Das Gutachten eines Kölner Professors belastet den Reemtsma-Entführer Thomas Drach. Darum gab es nun erneut Aufruhr im Prozess.
„Hatten schon einen Scharlatan“Drach-Gutachter wird im Landgericht Köln in die Mangel genommen
Im Hochsicherheitsverfahren um Reemtsma-Entführer Thomas Drach im Landgericht bleibt die Stimmung gereizt. Beim nunmehr 78. Verhandlungstag am Montag gerieten die eigentlichen Vorwürfe – vier bewaffnete Raubüberfälle auf Geldtransporter – zunächst erneut in den Hintergrund. Neben ständigen Wortduellen zwischen dem Vorsitzenden Richter Jörg Michael Bern und den Verteidigern ging es diesmal abermals um womöglich sachfremde Fragen an den Video-Gutachter.
Kölner Sportprofessor belastete Thomas Drach
Der renommierte Sportwissenschaftler Prof. Wolfgang Potthast musste erneut in Saal 112 des Justizgebäudes erscheinen, obwohl er das beauftragte Gutachten bereits im Dezember vergangenen Jahres erstattet hatte. Doch zahlreiche Nebenkriegsschauplätze und intensive Nachfragen der Verteidiger verlängern den Aufenthalt des Dozenten an der Kölner Sporthochschule immer wieder. „Zum wiederholten Male erschienen“, sagte der Richter und schien dabei schon etwas ratlos.
Potthast hatte als Biomechaniker mehrere Überwachungsvideos der Überfälle am Flughafen Köln/Bonn und zwei IKEA-Märkten in Godorf und Frankfurt am Main mit Aufnahmen von Thomas Drach verglichen, die vor dessen Festnahme bei Observationen entstanden waren. Potthast sah in einem Fall eine bis an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit der Übereinstimmung von Körpermerkmalen, etwa bei den Fuß- und Fersenaufsätzen, sowie den X-Beinen von Drach und Täter.
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Thomas Drach vor dem Landgericht Köln: Richter spricht von sachfremden Fragen
Auch eine weitere Sachverständige hatte den Angeklagten Drach in ihrem Gutachten belastet. Hier hatte es Verteidiger Wolfgang Heer, der Drachs mutmaßlichen Komplizen vertritt, auf die Spitze getrieben und „47 sachfremde Fragen“ gestellt, wie Richter Bern gerügt hatte. Es ging dabei um einen parallel zu Drach stattfindenden Prozess in Köln, bei dem die Gutachterin nach einer möglichen Befangenheit aus dem Verfahren ausscheiden musste. Bezüge zu Drach gibt es laut Bern keine.
Potthast musste sich nun auf Nachfrage der Verteidiger abermals dazu äußern, welchen Kontakt er mit der anderen Gutachterin hatte. Offenbar wittern die Anwälte regelwidrige Absprachen zwischen den Sachverständigen. Die Frage, ob er eine E-Mail an die Kollegin herausgeben würde, bejahte Potthast – wenn das Gericht das wolle. „Sie können uns ja auch am Gericht vorbei die E-Mail zukommen zu lassen“, sagte Anwalt Kruse. Potthast blieb dabei, dass der Richter entscheiden solle.
Thomas Drach: „Hatten ja schon einen Scharlatan“
„Herr Potthast unterliegt offenbar dem Irrtum, dass das Gericht mehr wert ist als die Verteidigung“, echauffierte sich daraufhin Verteidiger Heer. Er sei kein „Bittsteller“, sondern ein dem Gericht gleichrangiges Organ der Rechtspflege, erklärte Heer. Bern solle den Sachverständigen darauf hinweisen, dass ihm gegenüber „keine Bösen und Menschen zweiter Klasse“ säßen. Der gebürtige Sauerländer Potthast ließ sich von solchen Aussagen davon allerdings nicht aus der Reserve locken.
„Wir hatten ja schon einen Scharlatan als Gutachter“, bemerkte Thomas Drach, als liefere er damit den Grund für den harschen Umgang mit den Video-Gutachtern. Deren Vorgänger George A. Rauscher hatte „Hass“ auf die Verteidigung entwickelt und wurde abberufen. Die Anwälte hatten Rauscher immer wieder unterbrochen und diesen zur Verzweiflung gebracht. Ein Eigentor schoss Rauscher, nachdem er einem Journalisten Geld für positive Berichte über ihn geboten haben soll.
Drach-Prozess: Immer wieder neue Prozesstermine
Mehrfach hatte Richter Bern betont, dass der Drach-Prozess seit Monaten auf der Stelle trete. Auch am Montag hieß es in Richtung Verteidigung wieder diverse Male: „Sie wiederholen sich.“ Als Verteidiger Heer am Montag einen Antrag auf fünfminütige Unterbrechung stellte und Bern auf die Fortsetzung der Vernehmung des Gutachters bestand, fuhr Anwalt Kruse den Vorsitzenden an, er solle nicht „so ein Theater machen“, es werde langsam langweilig. Bern kommentierte das nicht.
Zu kitten scheint das Verhältnis zwischen Verteidigern und Richter nach etlichen Nickeligkeiten nicht mehr, zuletzt wurden auch diverse Ablehnungsanträge gestellt. Bern wird etwa vorgeworfen, sich in einer Prozesspause mit Gutachter Potthast unterhalten zu haben. Wann ein Urteil in dem bereits seit knapp anderthalb Jahren andauernden Prozess – Drach droht Sicherungsverwahrung – fällt, steht in den Sternen. Immer wieder setzt der Richter neue Termine an, zuletzt bis in den Oktober hinein.