Köln – Am Mittwochmittag um 13.30 Uhr ertönt von einem Balkon des Maternus-Seniorencentrums in Rodenkirchen das Lied Hallelujah. Die Menschen, die im nebenliegenden Supermarkt eingekauft haben, bleiben auf dem Platz vor dem Gebäude stehen, eine alte Frau, die am Rollator trippelt, bekreuzigt sich.
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Nach dem letzten Ton wird leise geklatscht. In dem Pflege- und Seniorenheim im Herzen des Viertels zeigt sich wie unter einem Brennglas, was das Coronavirus anzurichten imstande ist: Stand Mittwochmorgen sind fünf Bewohner an den Folgen einer Infektion gestorben, 20 Senioren aus dem Haus werden aktuell im Krankenhaus behandelt – neun von ihnen wurden positiv getestet, bei den anderen besteht der Verdacht auf eine Infektion. Auch 15 Mitarbeiter des Alten- und Pflegeheims haben sich infiziert, elf befinden sich zudem in häuslicher Quarantäne.
„Die Einrichtung ist am Dienstagabend komplett unter Quarantäne gesetzt worden“, sagt Rodenkirchens Bezirksbürgermeister Mike Homann, der vor dem Gebäude steht und damit beschäftigt ist, „Sorgen der Anwohner zu lindern und zu vermitteln“. Am Samstag habe er dem Heim noch Schutzmasken vor die Tür gelegt.
Von der Quarantäne des ganzen Hauses weiß das Gesundheitsamt nichts. Die Unternehmensgruppe Cura, die die Einrichtung betreibt, teilt mit, dass die Quarantäne nur für das Seniorencentrum gelte – für die Menschen, die im Betreuten Wohnen leben, sei das rechtlich nicht möglich – hier müsse die Stadt ein Ausgangsverbot erteilen.
Eine Ausgangssperre für Heime sei „ein extremer Einschnitt in die Freiheit, solche Maßnahmen sind sehr gut zu überlegen“, sagt Gerhard Wiesmüller, stellvertretender Leiter des Gesundheitsamts, am Nachmittag auf der Pressekonferenz des städtischen Krisenstabs im Rathaus. In drei Kölner Pflege- und Senioreneinrichtungen gebe es „vermehrt Corona-Fälle“, die Namen der beiden anderen Einrichtungen möchte er nicht nennen.
An die Medienvertreter gerichtet bittet er darum, „die Fehler jetzt nicht im Management der einzelnen Häuser zu suchen. Alle Mitarbeiter der betroffenen Häuser arbeiten am Anschlag, alle hygienischen und infektiologischen Belange sind unter Kontrolle“.
Die Stadt hat sich aufgrund der zunehmenden Fälle in Pflege- und Seniorenheimen zu einer schwerwiegenden Entscheidung durchgerungen: Für alle Kölner Senioren- und Pflegeeinrichtungen gibt es ab sofort einen vorläufigen Aufnahmestopp. Für Menschen, die Kurzzeitpflege benötigen, müssten „schnell intelligente Konzepte erarbeitet werden“, so Wiesmüller.
„Wie wir mit Härtefällen umgehen, wird noch erarbeitet. Menschen, die nach einem Krankenhausaufenthalt einen Pflegeplatz brauchen, werden wir nicht im Stich lassen.“ Die nicht städtischen Träger wie die Caritas und die Arbeiterwohlfahrt wussten kurz nach der Pressekonferenz noch nichts von dem Aufnahmestopp.
Träger geht von weiteren Fällen aus
Ob die infektiologischen Belange in Rodenkirchen unter Kontrolle sind, dahinter lässt sich ein kleines Fragezeichen setzen. Eine Mitarbeiterin des Hauses sagte dieser Zeitung, dass „wohl alle Bewohner in Kontakt mit Infizierten gekommen“ seien.
Der Träger geht von weiteren Fällen aus: Die Menschen, die in Appartements im Betreuten Wohnen leben, seien erst vor einigen Tagen alle getestet worden – die Auswertung konnte der Krisenstab nicht bekanntgeben.
In Köln gab es am Mittwochnachmittag 1540 bestätigte Fälle. 116 Corona-Patienten befinden sich aktuell in stationärer Behandlung, am Mittwoch kamen fünf Patienten dazu, die aus Italien eingeflogen wurden. 54 Menschen werden auf Intensivstationen versorgt, 619 wurden aus der Quarantäne entlassen – von den bislang 18 Todesfällen kommen allein fünf aus dem Seniorenheim in Rodenkirchen.
Die Stadt halte aktuell 350 Intensivbetten vor, die Kapazität lasse sich bei einem schwerwiegenderen Verlauf in Köln schon jetzt auf 700 erhöhen, teilte Stadtdirektor Stephan Keller mit. Um auch für das Szenario gewappnet zu sein, dass 700 Intensivbetten nicht ausreichen, plane man ab sofort eine 500-Betten-Einrichtung für leicht bis mittelschwer Erkrankte, die zusätzlichen Sauerstoff, aber keine Beatmungsgeräte benötigen, auf dem Deutzer Messegelände.
„Medizinische Masken gehören in medizinische Hände“
„Die Lage in Köln bleibt ernst und auch angespannt, die Infektionszahlen gehen weiter nach oben, aber Gott sei Dank nicht mehr exponentiell“, sagte Oberbürgermeisterin Henriette Reker. „Die zweite gute Nachricht ist, dass immer mehr Kölner aus der Quarantäne entlassen werden.“
Die Situation in den Senioren- und Pflegeheimen betrachte sie „mit großer Ernsthaftigkeit. Wir tun alles, was logistisch möglich ist. Mein Dank und Respekt gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die teilweise unglaublichen Teamgeist bei einer sehr schweren Arbeit zeigen“, so Reker.
Der Debatte um verpflichtende Schutzmasken begegnet die Oberbürgermeisterin mit Skepsis: „Medizinische Masken gehören in medizinische Hände.“ Jede Maske, die dort fehle, sei momentan schwer zu ertragen. Umso mehr freue sie sich über eine Spende aus Kölns Partnerstadt Peking mit Schutzkleidung und 20.000 Masken.
Kölner Gastronomen sollen jegliche Sondergebühren erstattet bekommen, kündigte Reker an. Bauprojekte in leerstehenden Gebäuden wie Schulen versuche die Stadt aktuell vorzuziehen.
Für kommenden Dienstag kündigte die Rathaus-Chefin eine Sondersitzung des Hauptausschusses an, um zu erörtern, wie wem in der Krise schnellstmöglich geholfen werden könne.