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„Stiefel“-Wirt über Kölner Nachtleben„Viele wollen nicht dieses Durchdesignte“

Lesezeit 8 Minuten
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Stiefel-Wirt Stephan Freund

  1. Für Studierende ist der „Stiefel“ eine Institution: Generationen von Erstsemestern haben in der kultig-ranzigen Kneipe an der Zülpicher Straße die Nächte durchgemacht.
  2. „Stiefel“-Wirt Stephan Freund weiß den Uni-Besuch zu schätzen, auch wenn er nicht viel Geld in der Tasche hat.
  3. Ein Gespräch über das Kölner Kneipen-Publikum, Dreck auf den Straßen – und den „Stiefel“-Besuch von Hollywood-Star Anthony Hopkins.

Köln – Die Kneipe „Stiefel“ an der Zülpicherstraße ist aus dem Kwartier Latäng nicht wegzudenken, und das Gebäude mit seinen buntbemalten Fassade eins der auffälligsten in der Straße. Innen herrscht der morbide Charme einer Kneipe, die schon Generationen überdauert hat. Die Wände sind vollgekritzelt, hier und da gibt es Graffiti, an manchen Stellen bröckelt der Putz. Ranzig, aber Kult. Oder gerade deswegen. Als die Kneipe 2012 ungefähr ein Jahr lang stilllag, übernahm sie der jetzige Betreiber Stephan Freund. Er beendete den Zustand der kurzzeitigen Versenkung, indem er der Barmeile am Zülpicher Platz eine ihrer ältesten Kneipen zurückschenkte. Wir haben ihn getroffen.

Der „Stiefel“ ist eine der ältesten Gaststätten im Kwartier Latäng. Was wissen Sie über die Historie?

Stephan Freund: Das genaue Entstehungsdatum weiß keiner mehr so richtig. Der Name rührt daher, dass es eine Schusterei war, darum „der Stiefel“. Die Lokalitäten wechselten, der Name blieb. Das muss so am Ende des Kaiserreichs gewesen sein. Das weiß man nicht genau, ich möchte auch keine Unwahrheiten erzählen. Früher war der Stiefel nur halb so groß, in der anderen Hälfte war eine Metzgerei, das sieht man noch am Fliesenboden.

Der Stiefel ist bei Studenten besonders beliebt. Zum Semesterbeginn im Oktober gibt es immer Ersti-Touren, dann lernen die neuen Studenten erst einmal das Nachtleben im Veedel kennen.

Ja, genau, die haben dann ihre sogenannten Paten und die zeigen ihnen nicht nur den Stiefel, sondern die Hotspots des Viertels. Das ist als eine Art Wegweiser gedacht, weil einige auch hier wohnen.

Hat sich das Ausgehverhalten der Studenten verändert?

Ich finde nicht. Der Student ist ja deswegen so wertvoll, weil er im Vergleich zu anderen Gästen häufig ausgeht und nicht unbedingt, weil er so viel Geld an einem Abend ausgibt. Studenten möchten sich aber austauschen. Ihre Wohnungen sind wahrscheinlich nicht super schön: Meistens ist es nur ein Zimmer, bis man sich eine anständige Wohnung leisten kann. Daher kommt das Interesse, auszugehen. Und wenn es nur für zwei Kölsch ist. Dass sie nicht viel Geld zu Verfügung haben, merkt man daran, dass sie fragen, wie viel das Getränk kostet und nicht mit Karten zahlen wie andere Gäste. Das ist ein ehrlicher Umgang, und ich persönlich nehme ihnen das nicht übel. Ich finde das legitim.

Wer ist profitabler: Der Stammgast, der seine zehn Kölsch trinkt oder der ständig wechselnde Kneipenbummler?

Die Mischung macht es. Der Stammgast ist auf den Monat gesehen eigentlich eine Bank. Wenn man engstirnig wäre, könnte man es kalkulieren: Der kommt sechs bis acht Mal im Monat und lässt im Schnitt 20 Euro da. Insofern hat der Stammgast immer einen großen Wert, er ist ein Fundament. Stammgäste machen den Charme eines Ladens aus, weil sich auch das Personal auf sie freut. Auf beiden Seiten weiß man, wie der jeweils andere einen behandelt, man begrüßt sich per Handschlag. Das ist angenehm. Beim neuen Gast muss man sich erst heranfühlen. Viele vergessen auch das Wort „Bitte“ oder „Danke“.

Der Zülpicher Platz ist ein absoluter Hotspot im Kölner Nachtleben: Menschenmengen, viel Polizei und auch unschöne Szenen wie leere Flaschen auf dem Boden. Mittendrin befindet sich der Stiefel. Wie ist das für Sie?

Wo mehr los ist, ist logischerweise auch mehr Dreck. Das Phänomen, dass man Abfälle auf den Boden wirft, ist aber in ganz Köln extrem. Das sollte eine allgemeine Erziehungsaufgabe sein, egal ob man sie mit Ordnungsgeldern oder anderes angeht. So wie mit den Kippen: Das kostet nun zehn Euro, wenn man sie auf die Straße wirft. In den letzten Jahren hat man es zu sehr schleifen lassen. Das Paradoxe ist, dass die Leute sich im Kiosk das Bier holen und es auf der Straße verzehren, weil es günstiger ist, aber das Pfand wird dann in die Ecke geworfen. Andererseits stehen auch gar nicht so viele Mülleimer auf Straße, wo soll ich dann hin mit meinem Dreck? Vor allem, wenn ich noch einen im Tee habe, dann ist es leichter, meine Pommesschachtel auf den Boden zu schmeißen. An die Strukturen müsste man auch mal ran.

Sie haben am Wochenende und an Karneval einen Türsteher. Wirkt das nicht abschreckend auf Gäste, die einfach gern ein Bier in einer abgerockten, entspannten Kneipe trinken wollen?

Nein. Am Anfang wurde ich schon häufiger gefragt: „Du brauchst einen Türsteher?“ Dann hat man gemerkt, dass es für beide Parteien gut ist. Einerseits werden keine fremde Getränke mitgebracht, weil es eine Taschenkontrolle gibt. Andererseits strahlt es Sicherheit aus, wovon auch der Gast profitieren kann, wenn er dumm angemacht wird, was allerdings selten passiert. Dann gibt es die sogenannte Altersbeschränkung, viele sind noch keine 18 Jahre alt. Der Türsteher kontrolliert den Ausweis. Und nach 24 Uhr dürfen auch keine Getränke mehr nach draußen gebracht werden. Wenn einer umkippt, dann kümmert der Türsteher sich und ruft den Notarzt. Das ist gut investiertes Geld, denn auch das Personal steht nicht so unter Anspannung, weil sie Dinge sonst alleine regeln müssten.

Der Stiefel ist zwar kein Live-Musik-Club, in den vergangenen Jahren fanden dennoch hin- und wieder Konzerte statt, beispielsweise spielten Kasalla hier. Was ist Ihnen da besonders in Erinnerung geblieben?

Querbeat waren 2015 da, als sie noch nicht so berühmt waren wie jetzt. Es war ganz toll, die ganze Straße wurde lahmgelegt. Sie wurden mir damals empfohlen, und ich habe sie noch für recht kleines Geld bekommen. Viele Fans standen hier Schlange. Es war Sommer und sehr heiß. Die Band kam mit ihrem Reisebus, und dann stiegen sie mit ihren Trompeten und Instrumenten aus und spielten schon. Der Erfolg gibt ihnen Recht: Bei der Musik kann man nicht still sitzen, sie bringen jeden Laden zum Kochen.

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An die Wände kritzeln? Im Stiefel wird das akzeptiert.

2014 wurde der Stiefel als Filmkulisse für den Hollywood-Film und Action-Thriller „Collide“ auserkoren, bei dem unter anderem Anthony Hopkins mitspielte. Wie kam es dazu?

Das war Zufall. Der Regisseur und seine Crew waren abends hier ein Bier trinken. Am nächsten Tag haben sie mich angerufen und gefragt, ob ich den Laden zur Verfügung stellen könnte. Der Laden blieb zwei Wochen zu. Den Ausfall haben sie mir bezahlt, außerdem haben sie abends immer ein bisschen gefeiert. Der Hopkins hatte schon eine Aura. Ich durfte bei den Dreharbeiten zuschauen, und viele Szenen wurden auch wieder rausgeschnitten. Im Film sagen sie „Lass uns in der Stiefel-Bar treffen“, obwohl die Filmleute mir gesagt haben, dass man die Läden normalerweise umbenennt. Ich war bei der Premiere im Autokino Porz dabei und musste bei der Szene lachen.

Der Stiefel ist innen ziemlich, nun ja, abgenutzt, auf den Wänden gibt es Kritzeleien und Sticker, der Boden ist auch nicht mehr der neuste. Lassen Sie es einfach geschehen?

Wenn jetzt jemand meint, er müsste einen großen Penis an die Wand malen, dann korrigiere ich das. Das muss nicht sein. Wenn sich jemand mit seinen Initialen und dem Datum verewigt oder witzige Zeichnungen macht, dann ist das wiederum ok. Das prägt der Gast. Ich lasse es geschehen, habe es aber teilweise auch schon vom Vorbetreiber so übernommen. Viele Gäste wollen dieses Durchdesignte nicht haben. Wir haben eine sehr große Auswahl an Getränken, und die Qualität wissen die Leute zu schätzen, obwohl der Laden einfach ist. Sie wissen, dass sie locker gekleidet herkommen können. Manchmal kommen auch Anzugträger von der Messe, weil sie einfach nur ein Bier trinken wollen.

Was ist für Sie die größte Herausforderung als Barbetreiber?

Die gesetzlichen Auflagen und die kaufmännische Herausforderung. Die Immobilienpreise sind gestiegen, das betrifft jetzt auch andere Geschäfte. Früher gab es das vielleicht häufiger, dass man eine Kneipe nebenher betrieben hat, aber heute ist es ein Full-Time-Job geworden. Warenannahme, Warenpflege, Kalkulation, Finanzamt – alles, was dazu gehört. Als ich den Laden übernommen habe, mussten wir das Kühlhaus neu machen und das Innere der Theke. Das sieht der Gast nicht. Es ist aber gut, dass so etwas kontrolliert wird.

Gehen Sie gern selbst aus?

Das ist weniger geworden, was meinem Alter geschuldet ist. Ich arbeite auch noch sehr viel an der Theke, etwa an fünf bis sechs Tagen pro Woche, weil man momentan wenig Personal bekommt. Es gibt nicht mehr so viel Nachwuchs wie früher. Wenn ich dann mal frei habe, bin ich lieber zuhause.

Warum ist es schwer, Personal zu bekommen?

Die Studierenden haben andere finanzielle Möglichkeiten, und der Freizeitwert ist auch viel höher. Früher gingen Studenten gerne am Wochenende arbeiten, heute sind sie froh, wenn sie auch mal frei haben. Es gibt auch eine größere Nebenjob-Auswahl. Warum sollte man sich nachts dann dicke Füße holen, denken sie sich. Momentan sind viele Stellen in der Gastronomie frei. Damit haben wir zu kämpfen. Auf eine Anzeige in der Zeitung kam vor ein paar Wochen nicht ein einziger Anruf, früher stand das Telefon nicht still.