Armin Laschet (CDU) erzählt im Interview, worauf er sich nach der Restaurierung der Pariser Kathedrale Notre-Dame am meisten freut.
Fünf Jahre nach dem Feuer in ParisArmin Laschet über Notre-Dame: „Da oben, da ist auch ein Stück Köln“
Herr Laschet, fünf Jahre nach dem Brand der Pariser Kathedrale titeln Sie in Ihrem gemeinsamen Bildband mit Dombaumeisterin a.D. Barbara Schock-Werner, Notre-Dame sei „zurück im Herzen Europas“. War Notre-Dame den Menschen in Europa jemals näher als seit dem Brand?
Zunächst einmal war und ist Notre-Dame „das“ Symbol der französischen Nation. In jeder Stadt, in jedem Dorf Frankreichs gibt es Verkehrstafeln und Hinweisschilder mit der Entfernung in die Hauptstadt. Der Punkt in Paris, auf den sich diese Hinweise beziehen, ist immer der Standort der Kathedrale Notre-Dame. Ganz Frankreich war auf Notre-Dame konzentriert. Das heißt umgekehrt aber auch: Notre-Dame wurde lange vornehmlich als etwas Französisches wahrgenommen. In Wirklichkeit war die Kirche immer ein gemeinsames europäisches Kulturerbe. Das wurde allenEuropäerinnen und Europäern bewusst, die am Abend des 15. April 2019 vor den Bildschirmen saßen und um Notre-Dame gebangt haben. Man lernt den wahren Wert eines Gutes ja ofterst kennen und schätzen, wenn es gefährdet ist.
Wie ging Ihnen das an diesem Abend vor fünf Jahren?
Ich schwankte am Fernseher zwischen Entsetzen und Zorn. Entsetzen, weil ja lange nicht klar war, ob das ganze Gebäude einstürzen und damit unwiederbringlich verloren gehen würde. Zorn, weil unser öffentlich-rechtliches Fernsehen ungerührt weitersendete, als wäre nichts passiert. Da fehlte noch jenes Verständnis, dass es hier gerade ans Herz Europas ging. Ich fieberte dann auf anderen Kanälen mit, und am späten Abend folgte die große Erleichterung, als sich abzeichnete: gewaltige Schäden ja, aber kein Totalverlust.
Und daraus entstand der Impuls: Du musst was tun?
Gegen die Nichtwahrnehmung durch die öffentlich-rechtlichen Medien wollte ich zeigen: Wir in Deutschland nehmen auch Anteil! Geld genug würden die Franzosen haben. Das war schnell klar, als die Milliardäre des Landes umgehend mit Finanzierungszusagen kamen. Es ging mir um das Symbol eines deutschen Beitrags. Deshalb habe ich gleich am nächsten Tag eine Spendenaktion gestartet.
Mit deren Ergebnis am Ende die Restaurierung von vier Fenstern aus Notre-Dame finanziert wurde.
Auf dem Weg dahin kamen die Expertise der Kölner Dombauhütte und das Vertrauen zusammen, dass ihre Kunstschätze dort in guten Händen sein würden. Es war für die Franzosen alles andere als selbstverständlich, wichtige Kulturgüter von Notre-Dame zur Restaurierung ins Ausland zu geben. Das ist überhaupt nur in einem einzigen Fall geschehen, nämlich mit den nach Köln geschickten Fenstern von Jacques Le Chevallier.
Mit dem Stolz der Franzosen umzugehen, scheint – nicht nur hier – eine Herausforderung für die bilateralen Beziehungen zu sein.
In der Praxis wäre es, glaube ich, umgekehrt nicht anders. Ob wir Deutsche bei Schäden – sagen wir – am Dreikönigenschrein im Kölner Dom so einfach sagen würden, „ab damit nach Frankreich“, da bin ich mir nicht sicher. Dass die Franzosen eine andere Form von Nationalstolz haben, das wird man tatsächlich immer in Rechnung stellen müssen. Als ich junger Abgeordneter im Bundestag war, hat Helmut Kohl uns beigebracht: „Wenn ihr bei den Franzosen seid, immer erst dreimal die Trikolore grüßen und Frankreich als ‚älteste Tochter der Kirche‘ preisen – danach könnt ihr dann zur Sache kommen.“
Auf solche Ideen kämen Deutschland-Besucher kaum.
Wir sind da nüchterner aufgestellt, das stimmt. Aber wenn man weiß, wie die anderen sind, und das anerkennt, tut man sich leichter – auch in womöglich harten Verhandlungen. Ohne eine solche kulturelle Sensibilität wird alles nur noch schwieriger.
Nehmen Sie es bitte nicht als Steilvorlage für einen deutschen Oppositionspolitiker, aber hat Feuer unter dem Dach von Notre-Dame Symbolcharakter für die deutsch-französischen Beziehungen?
Ich mache mir die Brand-Metaphorik so nicht zu eigen. Aber ja, es fehlt an Empathie. Insbesondere – so sehr ich ihn bei anderen Dingen schätze – beim Bundeskanzler. Das hat nichts mit Parteipolitik zu tun. Er ist dafür einfach nicht der Typ. Man hat gesagt: Das müsse man doch verstehen, ein Hanseat, ohne rheinische Prägung...
… die hatte Angela Merkel auch nicht.
Eben. Das ist das eine Gegenbeispiel. Und das zweite ist Helmut Schmidt. Der war auch Hamburger, hat aber in den 1970er Jahren zusammen mit Valéry Giscard d’Estaing die Europäische Währungsunion entscheidend vorangebracht und das deutsch-französische Verhältnis auf ein neues Level gehoben. Unabhängig davon, ob man nah am Rhein zu Hause ist wie Konrad Adenauer, Helmut Kohl, Wolfgang Schäuble und wir, muss man einfach erkennen: Wenn es zwischen Deutschland und Frankreich nicht funktioniert, funktioniert Europa nicht.
Die Restaurierung von Notre-Dame ist fast exakt innerhalb der von Präsident Emmanuel Macron vorgegebenen Zeit von fünf Jahren abgeschlossen. Warum gelingt so etwas in Frankreich, bei uns aber nicht?
Ich habe Macrons Statement am späten Abend des 15. April 2019 auch gehört und dachte: Notre-Dame in fünf Jahren schöner wieder aufbauen, als sie vorher war? Ganz schön mutig! Aber in einem Zentralstaat wie Frankreich ist so ein Wort des Präsidenten eine andere Nummer als bei uns. Da wäre im Kulturföderalismus ja erst mal zu klären gewesen, wer überhaupt zuständig ist. Allerdings sehen wir in Deutschland so schlecht nun auch nicht aus.
Welches Großprojekt ist denn zuletzt pünktlich fertig geworden?
Na ja, die für unsere Demokratie und ihre Institutionen entscheidenden Bauten in Berlin waren zum Umzug von Parlament und Regierung bezugsfertig und funktionstüchtig. Wenn man die Kräfte bündelt und den Willen konzentriert, dann geht das.
Wir leben in fragilen Zeiten. Als Notre-Dame brannte, war noch keine Pandemie in Sicht, kein Krieg gegen die ganze Ukraine, auch nicht eine solche Gefährdung der Demokratie. Hätte die in Flammen stehende Kathedrale heute noch größere Schockwellen ausgelöst?
Puh, gute Frage... Es ist richtig, dass die Gesellschaft 2019 noch nicht so aufgewühlt war wie heute – und schon damals hatten auch Menschen ohne jede kirchliche oder christliche Bindung das Gefühl, hier gerät gerade etwas in Gefahr, was unsere Kultur über Jahrhunderte geprägt hat. Es war kein Zufall, dass rechte Kreise sofort von einem islamistischen Terroranschlag raunten. Das konnte zum Glück sehr schnell zerstreut werden. Seitdem haben die Aggressionen und die spalterischen Kräfte noch zugenommen. Gut möglich also, dass eine solche Katastrophe wie die vom 15. April 2019 noch emotionaler gewirkt hätte.
Kann die Wiederherstellung – ob nun schöner als zuvor oder nicht – etwas Heilendes, etwas Verbindendes haben?
In Frankreich wird das mit Sicherheit auf das Selbstbewusstsein eines – ebenfalls gespaltenen – Landes ausstrahlen. Apropos strahlen: Notre-Dame wird ganz bestimmt glanzvoller dastehen als zuvor, weil natürlich auch Schönheitsreparaturen, die längst hätten gemacht werden müssen, jetzt gemacht wurden. Also, das wird seine Wirkung nicht verfehlen, weder auf die Franzosen noch auf die Touristen aus aller Welt.
Werden Sie am 8. Dezember bei der offiziellen Wiedereröffnung in Notre-Dame sein?
Ich vermute, dass der Präsident mich einlädt, und dann gehe ich natürlich auch hin.
Auf welchen Eindruck freuen Sie sich am meisten?
Diesen Raum wieder zu betreten und zu sehen, wozu Baukunst in der Lage ist. Dann aber auch zu wissen: Da oben in der Fensterzone, da ist auch unser nordrhein-westfälischer Beitrag zum Wiederaufbau, da ist ein Stück Köln. Ein schönes Gefühl.
Buchvorstellung mit Armin Laschet und Barbara Schock-Werner
Armin Laschet und Barbara Schock-Werner (Hrsg.): Zurück im Herzen Europas. Notre-Dame de Paris und die deutsch-französische Freundschaft, Greven Verlag Köln, 112 Seiten, zweisprachig, mit zahlreichen Fotos, 22 Euro.
frank&frei mit Armin Laschet und Barbara Schock-Werner: Die Herausgeber stellen ihr Buch am Sonntag, 21. April, um 17 Uhr in der Talkreihe frank&frei des „Kölner Stadt-Anzeiger“ vor. Karl-Rahner-Akademie, Jabachstraße 4-8, 50676 Köln. Eintritt: 10 Euro (ermäßigt und mit KStA-ABOCARD 5 Euro). Zur Anmeldung geht es hier, telefonisch unter 0221 801078-0 oder per E-Mail an info@karl-rahner-akademie.de.