Wenn neue Wohngebiete entstehen, wird der Bedarf an Sportanlagen zu wenig mitgedacht. Viele Vereine sind am Limit.
Stadt nennt Angebot „ausreichend“Eklatanter Platzmangel – Kölner Fußballvereine sind am Limit
Die Spieler der Gastmannschaften müssen oft lachen, wenn sie den Namenszug lesen. „Olympiastadion“ steht auf dem Schild, das am Fußballplatz des ESV Olympia im Gleisdreieck von Köln-Nippes hängt. Tribünen mit Sitzplätzen gibt es allerdings nicht – rappelvoll ist es an Trainingstagen aber auf dem Spielfeld. „Wir haben in den vergangenen Jahren in der Jugendabteilung einen Ansturm erlebt“, sagt Günter Brandt, der Fußball-Vorstand des Veedels-Vereins. Vor allem bei den Mädchen-Teams gibt es einen enormen Aufwuchs. „Mittlerweile haben wir fast 30 Mannschaften, die mindestens zweimal wöchentlich trainieren.“
Die Warteliste ist lang, doch der Verein ist am Limit
„Viele Teams haben nur ein Sechstel des Platzes zur Verfügung“, sagt Brandt. „Das ist in der Konkurrenz mit den anderen Vereinen ein klarer Wettbewerbsnachteil.“ Der Run auf den Verein geht mit dem Wohnungsbau in Nippes einher. 2013 wurde dort die autofreie Siedlung fertiggestellt, in der mehr als 450 Familien wohnen. Fast alle haben Nachwuchs, viele Kinder wollen irgendwann Fußball spielen. „Die Wartelisten sind lang, aber wir sind absolut am Limit“, sagt Günter Brandt. Um auf die prekäre Situation aufmerksam zu machen, hat der Verein ein SOS-Signal an Veraltung und Politik gesendet.
Der ESV Olympia wurde 1927 als Betriebssportverein der damaligen Reichsbahn gegründet. Der Name „Olympia“ nimmt Bezug auf zwei Ringer des Vereins, die 1936 an den Olympischen Spielen teilnahmen. Die Situation des traditionsreichen Vereins wirft ein Schlaglicht auf die Lage vieler Vereine in den Ballungsräumen des Landes. Während sich Fußballklubs in den ländlichen Regionen oft über Rasenplatzanlagen mit zum Teil mehreren Spielflächen freuen können, gibt es für Sportplätze in Innenstadtlagen kaum Raum. „In wachsenden Stadtteilen können Sportvereine oft nicht mehr die erhöhte Nachfrage nach Trainingszeiten und der Bereitstellung von Plätzen decken“, erklärt Manfred Richter, Ratsherr der Kölner Grünen. Dies sei „sehr schade, da gerade in Sportvereinen sehr viel erfolgreiche Integration und soziales Viertelleben“ passiere.
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Köln kommt laut einer Statistik des Statistischen Landesamts nur auf 2,5 Quadratmeter Sportplatzfläche pro Einwohner, im Kreis Olpe sind es 6,2, im Kreis Heinsberg sieben und im Kreis Höxter zehn Quadratmeter. In den Metropolen haben Planer und Investoren kein Interesse daran, lukrative Flächen für den Sport zu opfern. „Beim Kölner Prestige-Projekt ‚Parkstadt-Süd‘ auf dem Großmarkt-Areal laufen wir wohl wieder in die gleiche Falle wie in Nippes, wenn wir nicht stärker für den Sport eintreten“, sagt der stellvertretende Vorsitzende der Kölner SPD-Ratsfraktion Oliver Seeck. „Die Infrastruktur für den Sport muss deutlich mehr mitgedacht werden.“
59,9 Prozent mehr Vereinssportler
Laut Daten des Landessportbunds NRW gab es Ende März 2023 im Land 3360 Fußballvereine mit rund 1,7 Millionen Mitgliedern – das sind etwa so viele Personen, wie die Städte Düsseldorf und Köln zusammen an Einwohnern haben. Seit 1998 stieg die Zahl der Fußballvereine in NRW lediglich um 1,3 Prozent an, aber bei Mitgliedern gab es einen Zuwachs von 56,9 Prozent. Eine Entwicklung, die unterschiedlichste Landesregierungen bislang ignoriert haben.
Während Paragraf 8 der Landesbauordnung dezidiert regelt, ab welcher Neubaugröße Kinderspielplätze mitgeplant werden müssen, gibt es eine entsprechende Regelung für Sportanlagen bislang nicht. Stadtentwicklung sei eine Aufgabe der Kommunen, und sie seien „fit darin“, Fragen zur Sportentwicklung zu beantworten, behauptet das NRW-Bauministerium, das von der CDU-Politikerin Ina Scharrenbach geführt wird, auf Anfrage. Einer Änderung der Landesbauordnung bedürfe es daher nicht. Tatsächlich?
Nach Auskunft der Düsseldorfer Staatskanzlei sind rund 1,4 Millionen Ehrenamtliche in NRW in rund 18.000 Sportvereinen engagiert. Politiker aller Parteien betonen die gesellschaftliche Funktion der Vereine, die oft nicht nur eine sinnvolle Freizeitgestaltung, sondern auch soziale Kompetenzen und Grundwerte vermitteln. „Unsere Gesellschaft ist ohne das herausragende ehrenamtliche Engagement, das täglich in unseren Vereinen geleistet wird, nicht vorstellbar“, sagt Christos Katzidis, Präsident des Fußball-Verbands Mittelrhein (FVM). Ihn ärgert, dass mangelnde Sportplatzkapazitäten das Potenzial der Klubs vielerorts bremsen. Die Kommunen würden „in weiten Teilen keine zukunfts- und bedarfsorientierte Sportstättenentwicklungsplanung vornehmen“, kritisiert Katzidis.
Lange Wartelisten und Kurz-Trainings
Der frühere Polizist aus Bonn spricht als Verbandsfunktionär. Seine Stimme hat aber besonderes Gewicht, denn Katzidis ist zugleich Mitglied der regierungstragenden CDU-Landtagsfraktion und deren innenpolitischer Sprecher. Der FVM-Präsident rät den Vereinen, „politische Lobbyarbeit für sich als Kernaufgabe“ zu erkennen. „Verkürzte Trainingszeiten und Verkleinerungen von Spielflächen können allenfalls eine kurzfristige Überbrückungsmaßnahme sein“, so der FVM-Präsident. Aufnahmestopps, Wartelisten, verkürzte Trainingszeiten und dauerhaft geteilte Nutzungen von Sportstätten seien „die Folgen einer verfehlten Stadtentwicklungsplanung“ und keine akzeptable Lösung: „Bei solchem Agieren darf man sich meiner Meinung nach dann nicht über Staats- und Politikverdrossenheit wundern.“
Im Fall des ESV Olympia hatte der Verein vorgeschlagen, eine benachbarte Sportanlage im Inneren Grüngürtel mitnutzen zu können, die vor dem DB-Gleis-Ausbau in Nippes über einen Tunnel mit dem Stammplatz verbunden war. Damit könnte mehr Platz für das Training geschaffen werden, ohne dass weitere Flächen versiegelt werden müssten. Doch die Stadt Köln winkt bislang ab. „Der ESV-Olympia verfügt über einen Kunstrasenplatz“, sagte eine Sprecherin von Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) auf Anfrage. Dessen hohe Auslastung sei die „Folge der Attraktivität der Sportanlage“.
Der Sport stehe eben in „Flächenkonkurrenz zu anderen Interessen der Stadtplanung“, stellt die Verwaltung fest. Grünanlagen sollten möglichst für alle Bürger zugänglich sein – und nicht nur Sportvereinen. Die vom Club gewünschte Ergänzungsfläche liege überdies im Landschaftsschutzgebiet. Das Sportangebot in Köln sei „sehr vielfältig“ und „quantitativ durchaus ausreichend“, heißt es.
„Kicker haben in Köln keine Lobby“
Eine These, die für Diskussionsstoff sorgt. Jochen Ott, Vorsitzender der SPD im Landtag mit Wahlkreis in Ehrenfeld und Nippes, kündigt bereits an, die Anliegen der Vereine im Kommunalwahlkampf zum Thema zu machen. Man müsse darüber bei neuen Bauprojekten darüber diskutieren, „wie die Sport- und Kulturplanung in Köln künftig verpflichtend berücksichtigt“ werden könne. „Leider haben weder Kultur noch Sport bei der jetzigen Kölner Stadtspitze eine Lobby“, kritisiert der SPD-Politiker.
Auch Arndt Klocke, direkt gewählter Landtagsabgeordneter der Grünen aus Köln, sieht Handlungsbedarf: „Besonders wachsende Städte wie Köln brauchen mehr Bewegungs-Treffpunkte und Sportstätten, auch für Vereine“, so der Politiker aus Nippes. Gut organisierter Vereinssport sei zentral für die Integration von Menschen, sie schaffe Bewegungsmöglichkeiten und stärkte damit die physische und körperliche Gesundheit: „Unsere Verwaltungen sollten künftig flexibler auf gestiegene Bedarfe zeitnah reagieren können“, fordert Klocke.