Opfer von Kriminalität verdienen nach der Tat oft weniger, manche rutschen in die Sozialhilfe ab.
Studie der Uni KölnSo viel kostet ein Verbrechen das Opfer – Folgen bislang unterschätzt
Als Wissenschaftlerin an der Uni Köln hat Anna Bindler mit Volkswirtschaft zu tun, mit Mikroökonomik und Arbeitsmarktökonomik – aber auch mit Mord und Totschlag, mit Raubüberfällen, Vergewaltigungen und häuslicher Gewalt.
Die Kölner Professorin von der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät ist eine von wenigen Forscherinnen weltweit, die sich mit den wirtschaftlichen Folgen von Verbrechen beschäftigen. Erst kürzlich wurde Bindler für ihre neueste Studie, die sie mit ihrer niederländischen Kollegin Nadine Ketel verfasst hat, mit dem „Wissenschaftspreis Opferschutz“ vom Weißen Ring und dem Bundeskriminalamt (BKA) ausgezeichnet.
„Economics of Crime“ nennt sich die noch wenig, aber zunehmend beachtete Sparte der Volkswirtschaft, die die Kosten von Verbrechen beleuchtet. Kriminalität, darüber sind sich Wissenschaftler einig, hat einerseits oft unmittelbare ökonomische Ursachen: Wer arm ist, arbeitslos oder bildungsschwach, wird – vereinfacht gesagt – eher kriminell als gut gebildete, wohlhabende Menschen.
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Köln: Ökonomin der Uni hat die Kosten von Kriminalität errechnet
Andererseits verursacht Kriminalität erhebliche wirtschaftliche Schäden. Bindler und Ketel sind vor allem der Frage nachgegangen, wie hoch die Kosten für die Gesellschaft sind, aber eben auch für die einzelnen Opfer von Gewalt und Diebstahl. Das Kernergebnis ihrer Studie: Vor allem Opfer von Gewaltdelikten verdienen nach der Tat teils deutlich weniger – und das bis zu vier Jahre lang. Viele sind krankgeschrieben, manche verlieren ihren Job, nicht wenige rutschen dauerhaft in die Sozialhilfe ab, insbesondere weibliche Opfer.
„Die Hypothese, die wir testen wollten, dass die gesellschaftlichen und die individuellen Kosten von Kriminalität allgemein unterschätzt werden, hat sich bestätigt“, sagt Bindler im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Was sie aber selbst nicht in dem Ausmaß erwartet hätte, sei, wie stark Menschen tatsächlich in ökonomischer Sicht unter den Folgen leiden und über welchen Zeitraum. „Das hat uns schon überrascht“, sagt Bindler. „Ich gehe davon aus, dass die Einkommensverluste sogar länger als vier Jahre andauern, aber wir können das nicht verlässlich mit Daten nachweisen.“
Etwas mehr als 30.000 Menschen wurden voriges Jahr in Köln Opfer einer Straftat. Männliche Opfer, das haben Bindler und Ketel errechnet, verdienten nach einer Straftat im Schnitt bis zu etwa acht Prozent weniger, Frauen bis zu 13 Prozent. Konkret: Im ersten Jahr nach einer Körperverletzung büßen Männer fast 1500 Euro ein, Frauen 1700 Euro. Besonders hoch sind die Werte bei häuslicher Gewalt. Vor allem Frauen verlieren ein Jahr nach einem gewaltsamen Übergriff durchschnittlich mehr als 14 Prozent ihres Einkommens.
Ein möglicher Grund, warum die Einkommensverluste von Verbrechensopfern so hoch sind und warum einige in der Folge dauerhaft Sozialleistungen beziehen, ist laut Bindler, dass diejenigen, die Opfer von Straftaten würden, „in der Tendenz ohnehin schon schwächer im Arbeitsmarkt dastehen als die allgemeine Bevölkerung“.
Für ihre Studie haben die beiden Wissenschaftlerinnen mehr als 800.000 Polizeiakten aus den Niederlanden ausgewertet und pseudonymisiert mit Arbeitsmarkt-, Gesundheits- und Sozialversicherungsdaten verknüpft. Das ist in Deutschland so nicht möglich. Die Ergebnisse der niederländischen Daten seien aber „qualitativ auf Deutschland übertragbar“, betont Bindler. „Nur bei der genauen Höhe der Kosten wäre ich vorsichtiger.“
Kölner Ökonomin forscht zu minderjährigen Kriminalitätsopfern
Bindler und Ketel haben vor allem die so genannten indirekten Kosten von Kriminalität untersucht. Hinzu kommen die direkten Kosten etwa für Polizei, Justiz, Eigentumsschäden der Opfer und Gesundheitskosten wie Arztbesuche und Krankenhausaufenthalte. Die dritte Säule sind die „immateriellen Kosten“. Diese seien besonders schwer messbar, sagt Bindler. „Da geht es um das allgemeine Wohlergehen, das Leid der Betroffen, die Auswirkungen auf die Lebensqualität. Das kann man nicht in Euro ausdrücken.“
In einer Untersuchung aus den USA werden die jährlichen gesellschaftlichen Gesamtkosten von Kriminalität auf rund 20 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts geschätzt. Für Deutschland gibt es solche Schätzungen nicht.
Anna Bindler wünscht sich, dass die Politik ihre Studienergebnisse als Grundlage für Entscheidungen nimmt, etwa wenn es darum geht, mehr Geld für Prävention auszugeben, um Taten zu verhindern und potenzielle Opfer zu schützen. Aktuell forscht die Kölner Ökonomin anhand von Daten aus Neuseeland zur Frage, welche ökonomischen Folgen Kriminalität für minderjährige Opfer hat. „Der erste Schritt war, die Kosten zu verstehen“, sagt Bindler. „Der nächste ist es zu verstehen, welche Maßnahmen diese Kosten reduzieren könnten.“