Warum die Autoposer-Szene trotz Umbaumaßnahmen weiterhin nach Köln-Poll pilgert und was schlaflose Anwohner jetzt fordern.
„Das ist hier das Kölsche Parship“Frustrierte Anwohner, feiernde Autoposer – eine Nacht auf der Alfred-Schütte-Allee
Die Sonne über Köln-Poll ist längst untergegangen, doch das Thermometer zeigt in dieser ungewöhnlich warmen Aprilnacht noch immer 20 Grad an. Eigentlich könnte Inge Kramarczyk (Name geändert) jetzt noch auf ihrem Balkon mit Blick auf die Poller Wiesen die Vorsommernacht vor dem Schlafengehen genießen. Doch an Entspannung und Schlaf ist in solchen Nächten für die 87-Jährige und ihren Mann nicht zu denken. Die beiden wohnen in der Alfred-Schütte-Allee, einem Hotspot der Kölner Autoposer-Szene.
„Bis 5 Uhr nachts geht das so“, sagt die 87-Jährige, als sie um 23 Uhr auf ihrem Balkon steht und auf die Straße blickt. Immer wieder fahren hochmotorisierte Sportwagen an ihrem Haus vorbei, aus vielen dröhnen dumpfe Bässe. Einige Fahrer lassen den Motor aufheulen oder geben kurz Gas, wenn sie an Kramarczyks Wohnung vorbeifahren. Immer wieder wird das Gespräch durch Hupen und Reifenquietschen unterbrochen, das von weiter oben auf der Alfred-Schütte-Allee in das südlich gelegene Wohngebiet dringt.
Umbaumaßnahmen der Stadt schreckt Autotuner in Köln-Poll nicht ab
„Der Lärm ist so laut, dass wir selbst bei geschlossenem Fenster nicht schlafen können“, sagt die sichtlich verzweifelte Frau. „Uns geht es nicht darum, hier jemanden zu denunzieren. Wir waren ja auch mal jung. Wir wollen einfach schlafen können.“
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Seit Jahren beschweren sich Anwohner über die Autoposer- und Raser auf der Alfred-Schütte-Allee. Um der Szene den Spaß am Cruisen zwischen Südbrücke und Müllergasse zu nehmen, hat die Stadtverwaltung die Straße aufwendig umbauen lassen. Unter anderem ein Zebrastreifen und eine an vielen Stellen verengte Fahrbahn sollen die Tuningfans ausbremsen. Mittlerweile sind die Umbaumaßnahmen weitestgehend abgeschlossen. „Geändert“, urteilt Kramarczyk, „hat das nichts.“ Das Geschehen, vor allem das schnelle Fahren, habe sich durch die Umbaumaßnahmen in Höhe der Schütte-Werke schlicht weiter in das Wohngebiet verlagert, berichtet ein anderer Anwohner. „Bei warmem Wetter machen wir kein Auge zu.“
Läuft man Samstagnacht über die Alfred-Schütte-Allee kann man tatsächlich feststellen, dass die Arbeiten die Szene wenig beeindruckt zu haben scheinen. Mehrere hundert junge Männer und Frauen sitzen am Straßenrand vor ihren Autos, aus denen Musik dröhnt. Viele haben ihre Wasserpfeifen oder Alkohol mitgebracht. Auch Lachgas wird konsumiert. Immerhin: Aufgrund der verengten Fahrbahn und dem großen Andrang ist hier nur Fahren in Schritttempo möglich. Aber warum kommen die jungen Menschen überhaupt hier hin?
Kölner Polizei: „Die Alfred-Schütte-Allee bleibt ein Hotspot der Poserszene“
Die meisten von ihnen wollen darüber nicht mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sprechen. Eine Ausnahme ist der 19-jährige Francesco. Er lehnt gemeinsam mit zwei Freunden an einem Mercedes-Cabrio auf Höhe der Schütte-Werke. „Von Mama“, gibt er zu. „Die Alfred-Schütte-Allee, das ist das kölsche Parship“, sagt er und lacht. „Ein bisschen rumcruisen, bisschen chillen und Leute kennenlernen“, fasst er den Plan für die Nacht zusammen. „Und wer das dickste Auto hat, kriegt die Frauen.“ Ist das nicht, nun ja, ein bisschen albern? „Klar“ räumt Francesco dann ein. „Irgendwie ist das dumm. Aber es macht Spaß – und funktioniert.“
Ob er den Frust der Anwohner nachvollziehen kann? „Aber hier wohnt doch keiner!“, antwortet Francesco und zeigt auf die Schütte-Werke. Dass der Lärm bis in das Wohngebiet weiter südlich durchdringt und einige Raser auch dort mit hoher Geschwindigkeit entlangfahren, bringt ihn zum Nachdenken. „Ja, da sollte man Rücksicht nehmen“, sagt er dann.
Autotuning-Szene zeigt sich gerne in Köln-Poll – Autorennen sind eher Ausnahme
Auch Polizei und Ordnungsamt sind in dieser Samstagnacht vor Ort und patrouillieren über die Allee. Gegen 23:30 Uhr nehmen mehrere Polizeibeamte einen getunten Ford-Mustang unter die Lupe, während der Besitzer und seine Freunde genervt am Straßenrand stehen. „Die Alfred-Schütte-Allee bleibt ein Hotspot der Poserszene“ stellt ein Polizeisprecher fest. Vor allem an den vergangenen beiden Wochenenden sei sie stark frequentiert gewesen. Polizei und Ordnungsamt würden mit Präsenz reagieren. Rund hundert Sachverstöße hätten die Beamten in den vergangenen beiden Wochen festgestellt. Autorennen allerdings seien nicht dabei gewesen. Auch ein Sprecher der Stadt betont, man würde die Situation genau beobachten und mit Radar- und Lärmmessungen gegen Ordnungswidrigkeiten vorgehen.
Inge Kramarczyks findet die erhöhte Präsenz von Polizei und Ordnungsamt gut. „Aber allein damit kriegt man das Problem nicht in den Griff“, glaubt sie. „Die nehmen die Polizei gar nicht ernst.“ Mehrmals habe sie beobachtet, wie Autoposer mobile Radarmessanlagen abgedeckt oder mit rohen Eiern beworfen haben. „Und sobald die Polizei weg ist, geht die Raserei los.“
Sie fordert, ähnlich wie schon der Geschäftsführer der Schütte-Werke, Carl Martin Welcker, die Alfred-Schütte-Allee in der Nacht zu sperren. „Erst dann wird die Nachbarschaft zur Ruhe kommen.“ Fragt man Francesco, was passieren würde, wenn die Allee gesperrt wird, zuckt er mit den Schultern. „Dann gehen wir halt woanders hin.“