Düsseldorf – Normalerweise sei sie nicht nervös, erzählt Chimamanda Ngozi Adichie, wenn sie berühmten Menschen begegne. „Aber Angela Merkel zu treffen, das finde ich wirklich aufregend. Ich bewundere sie schon seit langem.“
Am Mittwochabend begegnete die nigerianische Autorin der deutschen Bundeskanzlerin auf der Bühne des Düsseldorfer Schauspielhauses. Zwei Frauen, die auf dem ersten Blick wenig gemeinsam zu haben scheinen. Adichie im schulterfreien Abendkleid aus ihrer Heimat. Merkel, die ihr eigenes Outfit als „sehr deutsch und überschaubar“ beschreibt.
Berühmt mit Beyoncé
Auf dem zweiten haben dieses beiden Frauen aber sehr viel gemeinsam. Die Klarheit, Ruhe und Standfestigkeit, mit der sie ihre Positionen vertreten. Adichie ist mit ihrem 2013er Roman „Americanah“ bekannt geworden, berühmt haben sie ihre vielmillionenfach angeguckten TED-Talks gemacht – und noch ein bisschen berühmter seit Beyoncé sie in ihrem Song „Flawless“ gesamplet hat.
Nun ist sie erst vor ein paar Stunden aus Lagos angekommen und muss noch ihren Jetlag ausschlafen. Umso aufgeweckter erscheint sie zum Gespräch im Hotel und hat mindestens so viele Fragen an ihren Gesprächspartner wie der an sie.
Was sie an Merkel bewundert? „Das fing schon vor der Flüchtlingskrise an, aber während der Krise habe ich eine Frau gesehen, die keine Angst hatte, ihren Prinzipien treu zu bleiben, trotz der politischen Konsequenzen. Sie hat gesagt: Ich werde nicht an diesem Wettbewerb teilnehmen, wer die Geflüchteten am schlechtesten behandelt.“
Bewundert Merkels Ruhe
Auch als Führungspersönlichkeit finde sie die Kanzlerin interessant, „aber da mache ich mich vielleicht der Doppelmoral schuldig, wenn ich die sanfte, beherrschte Ruhe bewundere, die Frau Merkel ausstrahlt. Wenn es um politische Anführer geht, erwarten wir offensichtlich verschiedene Dinge von Frauen und Männern. Zu einer schillernden, auffälligen Frau schaut man nicht so auf, wie zu einem charismatischen Mann.“
Ihre Hochachtung macht Adichie keinesfalls blind. Sie brennt schon darauf, die Kanzlerin nach jenem Gespräch mit ihrem Präsidenten Muhammadu Buhari zu fragen, in dem sie diesen dazu überredet hat, dem Siemens-Konzern die Lösung der Stromversorgungsprobleme des Landes anzuvertrauen. „Wir warten nämlich immer noch auf Strom.“ Die Frage stellt Adichie dann am auf der Schauspielbühne auch wirklich. Merkels verspricht, nachzuhaken.
Gegen negative Klischees
Ein weiterer Reibungspunkt: Während Adichie mit Charme und Bestimmtheit für den Feminismus kämpft, weicht Merkel Fragen nach diesem für gewöhnlich aus. „Dann sage ich es eben“, übernimmt Adichie: „Sie ist eine Feministin. Ich weiß, das ist eine Bezeichnung, die mit vielen negativen Klischees beladen ist. Aber was bitteschön ist an Angela Merkel denn nicht feministisch? Sie kann sich behaupten, sie weiß, was sie tut. Sie kümmert sich um Frauenfragen und vertritt keine Grundsätze, die Frauen schaden.“ Am Mittwochabend dann die Überraschung: Merkel zitiert bekenntnishaft Adichies Essay-Titel „Wir müssen alle Feministen sein“.
Zurück im Hotel spricht Adichie von ihrer Angst davor, „was mit Europa geschieht, wenn die Frau geht, die den Laden zusammenhält“. „Denn wenn es Europa schlecht geht, kommt das irgendwann auch bei uns in Afrika an.“ Europa habe immer noch eine geschichtliche Verantwortung gegenüber Afrika. Die Geschichte des Kolonialismus sei noch sehr präsent. So gebe es kaum Verbindungen zwischen dem frankophonen und dem anglophonen Afrika. „Es ist schon schwer, einen Flug von Nigeria in den Senegal zu bekommen.“
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Auch Deutschland müsse sich endlich seiner Verantwortung als ehemalige Kolonialmacht stellen. „Redet man denn in Deutschland über die Herero, die man in Namibia ermordet hat? Warum gibt es da keine politische Diskussion darüber? Weil Namibia machtlos ist.“
Stattdessen halte Afrika immer noch als das große Andere in der europäischen Vorstellung her. „Als Angela Merkels Pastoren-Vater in die DDR übersiedelte, soll er gesagt haben: Ich würde überall hingehen, um das Wort Gottes zu verbreiten, sogar nach Afrika.“
Ob der Kontinent auch aus diesem Grund oft nur als Hintergrundrauschen im Nachrichtenzyklus wahrgenommen wird? „Dabei wäre es aktuell zum Beispiel im Interesse des Westens, Afrika mit Impfstoffen zu helfen: Sonst kommt irgendwann jemand mit einer neuen Corona-Variante aus Afrika in euer Land. Wir könnten so viel mehr tun. Die mächtigen Länder haben gar nicht so viel zu verlieren. Leider hat die Pandemie gezeigt, dass wir keine globale Familie sind.“
Die Grenzen von Black Lives Matter
Chimamanda Ngozi Adichie lebt selbst zum Teil im Westen, im US-Bundesstaat Maryland. Wie hat sie als Nigerianerin Black Lives Matter wahrgenommen? „Ich bewundere Black Lives Matter sehr, das hat endlich Bewegung in die Diskussion um den alltäglichen Rassismus gebracht. Aber manches fühlt sich wie eine Performance an.“
Von Unternehmen etwa, die sich „Black Lives Matter“ auf ihre Fahne schreiben, würde sie gerne wissen, wo bei ihnen Schwarze in Verantwortungspositionen sitzen? „Es darf nicht wieder nur um weißes Mitgefühl gehen, es geht um schwarze Würde.“
Symbole sind nicht alles
Das Ziel müsse eine Welt sein, in der Leute als menschliche Wesen zählen, egal, von woher sie kommen. In der schwarze Inklusion die Normalität ist. Das Gleiche gelte auch für Frauen in Führungspositionen: „Je höher du kommst, desto weniger Frauen begegnest du“, hat die Kenianische Friedensnobelpreisträgerin Wangari Maathai einmal gesagt. Das, sagt Adichie, gelte immer noch: „Symbole sind wichtig. Die Tatsache, dass eine Frau in einer Machtposition ist, kann einer Dreijährigen zeigen: Das kann ich sein.“
Doch Symbole allein reichten eben nicht aus. „Bevor Frauen nicht wirkliche Macht in den Händen halten, sind wir noch nicht am Ziel angekommen. Bevor jemand wie Angela Merkel nicht mehr außergewöhnlich ist – und ich nicht mehr so aufgeregt bin, sie zu treffen.“