Seit sieben Jahren versuchen die Städtischen Bühnen Köln ihre Oper am Offenbachplatz zu sanieren.
Nach etlichen Dramen und einer Kostenexplosion wachsen die Zweifel in der Stadt, ob das Projekt überhaupt gelingen kann.
In diesem großen Dossier bewerten wir alle Aspekte des Bauprojekts, das schon jetzt mindestens 841 Millionen Euro kosten wird, und sprechen mit Experten.
Köln – Um zu erklären, wie schwierig es ist, das Opernhaus am Offenbachplatz zu sanieren, bemüht Bernd Streitberger stets ein äußerst anschauliches Beispiel. Der technische Betriebsleiter der städtischen Bühnen vergleicht das 60 Jahre alte Gebäude mit einem VW Käfer, in den die Technik eines modernen Oberklasse-Mercedes eingebaut werden soll. Das Bild soll für die große Herausforderung stehen, eine schier unendlich erscheinende Menge an Kabelsträngen für Lüftung, Heizung, Brandschutz und Strom in ein 60 Jahre altes Gebäude zu zwängen. Doch wer die Metapher weiterdenkt, kann auch zu einem anderen Schluss kommen – es funktioniert schlicht und ergreifend nicht.
Diesen Gedanken hat zwar bislang keiner der Verantwortlichen laut ausgesprochen, aber die Zweifel mehren sich. Ulrich Wackerhagen, seit zwei Jahrzehnten kulturpolitischer Sprecher der FDP, ist sich unsicher, ob die von Architekt Wilhelm Riphahn gestaltete Oper am Offenbachplatz nach ihrer inzwischen bis zu 841 Millionen Euro teuren Generalsanierung jemals wieder eröffnen wird: „Es ist bei mir eine große Skepsis vorhanden, ob sich das abschließen lässt.“ Auch sein SPD-Kollege Klaus Schäfer zeigt sich zweifelnd, „ob das gut geht“. Er sei nicht überzeugt, dass die Oper tatsächlich im Jahr 2024 ihren Betrieb aufnehmen wird, wie es Streitberger bislang plant.
Die neuerliche Skepsis speist sich aus einer fast nebensächlich wirkenden Mitteilung der Bühnen aus dem November. Darin hieß es, dass es erneut Probleme mit der Planung der Haustechnik gebe. Genau das war bereits im Juli 2015 der ausschlaggebende Grund dafür, die für November 2015 geplante Wiedereröffnung der Oper abzusagen und ist somit auch eine der Ursachen sich seitdem in unregelmäßigen Abständen exorbitant erhöhen. Insbesondere der Schacht mit der passenderweise sehr kölschen Nummer elf bereitete Sorgen, weil er viel zu eng für die vielen Kabel war, die Bauarbeiter in ihn pferchen sollten.
Das Ingenieurbüro Deerns, das seit Beginn der Bauarbeiten im Herbst 2012 für die Planung der Haustechnik zuständig war, trägt seitdem mit den Bühnen Rechtsstreitigkeiten aus. Das Unternehmen, das innerhalb der Branche als erfahren gilt, weigert sich, die Gesamtverantwortung für das Scheitern der Sanierung zu übernehmen. Die Bühnen haben eine Liste mit 8000 Baumängeln angeführt und Deerns verantwortlich gemacht.
Nachdem die Bühnen im November 2015 den Vertrag mit Deerns kündigten, dauerte es fast ein Jahr, bis mit dem ebenfalls arrivierten Ingenieurbüro Innius ein Nachfolger gefunden war. Sollte nach drei Jahren im Projekt nun auch das zweite, finanziell und personell sogar deutlich besser ausgestattete, Planungsteam an der Aufgabe Oper scheitern – das nächste Debakel wäre perfekt. Zweifel an Innius sind intern dem Vernehmen nach längst laut geworden. Streitberger hat öffentlich erklärt, dass das Büro bis Ende des Jahres liefern müsse.
Noch bleiben zwei Wochen, um die bisherigen Planungen auszubessern und die moderne Limousinen-Technik doch noch in den VW Käfer hineinzupressen. Sollte das trotz aller Bemühungen nicht gelingen, hat Streitberger bereits einen Plan B geschmiedet. Dann sollen die Baufirmen, die den Brandschutz und die anderen Haustechnik-Gewerke einbauen, auch die Planungen zu Ende bringen.
Streitberger lässt sich nicht in die Karten schauen und will sich erst dann zum Thema Wiedereröffnung äußern, wenn die Planungen für die Haustechnik überarbeitet sind. „Dieser Plan liegt mir noch nicht vor, ich möchte den Ergebnissen auch nicht vorgreifen“, sagt er. Deswegen gebe es im Augenblick aus seiner Sicht keinen Anlass, die Schlüsselübergabe im zweiten Quartal 2023 infrage zu stellen.
Rolle des Retters
Streitberger spielt in dem Gesamtkomplex Opernsanierung gleichzeitig die Rolle des Retters und die eines Beteiligten. Als Baudezernent plante er 2012 mit dem damaligen Kulturdezernenten Georg Quander die Organisation der Großbaustelle. In einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sprach Streitberger damals von einer „bemerkenswerten Tiefe der Planung“ und einer „exzellenten Projektsteuerung, zu der auch ein sauberes Kosten-Controlling“ gehöre. Er versicherte, dass eine „zweite Elbphilharmonie“ wie in Hamburg – bei der die Baukosten aus dem Ruder liefen – nicht zu befürchten sei. Das Projekt in Köln sei deutlich besser aufgestellt, weil schon vor dem Baubeginn geplant werde.
Mit all diesen Aussagen sollte Streitberger nicht Recht behalten. Die Kosten sind seit dem Baustart 2012 aufgrund der gescheiterten Wiedereröffnung und des daraus resultierenden Stillstandes auf der Baustelle nach und nach von 253 Millionen Euro auf bis zu 571 Millionen Euro hochgeschossen – inklusive Zinsen soll das Projekt gar 841 Millionen Euro verschlingen. Zum Vergleich: Die Elbphilharmonie kostete 866 Millionen Euro. Dafür erhielt Hamburg ein neues Wahrzeichen. In Köln wird am Ende dasselbe Gebäude stehen wie schon seit 1957.
Streitberger wechselte zur Entwicklungsgesellschaft Moderne Stadt, bevor es auf der Opernbaustelle mit den Arbeiten so richtig losging. Franz-Josef Höing löste ihn 2012 als Baudezernent ab. Als Streitberger im Mai 2016 auf Bitten von Oberbürgermeisterin Henriette Reker die neu geschaffene Position des technischen Betriebsleiters bei den Bühnen übernahm, um die Sanierung in die Spur zurückzuführen, bekannte er freimütig: „Das Projekt ist wirklich auf Grund gelaufen – das kann man wohl so sagen.“ Es handele sich um „eine gigantische Aufgabe“.
Aufarbeitung unerwünscht
Streitberger kündigte damals an, „alles fein säuberlich aufarbeiten“ zu wollen. Doch genau daran hapert es aus Sicht einiger politischer Beobachter bis heute, und auch aus Streitbergers Team ist zu hören, dass der Blick nach vorne und nicht nach hinten gerichtet sei. „Mich belastet es sehr, dass bis heute niemand die Verantwortung übernimmt und keine Konsequenzen gezogen wurden“, sagt FDP-Kulturpolitiker Ulrich Wackerhagen. Dabei sei doch die Frage, was genau bei dem Großprojekt falsch gelaufen ist, entscheidend, um ähnliche Debakel zu verhindern. Eine Aufarbeitung habe es noch immer nicht gegeben, und sie sei wohl auch nicht erwünscht.
Ein von der Stadt beauftragter Rechtsanwalt erstellte zwar im Nachgang ein Gutachten, doch er selbst war bereits zuvor als juristischer Berater an der Opernsanierung beteiligt. Als Wackerhagen forderte, einen unbeteiligten Bauexperten mit einem zweiten Gutachten zu beauftragen, schmetterten die anderen Fraktionen den Antrag ab. „Man will halt keinem wehtun, weil man sich vielleicht später noch einmal braucht – das ist typisch Köln“, sagt Wackerhagen. Dabei hätte eine umfangreiche Aufklärung der Stadt aus Sicht des Politikers gut getan.
Größere Transparenz
SPD-Ratsmitglied Klaus Schäfer, früher NRW-Staatssekretär, mahnt ebenfalls an, dass die administrative Verantwortung innerhalb der Stadtverwaltung nicht geprüft wurde. Allerdings habe sich das Verhältnis zwischen Politik und Verwaltung in Sachen Oper seit der gescheiterten Wiedereröffnung wieder verbessert.
Das hänge unter anderem mit einer größeren Transparenz zusammen, da die städtischen Bühnen inzwischen sensibler informieren würden. Kulturdezernentin in der KritikDas war nicht immer so. FDP-Politiker Wackerhagen weiß aufgrund einer Akteneinsicht, die er nach Bekanntwerden des Debakels vornahm, dass den Verantwortlichen für das Großprojekt bereits Ende 2014 klar gewesen sein musste, dass eine Wiedereröffnung im November 2015 aufgrund des gestörten Ablaufs auf der Baustelle nicht zu halten sein würde.
Weder den Politikern noch der Öffentlichkeit wurde das aber mitgeteilt. Stattdessen wurde die Zahl der Bauarbeiter noch einmal erhöht – „Beschleunigungsmaßnahme“ hieß das damals im Verwaltungsjargon. Interne Dokumente, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen, belegen zudem, dass Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach damals bei einer Baustellenbesprechung betonte, dass „der Termin vor die Kosten gestellt“ sei. Die Beigeordnete wollte später nichts davon wissen, Verantwortung zu übernehmen. Sie sei nun mal keine Bauexpertin, und sie trage auch nicht den Oberverantwortungshut, sagte sie im Juli 2015.Dass die Wiedereröffnung scheitern würde, gab die Stadt erst bekannt, nachdem der „Kölner Stadt-Anzeiger“ eine Anfrage an das Presseamt stellte. Recherchen hatten ergeben, dass die Baustelle im Chaos versank und sämtliche Bauabläufe gestört waren. Als Reaktion berief die Stadt für den nächsten Tag eilig eine Pressekonferenz ein, auf der sich die Verantwortlichen erklären sollten.
Damals wurde klar, dass für die mehrere Hundert Millionen Euro schwere Sanierung niemand so richtig verantwortlich war – oder es sein wollte. Auf dem Podium saßen der damalige Baudezernent Franz-Josef Höing, Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-Aulbach, die Chefin der städtischen Gebäudewirtschaft Petra Rinnenburger, der geschäftsführende Bühnendirektor Patrick Wasserbauer, Opernintendantin Birgit Meyer und Schauspielintendant Stefan Bachmann. Niemand von ihnen fand eine Erklärung für das Debakel, geschweige denn wollte jemand die Verantwortung übernehmen. Sie alle arbeiten abgesehen von Höing – der freiwillig als Oberbaudirektor nach Hamburg wechselte – noch immer für die Stadt Köln und sind in denselben Funktionen tätig.
Ein Blick aufs Organigramm zeigt das Kernproblem
Ein Blick auf das Organigramm, das die Verantwortlichkeiten für die Sanierung illustrieren sollte, zeigt ein Kernproblem. Als Bauherr fungierten zwar die städtischen Bühnen, den Sachverstand für das Bauen sollte aber die städtische Gebäudewirtschaft als Projektleitung beisteuern. Doch auch die Mitarbeiter der Gebäudewirtschaft zeigten sich der Aufgabe offensichtlich nicht gewachsen. Ein 60 Jahre altes Opernhaus mit all seinen Unwägbarkeiten hatte hier noch niemand saniert. Erst mit der Installation Streitbergers 2016 flossen die Kompetenzen des Bauherrn und die des Baufachmanns zusammen.
Die Mischung aus einem Mangel an Übersicht und fehlendem Fachwissen wird eine Erklärung dafür sein, warum auf der Großbaustelle das Chaos ausbrach. Mitarbeiter von Baufirmen rückten an, bohrten teils wahllos Löcher in die dünnen Wände des Opernhauses, zogen Kabel an seltsamen Stellen ein und verbauten Luftkanäle so, dass für eine spätere Wartung der technischen Anlagen kein Platz mehr übrig gewesen wäre. Bei all dem behinderten sie sich gegenseitig. Meldungen darüber versickerten irgendwo im Spannungsfeld zwischen Bauherr, Projektleitung, Projektsteuerung und Architekt.
Für Mike Gralla, Inhaber des Lehrstuhls für Baubetrieb und Bauprozessmanagement an der Technischen Universität Dortmund, ist für das Gelingen eines Großprojekts eine Maxime unerlässlich: Es muss klar sein, wer die Verantwortung trägt. „Alles andere ist tödlich“, sagt er. Es müsse schriftlich genau festgehalten sein, wer welche Entscheidung trifft. Sollte der Bauherr selbst nicht dazu in der Lage sein, sollte er Grallas Meinung nach einen externen Bauexperten als Berater hinzuholen: „Das sollte jemand sein, der nicht zu sehr an dem Projekt beteiligt ist und an den Baubesprechungen teilnimmt, damit er von oben auf das Projekt schauen kann.“
„In der Bauwelt die Champions League”
Grundsätzlich hält der Bauexperte das Bauen im Bestand und mit Denkmalschutz – wie es bei der Kölner Oper der Fall ist – für die größtmögliche Herausforderung. „Das ist in der Bauwelt die Champions League“, sagt Gralla. Er empfiehlt daher, vor dem Baubeginn viel Geld in die Hand zu nehmen, um das Bestandsgebäude so gründlich wie möglich untersuchen zu können. Am Ende müsse die Frage beantwortet sein, ob eine Sanierung überhaupt möglich ist. Darüber hinaus sei es wichtig, realistische Kosten zu errechnen. Die Planung sollte zudem bei der Sanierung älterer Gebäude vor dem Baubeginn vollständig abgeschlossen sein: „Das dauert zwar alles länger, aber es ist deutlich sicherer.“
Damit die ehrenamtlichen Politiker im Stadtrat solche Bauprojekte besser einschätzen können, empfiehlt der Experte, jeweils eine Kommission einzurichten, in der die Politiker mit der größten Bauexpertise sitzen. So wird es zurzeit in Dortmund bei der Sanierung des Rathauses gemacht.
Für die Kölner Ratspolitiker könnte sich der Blick in das Ruhrgebiet lohnen, denn die nächste Sanierung eines großen Gebäudes steht unmittelbar bevor: Das 1974 eröffnete Römisch-Germanische-Museum – ein weiteres Projekt voller Unwägbarkeiten. Wie es mit der Oper weitergeht, wird sich zum Jahresanfang zeigen. Dann will Bernd Streitberger bekannt geben, ob es den Planern gelungen ist, die moderne Technik in den alten VW Käfer zu bauen.