AboAbonnieren

Rebellion der GemeindenSegnungen für Homosexuelle stellt Kölner Katholiken auf Probe

Lesezeit 5 Minuten
Segnung Köln Lindenthal hd

Der Freiluft-Segnungsgottesdienst am Sonntag vor der Kirche Christi Auferstehung in Lindenthal

Köln – Vor der Kirche St. Michael am Brüsseler Platz ist man vorbereitet. „Wir können mit fünf Leuten segnen“, sagt Diakon Uli Merz. Die Gemeinde beteiligt sich an der Aktion „#liebegewinnt“ und bietet am Montagnachmittag vier Stunden lang an, homosexuelle Paare zu segnen. Es wehen Regenbogen-Flaggen, vor dem imposanten Portal der neoromanischen Kirche haben Merz und sein Team mit Kreide ein großes buntes Herz gemalt.

Die Initiative schlägt hohe Wellen. Bundesweit finden in diesen Tagen 110 offizielle Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare statt, in Köln beteiligen sich drei Gemeinden aktiv. Sonntagabend wurden schwule und lesbische Paare in einem Open-Air-Gottesdienst in der Kirche Christi Auferstehung in Lindenthal gesegnet – unter dem Beifall von weit mehr als hundert Gästen.

Größe der spontanen Bewegung überrascht auch Kirche

In dieser Form und Größenordnung hat es eine solche Aktion in der Kirche bisher nicht gegeben. Aus einer spontanen Reaktion auf das Nein des Vatikans zur Segnung homosexueller Paare und einem „Graswurzel“-Impuls sei unerwartet eine große Bewegung hervorgegangen, freuen sich die Initiatoren der Aktion, ein Zusammenschluss von Priestern, Diakonen, Theologen, Laien und Ehrenamtlichen in der Kirche. Die römische Glaubenskongregation hatte Mitte März klargestellt, dass die Kirche nicht befugt sei, homosexuelle Paare zu segnen. Der Kölner Kardinal Rainer Woelki hatte sich dieser Auffassung angeschlossen.

Kardinal Woelki

Kardinal Woelki

Welche Folgen die Segnungen für die betreffenden Seelsorger haben könnten, blieb am Montag auf Anfrage offen – zuvor hatte das Erzbistum nur angekündigt, mit den beteiligten Seelsorgern im Nachgang Gespräche zu führen. Sprecher Thomas Klimmek sagte: „Die Aktion #liebegewinnt zeigt, dass unter Katholikinnen und Katholiken die kirchlichen Positionen zu Sexualität, Ehe und Familie intensiv diskutiert werden. Wir möchten ein tieferes Verständnis für diese Positionen entwickeln und auch stärken.“ Segnungen sollten nicht zu Symbolen in einer kirchenpolitischen Auseinandersetzung werden. Es sei „immer möglich“, den einzelnen Menschen zu segnen. Kardinal Woelki habe zudem klargestellt, dass in der Kirche „ausnahmslos alle Menschen willkommen sind, die auf der Suche nach Gott sind, gleich welcher sexueller Orientierung“. Merz rechnet nicht mit Sanktionen des Erzbistums. „Wir handeln hier aus seelsorgerischer Verantwortung heraus. Für uns sind die Segnungen eine völlige Selbstverständlichkeit.“ Die Offenheit für alle Menschen unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung sei einer der Leitsätze der Gemeinde.

Herz vor Kirche

Vor Sankt Michael am Brüsseler Platz in Köln wurde ein Herz in Regenbogenfarben gemalt.

Und: „Es gibt keinen theologischen Grund, homosexuelle Menschen nicht zu segnen.“ Dem zuständigen Innenstadt-Pfarrer Dominik Meiering habe Merz die Aktion erläutert. „Es geht nicht darum, der Kirche einen reinzuwürgen. Es geht darum, den Menschen zu geben, was sie wollen“, sagt der Diakon. „Die überwältigende Mehrheit der Basis wünscht sich, dass die Kirche im Hier und Jetzt ankommt.“

„Die Kirche hat zuletzt viel Reputation verloren“

Einer der fünf Menschen, die in St. Michael segnen, ist Priester Thomas Frings, Großneffe des ehemaligen Kölner Kardinals Josef Frings. Anders als vorigen Sonntag sind noch nicht viele homosexuelle Paare zur Segnung ins belgische Viertel gekommen. „Die Kirche hat zuletzt viel Reputation verloren“, sagt Frings. Nach dem Missbrauchsskandal und der Ablehnung der Segnungen durch den Vatikan hätten sich selbst Menschen abgewandt, die über Jahre in der Kirche engagiert waren. „Ich nehme es aber als positiv wahr, das inzwischen sogar einzelne Bischöfe sagen, dass es nicht hilfreich ist, was aus Rom kommt. Das hat es früher nicht gegeben“, sagt Frings.

Die Seelsorger Tobi Wolf und Thomas Frings und Diakon Uli Merz (v. r.) vor der Kirche St. Michael am Brüsseler Platz

Das Motto „Liebe gewinnt“ geht zurück auf den gleichnamigen Song von Brings. In ihrem eigens überarbeiteten Musikvideo blendet die Kölner Band vor Kirchen gehisste Regenbohnenfahnen ein. Sänger Peter Brings sagt dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, er müsse sich „total zusammenreißen“, um bei dem Thema sachlich zu bleiben. So ganz gelingt ihm das in der Folge nicht, eigentlich überhaupt nicht. Was zitierfähig bleibt, klingt so: „Neben dem ganzen Missbrauchsskandal jetzt noch so eine zweite Baustelle – da fällt mir nichts zu ein, das ist total überheblich.“ Als gläubiger Christ müsse man jetzt auf die Barrikaden, findet Brings.

Solidarität und Ablehnung

Homosexuellen Paaren die Segnung zu verweigern, sei menschenverachtend. „Was mir am meisten wehtut, ist dieses Sich-über-die-Dinge-stellen der katholischen Kirche, das hat mit Nächstenliebe nichts zu tun.“ Auch der Bund der Katholischen Jugend (BDKJ) solidarisierte sich ausdrücklich mit Pfarrern, „die aus Gewissensgründen gleichgeschlechtlichen Paaren den Segen nicht verweigern“.

Annika Jülich, Diözesanvorsitzende des BDKJ im Erzbistum Köln, sagt: „Wir leben die Kirche so, wie wir sie uns wünschen, und dazu gehört auch die sexuelle Vielfalt.“ Die Segnung sei ein erster Schritt, ein zweiter könnte die Anerkennung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare sein.

Viel Scheu auch noch in Kölner Gemeinden

Dass sich in Köln bislang nur wenige Gemeinden aktiv an der Aktion beteiligten, heißt für Annika Jülich nicht, dass alle anderen dagegen wären. Im Gegenteil, sagt sie: „Ich erfahre aus vielen Gemeinden eine Zustimmung in der Sache.“ Aber zum einen scheuten manche eine aktivere Rolle womöglich wegen der Corona-Beschränkungen. Zum anderen werde durch die ablehnende Haltung von Kardinal Woelki ein „enormer Druck“ auf die Geistlichen und Gemeindemitglieder ausgeübt. Die Forderungen nach mehr sexueller Vielfalt seien „in der Breite des Kirchenvolkes“ angekommen.

Das könnte Sie auch interessieren:

Im Ausland sieht man in Kirchenkreisen die Entwicklungen in Deutschland teils mit Sorge. Er hoffe nicht, dass die Segensgottesdienste zu einem Schisma führten, aber die Gefahr bestehe durchaus, sagte laut „Domradio“ der 90-jährige Kardinal Camillo Ruini, langjähriger Vorsitzender der Italienischen Bischofskonferenz. Der australische Kardinal George Pell mahnte die deutschen Bischöfe, „die Lehren der Schrift und die Lehren der Kirche aufrechtzuerhalten“. Ein Teil der Kirche in Deutschland gehe „in die entschieden falsche Richtung“.

Auch die Deutsche Bischofskonferenz kritisierte die Segnungen. Gottesdienste seien nicht als „Instrument für kirchenpolitische Manifestationen oder Protestaktionen“ geeignet, erklärte der Vorsitzende, Bischof Georg Bätzing.

„Liebe gewinnt“ sei gar keine politische Protestaktion, widerspricht Annika Jülich vom BDJK Köln. So sieht es auch Pfarrer Bernd Mönkebüscher aus Hamm, einer der Initiatoren von „Liebe gewinnt“. Natürlich dürften Gottesdienste nicht instrumentalisiert werden, sagt er. „Andererseits ist jeder Gottesdienst politisch. Jetzt in diesem Zusammenhang sind die Gottesdienste ein Schulterschluss mit all denjenigen, die sich von diesem Nein aus Rom verletzt fühlen.“