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Brauchen wir das wirklich?

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Eigentlich erfrischend, wenn Kunst nicht wie Kunst aussieht, sondern wie ein Ausflug zum Flohmarkt. Der Frankfurter Künstler Karsten Bott verweigert sich konsequent dem Zwang zur Innovation. Seit 40 Jahren verlässt er sich lediglich darauf, dass jeder Gegenstand, den er seinem „Archiv der Gegenwartsgeschichte“ beifügt, sein Werk bereichert.

Er selbst muss nur sammeln und horten. Da wären: Zahnspangen, DM-Banknoten, analoge Telefone, orangenes Plastikbesteck, ein Foto von Präsident John F. Kennedy, ein Aufkleber „Atomkraft? Nein danke!“, ein vergilbtes Landesprogramm der hessischen Grünen, ein RAF-Suchplakat – jede Menge Messie-Krimskrams und der eine oder andere sorgfältig ausgewählte Verweis auf die Nachkriegsgeschichte der BRD. Besichtigen lässt sich dieses hintersinnige Sammelsurium im Leverkusener Museum Morsbroich von einem eigens gebauten Laufsteg aus. Selbst aus dieser Luftposition heraus dauert es noch ein wenig, bis man die Ordnung hinter dem vermeintlichen Chaos erkennt. Bott hat jedes Ding einer Lebensphase zugeordnet, von Jugend über Sport bis zu Partei oder Natur. Man könnte Stunden inmitten dieser den Jägerinstinkt stimulierenden Installation verbringen, versunken in Erinnerungen an die Kindheit und auch froh darüber, dass sich all diese Überflüssigkeiten in den eigenen vier Wänden auf wundersame Weise in Luft aufgelöst haben.

An Ballast fehlt es schließlich auch dem Rest der von der holländischen Kuratorin Anne Berk konzipierten Ausstellung „Liebes Ding – Object Love“ nicht gerade. Der Niederländer Ted Noten hat Goldringe und eine Pistole in Handtaschen aus transparentem Acrylharz eingeschmolzen, als gelte es ihre begehrenswerte Aura unschädlich zu machen. Sein Landsmann Erwin Olaf lässt auf einem Foto ein dunkelhäutiges Model breitbeinig auf einem Ledersofa Platz nehmen. Ihr Gesicht spielt keine Rolle. Schließlich trägt sie eine Tüte mit der Aufschrift „Chanel“ auf dem Kopf – Marke ersetzt Identität.

Dimitar Genchevs „Interior plant“

Auch Ari Versluis & Ellie Uyttenbroek haben es auf die Macht der Kleidung abgesehen. Ihre Kamera porträtiert Senioren, Kopftuchträgerinnen oder Öko-Punks in gruppenspezifischen Formationen. Konfrontativer gibt sich Melanie Bonajo in ihrer Foto-Serie „Furniture Bondage“. Sie holt nackte Frauen vor die Linse, die den Kampf gegen ihre Freiheit einschnürenden Bügelbretter, Leitern und allerlei technische Haushaltshilfen aufgenommen haben.

Eine Abhängigkeit hat auch bei nicht wenigen das Internet ausgelöst, obwohl es zunächst den Alltag zu erleichtern schien. Dass sich die Wahrnehmung der neuen Technologie inzwischen verändert hat, beweisen die Statements der Nutzer, die Jeroen van Loon für seine Recherche „Life Needs Internet“ in der ganzen Welt gesammelt hat. Dass die Fesseln des Materiellen, auch wenn sie digital daherkommen, wegmüssen, darüber ist sich ohnehin die Mehrheit der 22 versammelten Künstler einig.

Nur Kathrin Ahäuser fällt mit ihren Videos der auf den ersten Blick undankbare Part zu, Menschen in den Fokus zu rücken, die eine etwas gewöhnungsbedürftige sexuelle Vorliebe pflegen. Objektophile lieben nicht nur Schuhe oder ihr Auto innig. Sie suchen eine intime Beziehung zu einem Baukran, einer Boeing oder einem Notenständer. Nachhaltig ist das nicht, lädt aber immerhin zum Schmunzeln ein.Eine riesige schwarze Stoffkugel, gedacht als das Ding an sich, hält Yvonne Dröge Wendel bereit. Der Besucher darf ihre Position verändern, sollte aber nicht erwarten, dass in diesem mobilen schwarzen Loch die Lösung für die Probleme des Planeten liegt. Den Plastikmüll, den Maarten Vanden Eynde aus den Weltmeeren gefischt hat, vermag das Ungetüm jedenfalls nicht zu verschlucken.

Es liegt an uns zu fragen, ob wir Prada-Schuhe immer noch auf einem Altar verstauen wollen, wie es Andreas Gursky in seiner ikonischen Fotografie „Prada I“ bereits 1996 zur Diskussion stellte. Selbst diese den Status markierenden Fetische müssen irgendwann entsorgt werden. Weswegen auch der Titel dieses amüsant-bedrohlichen Parcours gegen den Strich zu lesen ist, als Abgesang auf die besinnungslose Konsumgesellschaft, der wir lieber früher als später unsere Liebe entziehen sollten. „Liebes Ding – Object Love“,

Museum Morsbroich, Leverkusen, Gustav-Heinemann-Str. 80, Di. – So. 11-17 Uhr, bis 26. April.