Köln – Die Strafe hätte noch so mild ausfallen können – für einen Täter, der 87 Jahre alt ist und einem Psychiater gesagt hat, dass er nicht mehr leben möchte, bedeutet wohl jede Haftstrafe ein lebenslänglich. Domenico A., der im Dezember 2011 seine 31-jährige Nachbarin erschossen hat, wurde am Mittwoch wegen Mordes zu zehn Jahren Haft verurteilt. Der Vorsitzende Richter Dirk Eßer blieb damit unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger, die eine lebenslange Freiheitsstrafe beantragt hatten.
Der Angeklagte selbst hatte dem Richter in seinem letzten Wort resigniert gesagt: „Machen Sie, was Sie für richtig halten.“ Domenico A.s Verteidiger Sebastian Schölzel nannte die Tat „entsetzlich sinnlos“. Sie bewege vor allem deshalb, weil sie zeige, dass jeder zum Opfer werden kann – die 31-Jährige wurde an ihrer Wohnungstür erschossen. „Der Fall bewegt aber auch deshalb, weil der Täter bemitleidenswert ist.“ Domenico A. sei ein Mann, dessen Lebenszeit bei tickender Uhr zum Stillstand kam, nachdem 2007 zuerst seine Lebensgefährtin und wenig später auch sein Stiefsohn und der Hund starben.
„Die Kleidung seiner Frau hing immer noch im Schrank, die Hundeleine lag immer noch auf ihrem Platz“, sagte Schölzel. Die Einsamkeit des 87-Jährigen führte letztlich zu einer Wahnerkrankung, er verlor mehr und mehr die Kontrolle über seine Wahrnehmung. Aus dem psychiatrischen Gutachten geht hervor, dass Domenico A. sich in den Gedanken hineingesteigert hat, seine Nachbarn seien schuld am Tod seiner Frau, weil sie ständig laut waren, die kranke Frau keine Ruhe fand. Tatsächlich war das Paar, das eine Etage über ihm lebte, nicht laut, der Altbau im Agnesviertel aber sehr hellhörig.
Der Vorsitzende Richter hielt ihm diese wahnhafte Idee aber zugute. „Er sah sich in jener Nacht einem Konfliktpartner gegenüber, den er seit Jahren über sich wähnte“, sagte Dirk Eßer. Trotzdem verneinte die Kammer eine verminderte Schuldfähigkeit, vor allem weil Domenico A. trotz seiner seelischen Störung erkannte, dass seine Tat ein Fehler war. Ein Fehler, der den Mann der Getöteten und ihre Eltern fassungslos zurücklässt. „Sie mussten wochenlang um das Leben der Frau bangen“, sagte die Anwältin des Witwers. „Ihr Mann war bei ihr, als sie am ersten Weihnachtsfeiertag starb, er ist noch immer in psychotherapeutischer Behandlung.“ Domenico A. könne auf ein langes Leben zurückblicken. „Das Leben meines Mandanten ist zerstört.“
Am Tag der Urteilsverkündung wischt sich der 87-Jährige immer wieder die Tränen ab. Eine Entschuldigung geht ihm aber auch an diesem letzten Verhandlungstag nicht über die Lippen. Der Witwer hätte sie ohnehin nicht gehört. „Er fühlte sich nicht in der Lage, noch einmal hierher zu kommen“, sagte seine Anwältin.