Der Eigentümer der Privatstraße verlangt Nutzungsgebühren. Das Ehepaar sieht die Stadt Köln in der Pflicht – die bislang schweigt.
Streit ums WegerechtWarum einem Kölner Paar Haft droht, wenn es die Straße zu seinem Haus betritt
Bis Weihnachten können Perwin Sakar und Latif Bekiri noch einkaufen gehen, zur Arbeit fahren, ihr Haus betreten und verlassen, wann sie möchten. Kurz nach dem Fest der Liebe könnte das vorbei sein.
Das Kölner Amtsgericht hat angedeutet, den Kölner Eheleuten in einem Urteil am 27. Dezember zu verbieten, die Straße zu begehen, in der sie leben. Die Bekiris könnten ihr Haus dann nicht mehr erreichen oder verlassen, ohne sich strafbar zu machen. Und müssten bei Betreten der Straße mit einer Geldstrafe von bis zu 250.000 Euro oder einem halben Jahr Haft rechnen.
Das Amtsgericht hat angedeutet, dass die Klage Aussicht auf Erfolg hat
Nach einem über drei Jahre eskalierten Streit wollen die Eigentümer der Privatstraße in Köln-Junkersdorf dem Ehepaar die Nutzung der Straße verbieten, sofern diese weiterhin nicht bereit sind, dafür zu bezahlen. Das Amtsgericht hat angedeutet, dass die Klage Aussicht auf Erfolg habe. Es wäre das vorläufige Ende eines Nachbarschaftsstreits, an dessen Zuspitzung die Stadt Köln nicht unbeteiligt ist – und der seines Gleichen sucht.
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Der Stüttgerhofweg 6b liegt in einer ruhigen Stichstraße. Die Häuser sind stattlich, die Autos auch. Kölner Unternehmer leben hier, Akademiker, Menschen, denen es finanziell gut geht. Auch Perwin und Latif Bekiri können das von sich sagen. Sie ist leitende Angestellte bei Ford, er Unternehmensberater in einer Steueranwaltskanzlei. Der großzügige helle Bungalow mit Garten hatte es ihnen bei der Besichtigung im Jahr 2019 gleich angetan – Latif Bekiri lebte nur ein paar Hundert Meter entfernt, er mochte die Ruhe am Rande der Stadt.
Das Paar ließ das Haus nach dem Kauf aufwändig kernsanieren. Als sie im Sommer 2020 einen Gasanschluss beantragt hatten und die Straße aufgerissen werden sollte, ließ eine Nachbarin die Arbeiten plötzlich stoppen. „Erst da erfuhren wir, dass wir in einer Privatstraße leben“, erinnert sich Latif Bekiri. „Weder der Makler, noch ein Gutachter oder Vermessungsingenieur hatte uns darüber informiert.“
Immobiliengesellschaft weigert sich, Straße an Stadt abzugeben
Der Weg gehört einer Immobilien- und Verwaltungsgesellschaft, die durch ein Ehepaar vertreten wird, das ebenfalls in der Straße wohnt. Auch die Eltern des Geschäftsführers haben ein Haus in der Straße. Als das Areal im Jahr 1973 als Bauland erschlossen wurde, übertrug die Gesellschaft die Straße nicht unentgeltlich an die damalige Stadt Lövenich – obwohl sie sich vertraglich dazu verpflichtet hatte.
Vier Bauträger mit ähnlichen Projekten in der Nachbarschaft hatten ihre Straßen nach der Erschließung an die Stadt Lövenich übertragen – die Immobilien- und Verwaltungsgesellschaft weigerte sich seinerzeit mit Verweis auf finanzielle Aspekte. Dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ liegen entsprechende Verträge und Mitschriften über Korrespondenzen von damals vor.
„Auf welchem Wege es der Immobiliengesellschaft gelungen ist, sich der Verpflichtung zu entziehen, den Stichweg an die Stadt Lövenich oder später an die Stadt Köln zu übertragen, wissen meine Mandanten leider nicht“, sagt der Anwalt des Ehepaars. „Was sie allerdings wissen, ist, dass die Eigentümer allen anderen Anliegern die Nutzung der Stichstraße unentgeltlich erlauben – außer ihnen.“
Kölner Nachbarschaftsstreit: Ehepaar darf nicht mehr auf der Straße parken
Nach der Verlegung des Gasanschlusses, den die Eigentümer nicht verhindern konnten, nahm der Nachbarschaftsstreit erst richtig Fahrt auf: Zuerst ließen die Eigentümer dem Ehepaar verbieten, ihr Auto am Zaun neben ihrem Garten zu parken – dort, wo auch die Vorbesitzer des Hauses geparkt hatten und andere Nachbarn es bis heute tun.
Das Amtsgericht gab den Klägern recht: Das Ehepaar müsse andernfalls bis zu 250.000 Euro Ordnungsgeld zahlen oder mit bis zu einem halben Jahr Gefängnis rechnen. „Die Eigentümer haben dann Poller im Bereich des Zauns installieren lassen“, sagt Latif Bekiri bei einem Gang über die Privatstraße, die mit Kameras bewacht wird. „Nachbarn haben Schlüssel für die Poller erhalten, um dort zu parken, nur wir dürfen das nicht.“
Arbeiten am Haus und Handwerkstermine sollte das Ehepaar künftig anmelden – als sie dies taten, weil sie den bestehenden Zaun ersetzen wollten, hätten just an dem Tag zwei Autos an der Grundstücksgrenze geparkt. „Das war pure Schikane“, sagt Perwin Sakar. Als die Geschichte mit der Überschrift „Der Straßen-Krieg von Junkersdorf“ im „Express“ stand, wendete sich auch ein Teil der zuvor wohlgesonnenen Nachbarschaft von dem Ehepaar ab.
Wegerechte führen zu immensem Wertverlust
„Dabei“, sagt Latif Bekiri, „sitzen wir eigentlich alle im gleichen Boot: Weil die Straße nicht in öffentlicher Hand ist und der Eigentümer willkürlich über Nutzungsgeld entscheiden kann, sind die Häuser schwerer zu verkaufen – und deutlich weniger wert.“ Sein Anwalt hat ein Gutachten in Auftrag gegeben, wonach der Wertverlust der Immobilie aktuell rund 70 Prozent betrage, weil die Straße nicht öffentlich erschlossen ist und die Rechtslage unsicher sei.
Die Anwälte der Streitparteien kämpfen nun seit mehr als drei Jahren vor Gericht. Den Antrag der Straßenbesitzer, dem Ehepaar, Besuchern und Handwerkern das Befahren der Straße komplett zu verbieten, so lange sie kein Geld zahlen, lehnte das Gericht vor drei Jahren noch als „nicht dringlich“ ab. Es folgte die nächste Eskalation: Als eine Gartenbaufirma vor dem Grundstück des Ehepaars parken wollte, blockierte laut dem Ehepaar ein Mann gemeinsam mit einem Anwalt des Immobilienunternehmens die Straße.
Das Ehepaar rief die Polizei, wollte Strafanzeige wegen Nötigung stellen, der Anwalt habe die Beamten indes vor Ort aufgefordert, einen Vorgesetzten hinzuzuziehen. „Und der ist nach einem Gespräch mit dem Anwalt zu uns gekommen und hat gesagt, er könne leider nichts machen – es gehe um Privatrecht“, sagt Perwin Sakar kopfschüttelnd. „Da haben wir uns zum ersten Mal völlig schutzlos gefühlt.“
Eigentümer verlangt eine jährliche Nutzungsgebühr von 18.300 Euro – Gericht hält 300 für angemessen
Privatrecht heißt im Fall dieses Nachbarschaftsstreits, dass die Eigentümer von dem Ehepaar Geld für die Nutzung der Straße verlangen dürfen. 100 Euro pro Jahr hätten sie von sich aus angeboten, sagen Perwin Sakar und Latif Bekiri. Der Eigentümer habe nicht darauf reagiert und später 1000 Euro vorgeschlagen. „Das wollten wir nicht akzeptieren“, sagt Latif Bekiri. „Schließlich war die Straße bereits erschlossen – und die Eigentümer hätten sie längst an die Stadt übertragen müssen. Zudem verlangen sie von niemandem sonst in der Straße Nutzungsgebühren – nur von uns.“
Vor Gericht verlangte der Eigentümer eine jährliche Nutzungsgebühr von 18.300 Euro – das Gericht setzte die Nutzungsentschädigung indes zunächst auf 300 Euro fest. Für einige Monate hat das Paar die Gebühr anteilig jeden Monat bezahlt, dauerhaft will es nicht zahlen, solange nicht geklärt ist, ob der Eigentümer die Straße nicht an die Stadt Köln übertragen muss.
Neben den Klagen von beiden Seiten gibt es offenbar immer wieder kleinere Scharmützel: Es geht um Laub, angeblich nicht eingehaltene Grenzabstände beim Pflanzen eines Baumes, einen Unfall wegen der installierten Poller, vermeintliche Straßenschäden, die das Ehepaar verursacht habe, Beleidigungen, Verleumdung.
Zwischenzeitlich bot der Eigentümer laut dem Ehepaar ihnen an, das Haus zurückzukaufen. Sie lehnten ab, hätten nicht klein beigeben wollen in einem Streit, in dem sie meinen, rechtlich und moralisch auf der richtigen Seite zu stehen. Der Küchentisch des Ehepaars mit Blick auf den Hof und die Eigentümer der Straße ist mit Medikamenten und Büchern zugestellt – „wir nutzen die Küche schon lange nicht mehr zum Essen, weil wir den Blick nach draußen nicht mehr ertragen können“, sagt Perwin Sakar.
„Wir fühlen uns schon lange bei jedem Gang nach draußen unwohl. Hätten wir gewusst, was uns erwartet, hätten wir das Haus niemals gekauft.“ Mehr als 80.000 Euro allein an Anwaltskosten hätten sie bislang ausgegeben. „Aber das ist nicht die Hauptsache.“ Dabei könnte es aus Sicht des Ehepaars nach wie vor eine Lösung geben: Die Eigentümer müssten die Stichstraße unentgeltlich an die Stadt Köln übertragen – so, wie es die Verträge vor 50 Jahren vorgesehen haben.
Eigentümer setzen Grundsteuerwert auf eine Million Euro fest
Dem Eigentümer kommt das offenbar nicht in den Sinn – entsprechende Fragen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ beantwortet der Anwalt der Immobiliengesellschaft zumindest nicht und verweist auf seine Verschwiegenheitspflicht.
Gerichtsunterlagen zufolge sollen die Eigentümer den Grundsteuerwert der Stichstraße mit gut einer Million Euro festgesetzt haben, indem sie den Bodenrichtwert für unbebautes, aber bebaubares Wohnland zugrundegelegt haben – womöglich, um bei einer Übertragung der Straße an die Stadt viel Geld zu kassieren. Laut Anwalt des Ehepaars handele es sich indes um Straßenland, für das „allenfalls fünf Prozent des Preises für Bauland angesetzt werden können“. Damit wäre die Fläche lediglich 5000 Euro wert.
Die Stadt Köln weiß um die Groteske eines Verbots für das Ehepaar, ihr eigenes Haus zu betreten oder zu verlassen. „Mir ist bewusst, dass ihre Mandanten in einer sehr unangenehmen Situation sind, da sich die Gegenseite nicht an die zwischen den Parteien getroffene Vereinbarung hält, die Grundlage der von der Stadt Lövenich erteilten Baugenehmigung war“, heißt es in einer Mail des Leiters des Rechtsamts an den Anwalt des Ehepaars.
Stadt Köln: Prüfung der Möglichkeiten verzögert sich
Die Prüfung, „welche Handlungsmöglichkeiten für die Stadt bestehen, um eine Nutzung der Wegeparzelle zu erreichen“, seien noch nicht abgeschlossen und für Mitte September zu erwarten, heißt es am 11. August 2023. Mitte November teilt die Stadt auf Anfrage dieser Zeitung mit, dass bis Ende November geprüft sein soll, ob die Stadt einen Übereignungsanspruch gegen den Eigentümer der Straße habe und die Straße öffentlich gewidmet werden könne.
Die Prüfung habe sich „etwas verzögert“. Noch hat sich niemand bei dem Ehepaar gemeldet. Ob Perwin Sakar und Latif Bekiri im neuen Jahr noch in ihr Haus kommen, bleibt vorläufig weiter ungewiss.