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Interview

Wohnungsnot in Köln
„Wir können nicht alle Leute glücklich machen“

Lesezeit 9 Minuten
09.04.2024, Köln: Im Wohnquartier Reiterstaffel (Reiterstaffelquartier, Quartier Reiterstaffel) in Marienburg hat der Projektentwickler Bauwens über 500 Wohnungen in einem Neubaugebiet realisiert. Der Name leitet sich von der ehemals dort untergebrachten Polizeireiterstaffel ab. Foto: Arton Krasniqi

Neubaugebiet in Köln-Marienburg: In Köln mangelt es an bezahlbarem Wohnraum.

Hans Jörg Depel vom Mieterverein und Thomas Tewes vom Haus- und Grundbesitzervereis streiten über Wohnungsnot in Köln.

Streit ist ein Wesen der Demokratie. Über den Austausch von Argumenten entstehen neue Einsichten, politische Entscheidungen, Perspektiven. In der neuen Folge unserer Serie „Wir müssen streiten“ sprechen Thomas Tewes, Hauptgeschäftsführer des Kölner Haus- und Grundbesitzervereins, und Hans Jörg Depel, Geschäftsführer des Mietervereins Köln, über Wohnungsnot in der Stadt. Kommt eine Verlängerung der Mietpreisbremse Köln zugute? Wieso entstehen nicht genügend Neubauwohnungen in der Stadt? Welche Rolle spielt geförderter Wohnraum?

Herr Tewes, CDU und SPD sprechen sich für eine Verlängerung der Mietpreisbremse aus. Haus und Grund hat schon im vergangenen Herbst angekündigt: Wenn es dazu kommt, klagen wir. Warum?

Thomas Tewes: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, die Mietpreisbremse ist keine Dauereinrichtung. Jetzt gibt es sie seit zehn Jahren – da kann man fast von Dauereinrichtung reden. Man muss sich überlegen: Ist die Mietpreisbremse verfassungsgemäß? Das sollen die Gerichte entscheiden. Wir halten sie von Ihrer Wirkung her für sehr fraglich.

Herr Depel, was hat die Mietpreisbremse aus Ihrer Sicht gebracht?

Hans Jörg Depel: Die Mietpreisbremse wurde eingeführt, weil die Mieten explodiert sind. Es gibt einen Auswertungsbericht der Bundesregierung von 2019, in dem festgehalten ist, dass die Mietkurve seit der Einführung der Bremse im Jahr 2015 verflacht ist. Eine andere Studie kommt zu dem Ergebnis, dass es zu einer Reduzierung der Mieten von vier Prozent gekommen sei. Das ist besser als nichts. Mehr hätte sie gebracht, wenn es nicht so viele Ausnahmen gegeben hätte: So fallen Wohnungen, die 2014 oder später gebaut wurden, nicht unter die Mietpreisbremse, es gibt auch Ausnahmen bei umfassenden Modernisierungen und möblierten Appartements. Die Mietpreisbremse muss bestehen bleiben – andernfalls würden die Mieten gerade in großen Städten wie Köln explodieren. Und das kann keiner wollen: dann kann sich diese Stadt niemand mehr leisten. Und wenn wir immer sagen, Köln will vielfältig sein, dann müssen wir auch etwas dafür tun.

10.03.2025 Köln. Wir müssen streiten über Thema Wohnungsnot, mit Thomas Tewes (Brille) und Hans Jörg Depel. Foto: Alexander Schwaiger

Hans Jörg Depel (links) und Thomas Tewes im Streitgespräch beim „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Tewes: Die Mietpreisbremse gibt es in vielen Ländern – sie war nirgendwo für den Mietermarkt förderlich. So drastische Eingriffe in die finanzielle Hoheit ist für Eigentümer verheerend, weil die Wohnungen für die meisten Vermieter die Altersvorsorge sind. Es waren in den 1980er und 1990er Jahren vor allem Selbständige, die in Immobilien investiert haben. Für diese Leute ist das eine faktische Rentenkürzung. Die Mietpreisbremse hat auch jetzt schon negative Auswirkungen für die Mieter: Früher haben die Vermieter für die Dauer eines Mietverhältnisses auf Mieterhöhungen verzichtet. Heute sehen wir sehr viel mehr Mieterhöhungen im laufenden Mietverhältnis. Die andere Konsequenz: Wenn die Mieteinnahmen niedriger sind, wird weniger in die Häuser investiert. Beides ist aus unserer Sicht eingetreten. Wir müssen an die Ursachen gehen. Die Neuvertragsmieten sind zum Teil auch so hoch, weil die Mietpreisbremse schon eingepreist ist. Bei näherer Betrachtung sind die Mieten auch nicht explodiert. Haus und Grund hat mit Empirica eine Studie herausgebracht: Im Verhältnis zur Lohnanpassung sind die Mieten demnach nicht stark gestiegen.

Depel: Gibt es eine Studie, wonach die Mietpreisbremse zu höheren Steigerungen bei den Bestandsmieten führt? Ich kenne keine! Ich glaube auch nicht, dass das stimmt. Und zwischen 2005 und 2015 hatten wir in Köln Mietsteigerungen von 48 Prozent. Für Sie heißt das nicht, dass die Mieten explodiert sind? Ansichtssache!

Es gab lange das Ziel in Köln, 6000 Wohnungen pro Jahr neu fertigzustellen. Davon redet inzwischen kaum noch jemand. Woran liegt das genau?

Tewes: Das liegt vor allem an der Politik. Die Leute, die die Politiker wählen, haben in der Regel eine Wohnung. Die haben kein Interesse, dass mehr gebaut wird. Und sie haben schonmal kein Interesse daran, dass der Park vor ihrer Tür gebaut wird oder der Baum nebenan gefällt wird. Bei jedem Bauvorhaben gibt es in Köln eine Bürgerinitiative, die dagegen ist. Die Stadt ist dann oft nicht imstande, das Projekt trotzdem durchzusetzen.

Haben die Bürgerinnen und Bürger in Köln generell zu viel Einfluss, seit es keinen Oberstadtdirektor mit viel Entscheidungsbefugnissen mehr gibt?

Tewes: Bürgerbeteiligung muss sein. Aber in Köln drehen wir für Genehmigungen eine Runde, und dann noch eine Runde, und weil es so schön war, noch eine. Diese Prozesse müssen entschlackt werden. Man muss auch klarmachen: Wir können nicht alle Leute glücklich machen. Ein großes Problem, das ich anspreche, obwohl mir das immer viel Ärger einbringt, heißt Bezirksvertretung. Die haben in Köln so eine Macht, dass sie Entscheidungen im Rat zum Teil torpedieren können oder der Rat zumindest sagt: Wir können nicht an den Bezirksvertretungen vorbei entscheiden. Aber dort sind die politischen Mehrheitsverhältnisse anders.

Depel: Es fehlt manchmal Konsens. Alle sagen: Es muss etwas getan werden. Aber die meisten sagen: Bitte nicht in meiner Nachbarschaft. Nehmen wir die 6000 Wohnungen: Die Stadt Köln rückt davon ab. Eigentlich brauchen wir diese 6000 Wohnungen aber! Nachverdichten, Aufstocken, Bauen auf Stelzen, Bauen über Supermärkten, Bauen auf Parkplätzen – müssen wir alles machen! Aber der große Wurf geht nur, wenn Bauland ausgewiesen wird. Und da sperrt sich die Stadt.

Wird die Wohnungsnot ein großes Thema im Kommunalwahlkampf?

Depel: Ich bin da sehr gespannt. Abstrakt ist es ein sehr wichtiges Thema – aber die meisten Wähler haben eine Wohnung. Ich hoffe trotzdem, es hat für die Parteien Priorität. Bislang schien es mir eher ein Randphänomen – im Moment rückt es mehr in den Vordergrund, und da gehört es auch hin.

Tewes: Das Ratsbündnis [Anm. der Redaktion: Die Fraktionen von CDU, Grüne und Volt im Stadtrat] hat nie gesagt, was es wirklich erreichen will. Jetzt kam ein Papier zur Stärkung des Wohnungsmarkts: Die SPD hat ein Programm vorgelegt, in dem viele konkrete Dinge standen. Am Ende ist es total verwässert worden – so ist die explizite Forderung nach einer Änderung des Regionalplans mit neuen Flächen für Bauland gestrichen worden. Ich habe keine große Hoffnung.

Keine neuen Flächen ist ein Argument, wieso nicht mehr gebaut wird. Aber Bauunternehmen und auch Genossenschaften winken auch immer wieder ab: Sie wollen gar nicht mehr bauen.

Tewes: Bauen ist zu teuer. Das sind wir zum großen Teil selbst schuld. Die EU wollte bis 2050 klimaneutral sein. Deutschland bis 2045, Köln aber schon bis 2035. Also muss man dafür etwas erfinden: Die technischen Auflagen im Wohnungsbau sind in Köln so hoch, dass sogar die Genossenschaften zum Teil nicht mehr bauen wollen – weil sie sonst Mieten erheben müssten, die sie ihren Mietern nicht zumuten wollen. Man muss dringend an die Bauvorschriften ran. Es gibt auf kommunaler Ebene genau wie auf Landes- und Bundesebene Möglichkeiten, das Bauen billiger zu machen – ist alles bislang nicht passiert.

Depel: Sie hauen mit der Axt auf alles drauf, eins aber erwähnen Sie nicht: Gleichzeitig muss nämlich die Balance erhalten werden zwischen neuen Wohnraum schaffen und bezahlbaren Wohnraum erhalten. Zu den Genossenschaften: Die Köln AG hat kürzlich mitgeteilt, dass ihre Neuvertragsmieten 10,29 Euro pro Quadratmeter betragen. Selbst das ist noch ganz schön viel Geld.

Tewes: Früher wurde viel gebaut und heute viel weniger. Warum? Die Kosten sind zu hoch, der Anteil an gefördertem Wohnungsbau auch. Wir müssen einfach billiger bauen.

Depel: Was den geförderten Wohnungsbau angeht: Der muss sein. Anfang der 90er Jahren hatten wir fast 20 Prozent, jetzt sind noch 6,5 Prozent der Kölner Wohnungen mietpreisgebunden. Gleichzeitig hat in Köln fast jeder zweite Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein. Bis zum Jahr 2033 verliert Köln die Hälfte seiner noch vorhandenen Sozialwohnungen.

Tewes: 2024 hat NRW 2,3 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau ausgegeben und damit 12.847 Wohnungen geschaffen. Das ist eine Förderung von 180.000 Euro pro Wohnung. Bei einer Bindung von 20 Jahren ist man bei einer Förderung von 750 Euro im Monat. Das ist Geld, das man auch den Personen selbst geben könnte. Problem Nummer zwei bei den Sozialwohnungen ist die Fehlbelegung. Das Institut der deutschen Wirtschaft hat vor vier Jahren noch geschätzt, ungefähr nach drei oder vier Jahren ist ein Viertel der sozialen Wohnungen fehlbelegt, weil die Mieter nicht mehr berechtigt wären, dort zu leben. Geprüft wird nur bei Anmietung. Es kann wegen Fehlbelegung gekündigt werden – es wird aber nie gemacht, weil es sozialer Sprengstoff ist.

Sie halten nichts vom kooperativen Baulandmodell mit 30 Prozent gefördertem Wohnungsbau, Herr Tewes. Warum nicht?

Tewes: Die 30 Prozent sozialer Wohnungsbau werden subventioniert durch die anderen 70 Prozent. Diese Subventionierung trifft die Mittelschicht, die gerade so nicht für Wohnberechtigungsscheine berechtigt ist und 15 Euro pro Quadratmeter zahlt.

Depel: 15 Euro? An der Schwelle zum Wohnberechtigungsschein? Das wären 1200 Euro kalt für 80 Quadratmeter, warm ungefähr 1600. So jemand müsste 4000 Euro netto verdienen und selbst dann gingen noch 40% seines Geldes für die Miete drauf. Herr Tewes, ich bitte Sie! Das ist kein normaler Preis! Deswegen muss die Politik hier gucken, dass mehr öffentlich geförderter Wohnungsbau realisiert wird – und nicht weniger!

Tewes: Am sozialen Wohnungsbau werden wir nicht mehr vorbeikommen, er mag auch seine Berechtigung haben. Mich stört, dass man vor allem aus der Politik immer hört, der soziale Wohnungsbau sei der einzige Weg, um preiswert zu wohnen. Der geförderte Wohnungsbau hat trotzdem die gleichen Baukosten, bekommt nur oben ordentlich Geld reingeschüttet. Die bauen für genau die gleichen Kosten wie die frei finanzierten. Nur dadurch ist das für die Bauherren attraktiv. Das kooperative Baulandmodell kann man einführen, aber es ist als Gesamtlösung nicht zielführend. Auf städtischen Flächen ausschließlich Mietwohnungsbau zu betreiben und nur noch in Erbpachtzins vornehmlich an Genossenschaften zu geben, ist falsch. Wo ist da die vielfältige Stadtgesellschaft?

Depel: Ich lese zwischen den Zeilen, wenn es in Köln mehr Eigentümer gibt, kriegt Ihr Verein mehr Mitglieder [grinst Tewes an]. Sie müssen eins bedenken dabei: Wie viele Leute können sich in Köln überhaupt Eigentum leisten? Viele sind gar nicht in der Lage, einen entsprechenden Kredit zu bekommen. Die Parkstadt Süd ist darauf ausgerichtet, Wohnraum für die Menschen zu schaffen, die gerade Wohnraum brauchen. Das ist der Mittelstand und der ist gar nicht mehr in der Lage, Eigentum zu finanzieren. Auf diese Art und Weise fördert die Stadt doch Vielschichtigkeit.

In Köln fehlen bis zum Jahr 2040 mehr als 90.000 Wohnungen. Was halten Sie für die wichtigsten Möglichkeiten für die Stadt Köln, um mehr Wohnungen zu bauen und um die Wohnungsnot zu reduzieren?

Tewes: Mehr bauen, billiger bauen, schneller bauen. Und alles geht ohne Zusatzkosten. Mehr zu bauen, hängt zwar von Flächen ab, aber der Punkt „schneller Bauen“ ist kein Problem, weil in Köln zu viele Ämter an Genehmigungen beteiligt sind. Da könnte die neue Wohnungsbauleitstelle wirklich etwas bringen. Und „billiger bauen“ geht über weniger Auflagen. Da macht sich die Stadt einen schlanken Fuß über städtebauliche Verträge und sagt, der Projektträger muss sogar Schulen bezahlen. Billiger zu bauen, wird politisch verhindert, auch nicht erst seit gestern.

Depel: Ich stimme teilweise zu. Doch gleichzeitig bedarf es Regeln, die die Mietenden schützen. So, dass ihre Mieten nicht zu teuer werden, dass sich die Bürger Köln weiter leisten können. Die Mietpreisbremse muss sein und Schlupflöcher im Wirtschaftsstrafrecht gegen Mietwucher überarbeitet werden. Wenn wir das beachten, plus Herr Tewes‘ drei Punkte, müssen wir noch schauen, dass nicht nur Köln, sondern auch das Umland attraktiver wird und der Run auf die Großstadt begrenzt wird. Der Speckgürtel weitet sich aus, aber dort dürfen nicht nur Schlafstätten entstehen, sondern diese Städte selbst müssen attraktiv sein.