Dieses Veedelsporträt ist Teil unserer großen Stadtteil-Umfrage, an der sich 33.000 Leser beteiligt haben.
Die Ergebnisse des Veedelschecks veröffentlichen wir nach und nach hier auf dieser Seite.
Köln – Mehr als sechs Millionen Touristen jährlich – allein schon im Dom. Rund 280.000 Passagiere strömen täglich durch den Hauptbahnhof; 13.500 pro Stunde sind es samstags auf der Schildergasse, eine der meistbesuchten Einkaufsmeilen Deutschlands.
Eine Kultur-Landschaft von Philharmonie über Oper und Schauspiel, Museen und kleinere Bühnen bis zum Hänneschen-Theater. Hochburgen des Karnevals wie Gürzenich und Sartory. Und Lokale, von den berühmten Brauhäusern bis zu Küchen aus aller Welt. Ganz klar – die recht kleine Altstadt-Nord ist unter den 86 Veedeln ein Superlativ, zweifelsfrei „et Hätz vun Kölle“. „Die Stadt he am Rhing, zwesche Nümaat un Dom“ sang King Size Dick; nicht etwa „zwischen Ville und Königsforst“, wie es ja korrekter wäre.
Historisch gewachsen, im Bierdeckelformat
Als heutige Einheit besteht die Altstadt-Nord seit 1975. Doch wohl niemand nennt sie im Alltag so: Durch die lange Historie bedingt, sind die Veedel mitten in der City kleinteiliger, jeweils mit eigenem Charakter – große Vielfalt auf kleinem Raum, quasi im Bierdeckelformat. Auf mindestens fünf „Veedel im Veedel“ kommt man je nach Zählung. Das spiegelt auch das städtische System des Bewohnerparkens wider – mit Kuniberts-, Eigelstein- und Gereonsviertel, der Altstadt („City/Martinsviertel“) zwischen Nord-Süd-Fahrt und Rhein, sowie „Nördlich Neumarkt“ als geschäftigem Kern.
Bei ihrem Versuch von 2009, die City kleinteiliger zu gliedern, gingen die Kölner Liberalen ähnlich vor; zu den schon genannten kamen das vom Eigelstein- getrennte Ursulaviertel und das vom Gereons- separierte Andreasviertel. Ein Ort nicht nur zum Arbeiten und Einkaufen, sondern auch zum Wohnen und Ausgehen, dazu mit starker Identität, ist das Eigelsteinveedel; durch die mehrspurige Nord-Süd-Fahrt – die größte Bausünde der Altstadt-Nord – vom viel ruhigeren Kunibertsveedel getrennt.
Man verliebt sich schnell
Auf dem Platz vor seinem Wahrzeichen, der Eigelsteintorburg, verliebt man sich schnell: Ringsum liegen Cafés, Bistros und Kneipen; darüber flanieren Leute, fotografieren, genießen das entspannte Flair; ab und zu wird musiziert. Doch auch die sozialen Kontraste sind sichtbar: Oft kommen Menschen an die Tische, die um Kleingeld bitten; ein verstörter Mann schimpft im lautstarken Monolog quer übers Areal.
„Für mich ist der Platz an der Torburg einer der schönsten von Köln“, schwärmt Ruth Wennemar, Sprecherin des Bürgervereins Kölner Eigelstein. Sie lebt seit zehn Jahren im Veedel und engagiert sich seit 2016. „Ich genieße die Überschaubarkeit sehr. Wir haben zwar Touristen, aber nicht so in Massen wie in der Kern-Altstadt. Und bei uns ist immer etwas los, das Viertel ist in Bewegung.“ Gastro- und Kulturszene erneuerten sich permanent; sie liebe die Kneipen, wo sich alle Altersgruppen und Milieus mischten. „Es ist authentisch und ungeschminkt hier, immer ist jemand da, den man kennt.“
Die Gentrifizierung sei noch nicht so extrem wie etwa im Belgischen Viertel. Ein weiterer Lieblingsort von ihr ist der Stavenhof, die pittoreske Straße mit historischer Anmutung und kleinem Plätzchen. „Seit zwei Jahren ist dort auch das Café Famillich, mit dem wir eng kooperieren, etwa bei unseren Veedelstreffs alle zwei Monate. Der Inhaber sorgt für viel Programm und achtet darauf, dass kein Müll abgelegt wird.“
„Das Dorf zurück ins Veedel holen“
Man wolle als Verein Zusammenhalt und Wir-Gefühl der Bewohner weiter stärken, „das Dorf zurück ins Veedel holen“. Wozu auch der 2017 erstmalig aufgelegte „Winterzauber“-Markt mit lokalen Händlern und der „Tag des Guten Lebens“, an dem das Eigelsteinveedel im Sommer teilnimmt, beitragen. Auch wollen sie die Weidengasse mit ihren türkischen Läden stärker integrieren. „Es war da bisher eher ein Neben- als Miteinander. Dort wünschen wir uns mehr Gemeinschaft.“
Ein Urgestein des Gereons- oder, hier noch präziser, Friesenveedels ist Christoph Kuckelkorn, Bestatter in fünfter Generation und Präsident des Festkomitees. „Wir sind seit 1885 hier, drei Jahre nachdem Päffgen aufgemacht hat“, unterstreicht er. Er wuchs im Viertel auf und ging an der Friesenstraße zur Schule. „Ich bin dem Veedel treugeblieben und fühle mich sehr zu Hause. Mit meinen Kindern hatte ich mal überlegt, ob wir in den nächsten Jahren ins Grüne ziehen sollen. Aber auch sie schätzen die Nähe zur City, ihren Freunden und den Läden.“ Das Wohnen „mittendrin“ sei ein Luxus, weil die Wege kurz seien. „Manchmal brauche ich mein Auto tagelang nicht.“ Und wenn man sonntagmorgens oder spät abends spazieren gehe, habe man die Stadt ganz für sich.
Sein Veedel habe sich permanent gewandelt – der frühere Rotlichtbezirk sei zum ruhigen Bürostandort geworden, bevor er vor 15 bis 20 Jahren zum Ausgehen „wiederentdeckt“ wurde. „Und in den vergangenen Jahren haben wir mit dem Umbau des Gerling-Quartiers eine neue Note bekommen. Es ist bisher ein wenig ein Fremdkörper, wird sich aber wohl noch einfügen – spätestens, wenn auch das Hotel fertig und alles wieder aufgeräumter ist.“
Man kann alles zu Fuß machen
Mitten in der eigentlichen – auch landläufig sogenannten – Altstadt, am Marsplatz, lebt und arbeitet seit rund 40 Jahren Hans Linnartz, Vorsitzender der Interessengemeinschaft Altstadt, die sich nach den schweren Rhein-Hochwassern der 1990er-Jahre gründete. „Das Leben im alten historischen Teil der Stadt ist reizvoll“, lobt er. Man könne fast alles zu Fuß machen. „Und wir haben tolle Gastronomie – sowohl Altbewährtes als auch neue Konzepte, die sich gut ins kölsche Flair einfügen.“ Sehr freue er sich auf die Archäologische Zone. „Wenn sie fertig ist, wird sie hoffentlich nicht nur ein schönes, sondern auch ein vitales Herz.“ Er könne allen empfehlen, mal eine Führung mitzumachen, gerade auch die vielen thematischen Touren, etwa zu Brauhäusern.
Probleme bereite jedoch der Trend zu unzivilisierterem Feiern. „Die Altstadt war immer eine feierfreudige Umgebung. Es gibt aber eine unschöne Entwicklung hin zu Exzessen – gerade an Weiberfastnacht, wenn man schon morgens betrunkene Gruppen von Jugendlichen sieht. Das Angebot an Lebensmitteln des täglichen Bedarfs könnte besser sein. „Wir haben nur den Kaufhof. Eine Lösung wäre ein Wochenmarkt – schöne Plätze dafür haben wir schon.“ Die Stadt müsse aber flexibel sein und den Händlern Zeit geben, um solch einen Markt ans Laufen zu bekommen. Damit das „kölsche Hätz“ noch ein wenig lebenswerter wird.