400.000 Jugendliche hätten bei der Bundestagswahl im September zum ersten Mal abstimmen dürfen. Doch im Februar sind sie noch nicht volljährig.
Doch noch nicht ErstwählerWarum Greta, Mina und Katharina über den vorgezogenen Wahltermin sauer sind
Mina Pachutani ist frustriert. Die 17-Jährige aus Köln hatte sich auf ihre erste Wahl vorbereitet. Wahlprogramme studiert, mit Freunden diskutiert. Sie wollte endlich mitbestimmen, doch daraus wird nichts. Im November vergangenen Jahres zerbrach die Ampel. Die Bundestagswahl wurde auf den 23. Februar vorverlegt. Mina wird erst kurz danach volljährig und ihre Stimme – die wird nun erst im Jahr 2029 zählen. „Das tut richtig weh“, sagt sie.
Rund 59 Millionen Deutsche dürfen in weniger als drei Wochen wählen, davon 12,6 Millionen in Nordrhein-Westfalen. Wie Mina ergeht es jetzt aber 400.000 jungen Menschen in Deutschland. Sie hätten in diesem Jahr eigentlich zum ersten Mal wählen dürfen. Doch bis zum vorgezogenen Wahltermin Ende des Monats sind sie noch nicht 18 Jahre alt.
Mina hätte gerne die Grünen gewählt
Mina Pachutani wohnt im Agnesviertel und macht gerade Abitur. „Die Demokratie steht jetzt auf dem Spiel“, sagt sie. Früher war sie bei „Fridays for Future“ aktiv, zurzeit demonstriert sie oft gegen Rechts und sammelt Unterschriften für politische Forderungen. Sie ist besorgt über immer lautere populistische und rechtsextreme Äußerungen in der Politik. Bei dieser Wahl zähle jede Stimme für eine demokratische Partei, sagt sie. Nur ihre eigene nicht. Mina hätte sie gerne den Grünen gegeben.
Alles zum Thema Fridays for Future
- „ Vorwürfe und Enttäuschung zum Ende der Weltklimakonferenz in Baku
- COP29 in Baku Klimagipfel-Entwurf – 250 Milliarden Dollar Hilfen pro Jahr
- „Kidical Mass“ Fahrraddemos in Rhein-Sieg werben für mehr Sicherheit für Kinder im Straßenverkehr
- Fridays for Future Tausende Kölner demonstrieren für mehr Klimaschutz
- Klimastreik 100 Menschen demonstrierten in Lindlar
- Fridays for Future Tausende bei Demonstrationen für Klimaschutz
- Umfrage Gut die Hälfte der Deutschen sorgt sich wegen Klimawandel
Am 6. November vergangenen Jahres überschlugen sich die politischen Ereignisse. Morgens stand fest, dass Donald Trump zum zweiten Mal die US-Wahl gewonnen hat, abends verkündete Olaf Scholz in Berlin das Ende der Ampelkoalition. Mina erinnert sich noch gut, was sie an diesem Tag dachte: „Okay, dann geht jetzt vielleicht einfach die Welt zugrunde.“
Am nächsten Morgen hatte sie den ersten Schock zwar verarbeitet. Dafür wurde ihr plötzlich klar, dass die Wahlen wahrscheinlich früher stattfinden werden als geplant und sie dann noch vier weitere Jahre warten muss, bis sich ihre politische Teilhabe auch im Wahllokal realisiert. „Ich hoffe einfach, dass meine Mitmenschen jetzt demokratisch wählen“, sagt sie.
Bei der Bundestagswahl 2021 waren die FDP und die Grünen bei Erstwählern beliebt
Bei der Bundestagswahl 2021 sind 70,5 Prozent aller wahlberechtigten Erstwähler zur Wahl gegangen. Die Beteiligung lag damit 0,6 Prozentpunkte höher als bei der Bundestagswahl zuvor. Besonders die Grünen und die FDP waren bei den Erstwählern im September 2021 die großen Gewinner mit jeweils 23 Prozent.
Heute steht die FDP bei 4,5 Prozent und könnte damit bei der Bundestagswahl noch an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Die Grünen stehen aktuell bei 13 Prozent. Das ermittelte das Forschungsinstitut „Insa“ mit der jüngsten Sonntagsfrage. Weiter vorne auf Platz zwei hingegen liegt derzeit die AfD mit 22 Prozent. Stärkste Kraft ist den Umfragen zufolge aktuell die Union mit 30 Prozent. Ihr Kandidat Friedrich Merz hat derzeit die besten Chancen für das Kanzleramt.
Greta Mauermann ist ebenfalls 17 Jahre alt. „Ich habe große Angst vor einer Regierung unter Merz“, sagt sie. „Wir müssen jetzt laut werden, um den Rechtsruck aufzuhalten.“ Greta wohnt in der Nähe von Aachen, engagiert sich auf Bezirksebene für die Schülervertretung und hätte gerne die Linke bei der Bundestagswahl gewählt. Doch sie wird erst knapp vier Wochen nach dem neuen Wahltermin volljährig. „Ich habe mich richtig geärgert“, sagt sie. „Jetzt rutsche ich genau um einen Monat raus.“
Nach dem Abitur möchte Greta Jura in Köln studieren. „Da werde ich jeden Tag Bahn fahren und brauche eine bezahlbare Wohnung“, sagt sie. Die Linke sei die einzige Partei, die sich konsequent für kostenlosen Nahverkehr und einen Mietendeckel einsetze.
Greta wünscht sich kostenlosen Nahverkehr und gedeckelte Mieten
Eine Zeit lang hatte sie überlegt, ihre Stimme den Grünen zu geben, damit Robert Habeck bessere Chancen auf die Kanzlerschaft hat. Nach einigen Gesprächen mit Freunden entschied sie aber, dass die Linke so stark wie möglich in der Opposition vertreten sein müsse. Selbst wenn die Partei nicht über die Fünf-Prozent-Hürde kommen sollte, könnte sie ihren Fraktionseinzug in den Bundestag noch sichern. Dafür müsste sie drei Direktmandate gewinnen.
Auch viele Freunde von Greta wussten schon, wen sie gewählt hätten, erzählt sie. Die meisten hatten sich schon 2024 in Vorbereitung auf die Europawahl informiert, bei der zum ersten Mal auch 16- und 17-Jährige teilnehmen durften.
Insgesamt gab es dadurch im vergangenen Jahr 5,1 Millionen neue deutsche Erstwähler bei der Europawahl. Zum Vergleich: Bei der Wahl davor waren es nur 3,9 Millionen. Die Union war zuletzt auf europäischer Ebene bei allen Altersklassen durchweg die stärkste Kraft. Bei den 16 bis 59-Jährigen folgte die AfD auf Platz zwei.
Der demografische Wandel wird sowohl bei der Europawahl als auch bei der bevorstehenden Bundestagswahl immer deutlicher. Ungefähr ein Drittel aller Wahlberechtigten war bei der Europawahl im vergangenen Jahr über 60 Jahre alt. Bei der Bundestagswahl in drei Wochen werden sogar rund 42 Prozent aller Wahlberechtigten 60 Jahre oder älter sein.
Jugendliche fühlen sich nicht ernstgenommen
Greta versteht nicht, warum sie schon einmal wählen durfte und jetzt doch wieder zu jung sein soll. „Wir leben noch am längsten auf diesem Planeten, aber werden nicht ernst genommen.“ Sie würde sich wünschen, dass ihre Stimme „endlich mehr ausmacht als auf einer Demo“ und befürwortet ein Wahlalter ab 16 Jahren auch für die Bundestagswahl. Die Ampelregierung wollte das eigentlich schon durchgesetzt haben. Doch dazu kam es nicht.
Katharina Zenses Stimme fällt ebenfalls aus, weil sie erst kurz nach der Wahl volljährig wird. Sie wohnt in Aachen und möchte nach dem Berufskolleg eine Ausbildung zur Tanzlehrerin machen. Ihr Kreuz hätte Katharina am ursprünglichen Wahltermin, dem 28. September, entweder bei den Grünen oder bei Volt gemacht. Im Gespräch sinniert sie darüber, ob es nicht eine Sonderregelung für vorgezogene Wahlen geben sollte. Es ist ihr wichtig, sie Mina und Greta fühlen sich doch sehr um ihr Recht gebracht. Dann könnten sie ihre Stimme doch geltend machen.
Achim Goerres ist Professor für empirische Politikwissenschaften an der Universität Duisburg-Essen. Er versteht zwar den Frust, hält eine einmalige Absetzung des Wahlalters aber für den falschen Ansatz. „Wahlen müssen einfach und verlässlich sein“, sagt er. „Mit ganz klaren Regeln, an denen man nicht viel herumspielen sollte.“ Wenn das Wahlalter einmal auf 18 Jahre festgelegt ist, sollte man sich darauf verlassen können. Sonst beginne schnell eine Diskussion über weitere Änderungen. Und „dann geht es an die politische Stabilität“, sagt Goerres.
Die ersten Wahlerfahrungen seien enorm wichtig. Man könne in der Regel nach den ersten drei Wahlen feststellen, ob sich jemand zum regelmäßigen Wähler, zum regelmäßigen Nicht-Wähler oder zu jemandem entwickelt, der ab und zu wählen geht.
Wenn es gut läuft, sei eine erste Wahl etwas sehr Emotionales. Man fühle sich als Teil von etwas Größerem und müsse direkt zu Beginn positive Erfahrungen mit einer Wahl verknüpfen, sagt Goerres. Deutschland bemühe sich deshalb um einen verhältnismäßig einfachen Zugang zur Wahl. „Es gibt Briefwahl, man kann am Wochenende wählen und es gibt kaum Warteschlangen“, sagt Goerres.
Ein erstes positives Wahlerlebnis bleibt in diesem Jahr für hunderttausende 17-Jährige zwar aus. Der Politikwissenschaftler erwartet allerdings keine allzu großen Folgen durch die vorgezogene Bundestagswahl. Im Gegenteil. Er schätzt, dass diejenigen, die sich in diesem Jahr unfair behandelt fühlen, bei der nächsten Wahl sogar eher wählen gehen. Es gebe nichts Motivierenderes als das Gefühl: „Das war unfair.“