Köln – Wenn Kim Phuong Mol Serien guckt, dann meist auf Geschwindigkeit 1,5. Irrelevante Gesprächsszenen spult sie vor. Sie will ja beim Thema Serien mitreden können, sagt Mol und lacht, aber so viel Zeit wie andere Menschen hat sie einfach nicht.
Kim Phuong Mol, 29 Jahre alt, Master-Studentin der Wirtschaftspädagogik an der Uni Köln, lebt ein etwas anderes Studentenleben. Sie geht auf keine Partys, verschläft keine Vorlesungen. Geht ja auch schlecht, wenn der Wecker schon um 6.30 Uhr klingelt. Die Zeit der Corona-Einschränkungen fand Mol total klasse. „Alle haben es verflucht“, sagt sie. „Aber für mich war es super – ich konnte zwischen den Vorlesungen Mittagessen für meine Kinder machen, mich um sie kümmern und gleichzeitig am Handy die Veranstaltung mithören.“
130.000 junge Menschen studieren in Deutschland mit Kind
Sechs Prozent der Studierenden in Deutschland haben laut einer Erhebung des Deutschen Studentenwerks mindestens ein Kind. Das macht deutschlandweit knapp 130.000 junge Menschen, die zwischen Tutorien und Vorlesungen auch noch Windeln wechseln, den Nachwuchs zur Kita bringen und Gute-Nacht-Geschichten vorlesen. Die in der Klausurenphase nachts nicht nur an Ökonometrie verzweifeln, sondern auch Babys stillen. Trotzdem entscheiden sich viele junge Menschen ganz bewusst dazu, während des Studiums Kinder zu bekommen. Junge Menschen wie Kim Phuong Mol.
Hürth, Ende September. Die Semesterferien neigen sich dem Ende zu. Kim Phuong Mol setzt sich an ihren Küchentisch, vor ihr eine Tasse Tee, im Arm hält sie ihren Sohn. Johnny Kaan, zweieinhalb Monate alt, verhält sich ganz anders als seine älteren Schwestern es als Babys taten, erzählt Mol. Er braucht mehr Beschäftigung, schläft nicht so viel, will immer auf dem Arm. Fast wie um das Gesagte zu bestätigen, kräht Johnny los. Hört erst auf, als seine Mutter ihm sanft auf Vietnamesisch zuredet.
Karriereplan: Irgendetwas, für das man kein Studium braucht
Zwei Dinge standen für Kim Phuong Mol schon als Teenager fest: Erstens: Sie möchte früh Kinder bekommen. Zweitens: Sie möchte auf keinen Fall studieren. Den ersten Punkt zog sie durch: Schon während dem Abitur zog sie bei ihrem Freund ein, sie begann eine Ausbildung zur Kauffrau im audiovisuellen Medienbereich, verkürzte, wenige Wochen vor dem Abschluss heiratete sie ihren Freund. 2016 kam ihre Tochter auf die Welt. Alles lief nach Plan.
Doch während Mols Mutterschutz ging ihre Firma pleite – eine Rückkehr ins Büro war damit ausgeschlossen. „In meinem alten Beruf war ich außerdem viel auf Casting-Touren“, sagt die 29-Jährige. „Doch das viele Reisen ist mit einer Familie nicht gut vereinbar.“ Im Sommer 2017 macht ihre fünf Jahre jüngere Schwester einen Vorschlag: Sie habe sich für BWL an der Uni Köln eingeschrieben. Ob das nicht auch etwas für Kim Phuong Mol wäre? Sie zögerte. Eigentlich hatte sie schon als Kind alle Traumberufe verworfen, die ein Studium erfordern, sie wollte lieber Geld verdienen, so früh wie möglich.
Kim Phuong Mol wird ihr Studium als dreifache Mutter beenden
Dann beschloss sie, dem Studium doch eine Chance zu geben. Fand eine nette Tagesmutter, bei der ihre Tochter tagsüber mit gleichaltrigen Kindern spielen konnte. Und setzte sich im Herbst mit ihrer Schwester in den Hörsaal.
Sie hatte Glück, sagt sie. Ihre erste Tochter war ein außergewöhnlich pflegeleichtes Kleinkind, sie schlief viel. Und Mol lernt am besten nachts. Nachdem sie ihre Tochter abends ins Bett gelegt hatte, setzte sie sich an ihren Schreibtisch und lernte, oft bis ein, zwei Uhr. Das Studium lag ihr, ihren Bachelor schloss sie in Regelstudienzeit ab, obwohl sie 2019 ihre zweite Tochter auf die Welt brachte. Im Juli dieses Jahres vervollständigte Johnny Kaan die Familie.
Heute studiert Kim Phuong im Master, Schwerpunkt Wirtschaftspädagogik. Sie wird nun doch Lehrerin, sagt sie, am Berufskolleg. Nächstes Jahr beginnt ihr Referendariat.
„Ob ich in der Vorlesung sitze, interessiert den Dozenten nicht“
„Ich sage immer: Arbeiten wäre jetzt auch nicht leichter als Studieren“, sagt Kim Phuong Mol. Ihr hilft die Flexibilität, die das Studieren ihr bietet. „Beim Studium muss man sich nicht rechtfertigen. Ob ich in der Vorlesung sitze oder nicht, interessiert den Dozenten null. Entweder, ich komme oder ich komme nicht. Und wenn das Kind krank ist, kann ich den Stoff einfach abends nachholen.“
Zeit für das richtige Studentenleben hat sie trotzdem nicht. Macht aber nichts, sagt Mol. Sie habe als Jugendliche genug gefeiert. Riss sogar mit 14 Jahren von zu Hause aus, um in Leipzig auf eine Party zu gehen. „Jetzt bin ich zum Stubenhocker geworden“, sagt sie.
Anstatt bis kurz vor der ersten Vorlesung aus dem Bett zu springen, klingelt um 6.30 ihr Wecker. Sie macht Frühstück für die Kinder, räumt hinter ihnen auf, bringt ihre Kinder in die Schule und zur Tagesmutter und fährt in die Uni. Um vier Uhr fängt das Nachmittagsprogramm an: Musikschule, Turnen, Frühförderung. Logopädie für ihre zweite Tochter, die nahezu gehörlos ist. Für sie geht die Familie auch zum Gebärdenunterricht.
Ganz so frei planen wie ihre Kommilitonen kann die 29-Jährige nicht. „Ich kann mich nicht jeden Tag von acht bis zehn Uhr an den Schreibtisch setzen und Vorlesungen nacharbeiten.“ Weil doch immer wieder Arzttermine dazwischen kommen können, Krankenhausaufenthalte ihrer zweiten Tochter, eine kranke Tagesmutter.
Studieren mit Kind: Uni Köln bietet jungen Eltern Unterstützung
Neben Studium und Kinderbetreuung arbeitet Kim Phuong Mol auch im Autonomen Referat Studieren mit Kind der Uni Köln. Die größten Schwierigkeiten, von der die jungen Eltern ihr erzählen, sind finanzielle. Im Studium ist der Geldbeutel schließlich eh schon schmal – auch, wenn man nicht Windeln, Kinderkleidung und eine Betreuung bezahlen muss. Selbst, wenn ein Elternteil arbeitet, sagt Kim Phuong Mol, sei es heutzutage kaum noch möglich, von einem Gehalt zu leben.
Mol kriegt Bafög, mit einem Bonus von 150 Euro pro Kind, dazu arbeitet sie als wissenschaftliche Hilfskraft an der Fakultät für Wirtschaftspädagogik. Ihr Mann arbeitet Vollzeit. Das Geld reicht zum Leben, sagt sie. Für Urlaub bleibe jedoch nichts übrig.
Die Uni Köln bietet Eltern einige Hilfsmechanismen, um Studium und Kindererziehung zu vereinbaren: Wenn Kim Phuong Mol zum Beispiel ihren Stundenplan fürs kommende Semester zusammenstellt, ist das für sie leichter als für einige Kommilitonen. Als Mutter kann sie Härtefallanträge stellen, damit sie tatsächlich den Kurs um die Uhrzeit bekommt, die ihr am besten passt. Das, sagt sie, sei jedoch nicht an allen Fakultäten möglich.
„Die Infrastruktur ist für Studierende mit Kind deutlich besser geworden“
Einige Fakultäten haben zudem Eltern-Kind-Räume, „familienfreundliche Arbeitszimmer“, in die sowohl Mitarbeiter als auch Studierende dürfen. Ein paar von Mols Bekannten haben dort fast ihre komplette Masterarbeit geschrieben. Zudem hat die Uni einen Betreuungsfond für Studierende eingerichtet: Aus diesem Fond können sich Eltern Betreuungskosten für die Kinder erstatten, wenn sie die Kinder auch außerhalb der Kita für das Schreiben einer Hausarbeit, Lernen oder eine Abendvorlesung in Betreuung geben müssen. Acht Euro pro Stunde für ein Kind, zwölf Euro pro Stunde für mehrere Kinder.
Insgesamt habe sich die Unterstützung für Familien mit Kind verbessert, sagt Matthias Anbuhl, Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks. Die Studentenwerke betreiben fast 200 Kitas, deutschlandweit mit 9100 Plätzen. Vor 20 Jahren waren es noch 5100 Plätze. „Die Infrastruktur ist für Studierende mit Kind deutlich besser geworden“, sagt Anbuhl. „In den Studienordnungen werden heute auch studierende Eltern berücksichtigt.“ Wenn Studierende aber doch mit Dozenten diskutieren müssen, sobald sie eine Veranstaltung verpasst haben, weil ihr Kind erkrankt ist, seien die Familien- und Gleichstellungsbüros dabei eine große Unterstützung.
Anbuhl sieht trotzdem noch Handlungsbedarf: „Wir haben in den Betreuungsstrukturen einen riesigen Fachkräftemangel“, sagt er. Auch an Betreuungsmöglichkeiten in Randzeiten mangele es noch. „Das Wichtigste ist meiner Ansicht nach, dass der Bund beim Fachkräftemangel entgegensteuert und den Beruf des Erziehers oder der Erzieherin attraktiver macht.“
Bei Mols Familie klappt die Betreuung meist auch, wenn sie Vorlesungen zu Randzeiten besuchen muss. Dann passen eben ihre Eltern auf die Kinder auf, ihr Mann oder ihre Schwester. Trotzdem würde ich Kim mehr Betreuungsmöglichkeiten wünschen: Andere Familien haben schließlich kein so großes Polster in der Betreuung. „Es fragen sehr viele Studierende nach Betreuungsmöglichkeiten. Wir versuchen dann Babysitter zu vermitteln – aber das ist einfach schwer.“
Zur Serie „Junges Köln“
Studieren, arbeiten, feiern und lieben: Köln ist ein Magnet für Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, die das und mehr hier erleben wollen. Jedes Jahr ziehen Tausende in die Stadt, auf der Suche nach Abenteuer – und einem neuen Zuhause. Aber: Wie sieht ihre Lebensrealität wirklich aus? In unserer neuen Serie „Junges Köln“ wollen wir den Blick auf junge Kölnerinnen und Kölner lenken und davon erzählen, was sie bewegt. So sind wir etwa in der Technoszene unterwegs, versuchen zu erkunden, was die Faszination ausmacht. Oder begleiten Singles beim Dating auf der Suche nach der wahren Liebe.