Köln – Auf Augenhöhe begegnen sie einem überall in der Stadt: an Hauswänden und Fassaden, auf Mauern und Zäunen, KVB- und Bahnwaggons, Rolltreppen, U-Bahnsteigen oder auf Parkbänken: Graffiti. Sie als Kunst zu bezeichnen, würden sich wohl die meisten scheuen. Hausbesitzer zumal, die oft sogar eigens versichert sind, um das „Geschmiere“ schnell wieder entfernen zu können.
Auch wenn all die „Tags“, verschnörkelte Namenskürzel, bisweilen mit Silberfarbe, Schattierungen oder Umrandungen aufgehübscht sind, sagen sie nichts anderes als „guckt mal, ich war hier“. Ein bisschen kommt mir das vor wie Beinchen heben. Todlangweilig eigentlich. Aber die ganze Republik ist voll davon.
Das Graffito hat allerdings eine große Schwester, und sie macht die Sache künstlerisch interessant. Ich spreche von der Fassadenmalerei.
Bemalte Wände als Teil von Architektur
Wände zu bemalen, war immer schon ein Teil von Architektur. In unseren Breiten handelte es sich oft um illusionistische Kunst, das heißt, mit den Mitteln der Malerei wird auf einer zweidimensionalen Fläche Räumlichkeit vorgetäuscht, die ein Haus total verändert. Berühmt ist zum Beispiel der Entwurf Hans Holbein des Jüngeren für das „Haus zum Tanz“ in Basel von 1520. Blütezeit der Wandmalerei war dann der Barock mit komplexer Schein-Architektur.
Das 19. Jahrhundert bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts liebte vor allem Historien-Szenen. Mit dem Zweiten Weltkrieg hörte die farbige Wandgestaltung nicht auf, sie veränderte sich aber. Für die Nachkriegszeit sind große Keramiken charakteristisch oder Fassadenelemente aus Metall. Auch die Betonarchitektur der 1970er Jahre war zum Teil sehr stark farbig gefasst.
Sprayen als Kunstform
Ganz neue Dynamik erhielt die Wandmalerei aber definitiv durch die Graffiti-Szene. Einigen ihrer Vertreter war das bloße „Tagging“ auf die Dauer zu wenig. Sie entwickelten das Sprayen zu einer echten Kunstform weiter. Dazu kamen Absolventen der Kunstakademien, die sich auf diese Art der Wandgestaltung spezialisierten. Es wäre falsch, von „echten und falschen Künstlern“ zu sprechen. Es sind einfach zwei verschiedene Zugänge zu ein und derselben Form.
Die so entstandenen Bilder sind natürlich nicht mehr Ergebnisse verbotener Sprayaktionen bei Nacht und Nebel, sondern ganz legale Arbeiten. Das geht bei deren Komplexität und Größe gar nicht anders. Zum Glück gab es Immobilienbesitzer, die ihre Häuser zur Verfügung stellten. Am beliebtesten sind lange Mauern oder Brandwände ohne Fenster, auf denen gestalterisch ohnehin nichts los ist.
Das berühmteste gesprühte Wandbild in Köln ist Harald Naegelis „Tanzendes Skelett“ an der Westfassade von St. Caecilien. Naegeli hatte Anfang der 1980er Jahre eine ganze Reihe dieser Motive auch an andere Kölner Fassaden gesprüht. Aber da hat man sie schleunigst wieder entfernt. So ist nur dieses eine Bild erhalten.
Ich komme darauf, weil im September das „Cityleaks Urban Art Festival“ stattfindet, das die Kunstform gesprayter Wandbilder in Köln fördern will. Premiere war 2011. Ehrenfeld wurde damals, wie es in Anne Scherers Bildband „Street Art Cologne“ heißt, „zu einem der aktivsten Hotspots für Street Art in Köln“.
Als „City Leaks Urban Art Biennale“ mit dem Titel „Die Stadt, die es nicht gibt“ geht das Festival bis zum 20. September in die dritte Runde. Diesmal wollen sich die Organisatoren vor allem auf Mülheim im Rechtsrheinischen konzentrieren. Bis die Ergebnisse zu besichtigen sind, schlage ich Ihnen eine kleine Tour durch Ehrenfeld vor – auf den Spuren der Sprayer.
Wie Barbara Schock-Werner die gesprayten Wandmalereien aufteilt, lesen Sie im nächsten Abschnitt.
Das Lieblingsobjekt in der Kölner Hospeltstraße
Der Kunsthistoriker an sich neigt ja immer zum Systematisieren. Ich teile die gesprayten Wandmalereien deshalb in drei Gruppen ein. Als erstes sind die rein grafischen Gestaltungen zu nennen. Ein Beispiel dafür sehen Sie in der Vogelsanger Str. 34, wo ein ganzes Eckhaus an seinen beiden Fronten in Schwarz-Weiß bemalt ist. Nur die Mitte bleibt Rot.
Fahren Sie mit der Maus über die Karte, wir zeigen Ihnen, wo die von Barbara-Schock-Werner beschriebenen Kunstwerke zu finden sind.
Dort sieht man, wie der Erdball von zwei Seiten her eingequetscht wird. Mein Lieblingsobjekt befindet sich in der Hospeltstraße 28: Auch hier nur Schwarz-Weiß, eine stark geometrische Anlage mit Linien, durchzogen von Bändern und Streifen, als ob das Ganze gleich wieder weggewischt werden würde. Ein feines, toll gemachtes Kunstwerk.
Sehr bekannt: der kleine, trotzige Junge
Die zweite Gruppe sind die Figuren- oder Menschenbilder. Eines der berühmtesten ist der kleine trotzige Junge am Bürgerzentrum in der Venloer Str. 429. Wenn Sie einen starken Magen haben und nicht so leicht zu schocken sind, schauen Sie sich in der Senefelder Straße 4-6 den gehäuteten Hasen an. Das ist schon eine ziemlich drastische Darstellung, die der Belgier „ROA“ – die Wandsprayer firmieren fast alle unter solchen Fantasienamen - den Passanten und vor allem den Anwohnern da zugemutet hat. Die sollen sich aber, wie es heißt, inzwischen an den Anblick gewöhnt haben.
Unter eine dritte und letzte Kategorie fallen all jene Bilder, die Geschichten erzählen – spielerisch und oft kritisch zugleich. Da sind zum Beispiel in der Hansemannstraße 24 die vier rosa Männer, die „Reise nach Jerusalem“ spielen. Man kann darin den Versuch sehen, die Ausweglosigkeit des menschlichen Daseins ins Bild zu bringen. An szenischen Darstellungen hat besonders die Kölner Gruppe „Captain Borderline“ einiges zu bieten. Von bemerkenswerter Aktualität ist die Arbeit „Surveillance of the Fittest“ am Ehrenfeldgürtel 95, wo das US-Wappentier, der Weißkopf-Seeadler, mit unzähligen Überwachungskameras eine Schafherde beobachtet.
Die gleichen Künstler haben mit dem „Bananen-Sprayer“ Thomas Baumgürtel das große Wandbild an der Marzellenstraße 72-74 gemacht. Das ist nun nicht in Ehrenfeld, aber wenn Sie mit dem Zug oder der S-Bahn von dort zum Hauptbahnhof unterwegs sind, können Sie kurz vor der Einfahrt auf der rechten Seite gut sehen, wie die Mauern der Stadt Köln von einer Belagerungstruppe mit einer riesigen Banane als Rammbock berannt werden. Das soll wohl eine kritische Anspielung auf den Mangel an Wohnungen und Atelierräumen in Köln sein.
Mini-Mosaiken überall in Köln
Der Vollständigkeit halber sollte ich vielleicht noch die Mini-Mosaiken erwähnen, die viele von Ihnen schon gesehen haben werden, ohne dass sie Ihnen womöglich besonders aufgefallen wären. Die Muster und gepixelten Wesen, die eigentlich in keine der genannten Kategorien fallen, sind eine Spezialität des französischen Künstlers „Invader“, der als Street-Art-Pionier gilt und seine Kachelmosaike mittlerweile in der ganzen Welt hinterlassen hat – 24 davon im Jahr 2007 auch in Köln, unter anderem an der Hohenzollernbrücke, in der Alten Wallgasse 56-58, an der Ecke Pfeilstraße/Kettengasse und – wenn ich das sagen darf – auch an meinem Haus Am Hof 23.
Also, vielleicht schlendern Sie mal entspannt vom Bürgerzentrum Ehrenfeld aus durch das Viertel und halten Ausschau nach der großflächigen Sprayerkunst. Oder wenn Sie die Sache lieber strategisch angehen, nehmen Sie Anne Scherers Buch zu Hilfe, das die Kölner Wandmalereien zusammen trägt und auch einen markierten Stadtplan enthält. Sie werden staunen, wie viele Street-Art-Objekte es in Köln gibt!
Und weil in einer lebendigen Stadt immer wieder Neues entstehen sollte, fände ich es schön, wenn die Stadt oder Privatleute auch weiterhin ihre Wandflächen gestalten ließen. Tristes Grau haben wir in Köln ja noch zur Genüge. Den Anfang könnte der Tunnel an der Trankgasse machen. Für dessen schmuddelig verputzte Wände wäre ein knallbuntes Sprayer-Bild genau das Richtige.
Aufgezeichnet von Joachim Frank
Lektüre-Tipp: Anne Scherer; Street Art Cologne; Verlag Kiwi Köln; 192 Seiten; 19,99 Euro.