Brings: Ja. Wenn man sieht, was durch die Nachrichten geistert.

Rolly Brings: Antijüdische Sätze und Witze, die man vor 20 Jahren hinter vorgehaltener Hand nur am Stammtisch aussprach, hört man heute im Bundestag. Der Antisemitismus ist nie verschwunden, aber er wird wieder virulent. Vor allem in den sozialen Medien. Und es gibt Angriffe auf jüdische Frauen und Männer auf der Straße. Das, was geschah, darf nicht vergessen werden. Ansonsten liefert man den ewigen Antisemiten wieder das Argument: „So schlimm war es ja gar nicht.“ Leute wie mein Sohn müssen einwandfrei Position beziehen: Nie mehr wieder. Nicht mit uns.

Dennoch gibt es noch heute Leute, die den Holocaust leugnen.

Peter Brings : Es ist schrecklich, dass es Leute gibt, die sich trauen, das öffentlich zu sagen. Wie muss das für die Menschen sein, die den Holocaust überlebt haben?

„Alle Kollegen waren da, da sind wir stolz drauf“

Bereits vor 20 Jahren haben Sie ein Gedenkkonzert zur Pogromnacht gegeben, nun haben Sie das im El-De-Haus wiederholt.

Peter Brings: Ja. Im El-De-Haus werden zwei Etagen frei, da musste Geld für ran. Rolly ist unermüdlich, der fragt dich, und dann hässte ze kumme. Alle kölschen Kollegen waren da, und da sind wir stolz drauf. Wir wissen, wofür wir das tun. Ein NS-Dokumentationszentrum ist für die Generationen, die nach uns kommen, total wichtig.

Gegenüber der Synagoge, auf dem Rathenauplatz, steht stets ein Polizeiwagen, um möglichen Angriffen vorzubeugen. Macht Sie das traurig?

Rolly Brings: Es gibt andere Merkmale, die zeigen, was inzwischen hier los ist. Samstags laufen vor meiner Haustüre immer die Juden zur Synagoge. Bisher liefen sie mit Kippa oder Schläfenlocken dorthin. In der letzten Zeit aber sehe ich dieselben Familien, und jetzt gehen sie verkleidet dorthin. Das ist ein sehr beunruhigendes Zeichen. Die haben Angst, die Leute. Sie fragen sich: Können wir hier noch leben? Noch schlimmer ist es ja in Frankreich. Ich kriege das hier jeden Tag mit und kann nicht so tun, als wäre es nicht so.

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In der Nacht zum 10. November 1938 brannten alle Synagogen in Deutschland, Wohnungen und Geschäfte von Juden wurden durch Angehörige der SA zerstört.

Peter Brings: Ich kann mir das gar nicht vorstellen. Menschen meiner Generation kennen das alles ja nur von Bildern. Ich kann mir aber vorstellen, dass die ganze Chose heute kippt. Ich finde es unerträglich, dass Leute der AfD im Bundestag sprechen und wir die bezahlen müssen.

„Normale Leute wurden zu Mittätern gemacht“

Rolly Brings: Wenn die Rechten geschickt vorgehen, kann ich nicht meine Hand dafür ins Feuer legen, dass das nicht wieder passiert. Die Reichspogromnacht war lange Zeit geplant, und das Perfide war, dass normale Leute zu Mittätern gemacht wurden.

Peter Brings: Wir diskutieren ja oft. Ich habe mittlerweile viele türkische Freude. Man fragt sich ja, wie konnte das passieren, dass die Juden wie Schafe in den Tod gelaufen sind. Ich glaube, es lag einfach daran, dass sich kein Mensch vorstellen konnte, was die Nazis in Wahrheit vor hatten. Die größte Community heute in Ehrenfeld sind die Türken. Wenn ich mir jetzt vorstelle, die Rechten kämen heutzutage wieder und würden das bei den 5er-BMW-Jungs versuchen, da würde es aber auf die Fresse geben. Das würde sich keiner gefallen lassen. Nach der Erfahrung von damals würde das, glaube ich, nicht mehr funktionieren.

„Die Juden im Veedel leben mit uns"

Rolly Brings: Die Juden im Veedel leben mit uns. Wenn die angegriffen werden, fühlen wir uns auch angegriffen. Die Synagoge gehört zu meiner Nachbarschaft. Das ist so, als wenn man mich angreift. Ich weiß, diese Position ist nicht allzu häufig, aber ich vertrete sie. Nun gibt es Leute, die zeigen mit dem Finger auf Israel. „Aber Israel!“ heißt es. Doch die Kritik an der israelischen Politik und Regierung, die ja zu Teilen berechtigt ist, wird pauschal übertragen auf die Leute, die hier seit Generationen leben. Da frag ich mich: Was hat mein Nachbar David mit Israel zu tun? Es wurde nie scharf getrennt, das war und ist Wasser auf die Mühlen der Antisemiten.

Die zerstörte Synagoge an der Roonstraße nach der Novemberpogromnacht 1938

Wird das Dritte Reich in Schulen heute ausreichend aufgearbeitet?

Peter Brings: Oft sagen mir Leute: Ich kann dat nit mehr hüüre – Drittes Reich. Aber anscheinend kommt es nicht in den Köpfen an.

Rolly Brings: Man kann Leute mit dem Thema zuschütten, aber du kannst sie auch packen. Mir ist das als Lehrer fast immer gelungen. Vor allem durch lebende Zeitzeugen. Ich habe Juden, Widerstandskämpfer, Edelweißpiraten eingeladen. Dann sind die Schüler gebannt. Vor allem, wenn Frauen erzählt haben, wie sie unter Todesgefahr Juden versteckt haben, dann fällt langsam der Groschen: „Die Frau erzählt da was, da war die ja so alt wie wir jetzt.“

Peter Brings: Wenn ich überlege, wie meine Kindheit war – diese Generation meiner Eltern muss in einer Welt voller kaputter Menschen gelebt haben. Heute legt man sich auf die Couch, wenn man Probleme hat. Aber wer hat sich um diese Generation gekümmert? Da hattest du als junger Mensch ja nur Wahnsinnige um dich rum.

„„Rolly, wie soll ich damit leben?“, fragte er mich.“

Rolly Brings: Unser Klassenlehrer in der Realschule hat nie etwas über sich selber erzählt. Vor der Entlassung fragte ich ihn: „Warum eigentlich?“ Am letzten Tag dann versammelte er unsere Klasse und plötzlich begann er zu erzählen. Wie er als Leitfunker den 2. Weltkrieg erlebt hat und Granaten ins Ziel lenkte. Gegen Partisanen. Da war er nicht mal 18 Jahre alt, in Russland, am Donezk-Bogen. Und er schilderte, wie er einmal die Batterie brav auf einen Ort lenken musste, und nachher sahen sie dann beim Gang durch den Ort das Ergebnis: all die Toten, Kaftan-Juden, Alte und Kinder. „Rolly, wie soll ich damit leben?“ fragte er mich, „ich habe die Granaten dahin gelenkt.“

Wie haben Ihre Großeltern den Krieg erlebt?

Peter Brings: Der eine Opa hat bei der Post gearbeitet, der musste zum Glück nicht an die Front. Der Vater meiner Mutter war Geiger, kam in französische Gefangenschaft. Nach dem Krieg hat er die Geige nie mehr angepackt. Opa Deimann hat da nie mehr drüber gesprochen. Er wurde Busfahrer bei der Bundesbahn, hat schwer getrunken, um den Scheiß wegzukriegen.

Rolly Brings: In meinem Lied „Hey Jupp“ habe ich das zum Thema gemacht. Ich habe mir keinen Täter, sondern einen Mitläufer ausgesucht.

Demo und Kundgebung in Ehrenfeld

Seit 40 Jahren gibt es die Ehrenfelder Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938. Jetzt soll sie zur Demonstration gegen Rassismus und Antisemitismus werden. Dazu haben sich das Kuratorium Edelweißpiraten und das Bündnis Köln stellt sich quer zusammengetan. Unter dem Motto „Nie wieder – Damit Vergangenheit nicht Zukunft wird“ versammeln sich am Samstag, 10. November, 18 Uhr, die Teilnehmer an der Körnerstraße 97 in Ehrenfeld. Hier wurde in jener Novembernacht 1938 eine Synagoge zerstört wurde. Um 18.30 Uhr zieht ein Schweigemarsch zum Mahnmal der im 1944 ermordeten Edelweißpiraten und Zwangsarbeiter am Ehrenfelder Bahndamm. An der Bartholomäus-Schink-Straße findet ab 19 Uhr eine Kundgebung statt. Als Rednerin ist die Politologin und Rechtspopulismus-Expertin Gudrun Hentges eingeladen. Die Musik kommt von Rolly und Benjamin Brings, der Band Buntes Herz sowie von den Rappern Lugatti und 9ine.

„Es ist nicht Fünf vor Zwölf sondern schon halb Eins, wenn wir über rechtsradikale Gewalt reden“, sagte Josef Wirges (SPD). Der Ehrenfelder Bezirksbürgermeister steht mit dem Musiker Rolly Brings für das Kuratorium Edelweißpiraten. Rolly Brings ergänzte, dass es Parallelen zwischen den Vorgängen der Pogromnacht von 1938 und der heutigen Zeit gebe. Die damals von langer Hand vorbereiteten Gewalttaten seien ein Testlauf gewesen, um herauszufinden, wie weit man gehen könne, bis die Bevölkerung aufbegehre. Die Gewalttaten rechtsradikaler Gruppen und Äußerungen der AfD-Politiker seien ebenfalls solche Testläufe, sagte Brings. (Rös)