Die Beziehung zwischen Tom Buhrow und dem WDR gleicht einer Ehe, in der sich beide Seiten langsam auseinandergelebt haben. Sein Abschied ist folgerichtig.
Das Ende der Ära Buhrow beim WDRWenn die Liebe langsam schwindet
Jeden Tag sprechen wir unzählige Sätze aus. Die meisten von ihnen haben wir schon nach kürzester Zeit wieder vergessen. Einige bleiben uns lange in Erinnerung. Manche verfolgen uns bis ans Ende unserer Tage. Für Tom Buhrow dürfte das, zumindest im beruflichen Kontext, eine Äußerung sein, zu der er sich im Mai 2013 nach seiner Wahl zum neuen WDR-Intendanten hinreißen ließ: „Ich bringe die Liebe mit“.
Schon sehr, sehr oft ist dieser Satz in den vergangenen zehn Jahren zitiert worden, wenn es um Buhrow und den WDR ging. Denn auch, wenn der heute 65-Jährige in seiner Zeit an der Spitze der größten ARD-Anstalt immer wieder beteuerte, seinen Sender zu lieben und sich ihm eng verbunden zu fühlen, war es keine leichte Beziehung.
Da erscheint es folgerichtig, dass Buhrow vor wenigen Tagen Schluss gemacht hat, genauer gesagt hat er angekündigt, wann es zur Trennung kommen wird. Ein Jahr will er den WDR noch führen, dann ist er raus. Und steigt somit ein halbes Jahr vor dem Ende seiner zweiten Amtszeit aus.
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Niemand kann ihm vorwerfen, den Sender nicht gut zu kennen
Man kaufte Buhrow immer ab, dass ihm der Sender am Herzen liegt. Er hat, abgesehen von ersten journalistischen Gehversuchen, seine ganze Berufslaufbahn beim WDR verbracht. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Rheinischen Landeskunde in Bonn volontierte der gebürtige Siegburger bei dem öffentlich-rechtlichen Haus. Danach arbeitete er sich sukzessive nach oben, war erst Reporter und Redakteur, später Auslandskorrespondent und zuletzt Moderator der „Tagesthemen“.
Niemand konnte ihm also vorwerfen, den Sender, an dessen Spitze er seit Juli 2013 steht, nicht gut genug zu kennen. Buhrow weiß um die Herausforderungen, vor den Journalistinnen und Journalisten in digitalen Zeiten stehen.
Was ihm fehlte, war die Managementerfahrung. Der WDR ist der größte Sender in der ARD, 2022 standen 1,565 Milliarden Euro Erträgen Aufwendungen in Höhe von 1,558 Milliarden Euro gegenüber. In der freien Wirtschaft käme niemand auf die Idee, auf einen solchen verantwortungsvollen Posten jemanden zu setzen, der vorher lediglich das ARD-Studio Washington geleitet hatte.
Wie kräftezehrend dieser Job in den vergangenen zehn Jahren gewesen sein muss, war Buhrow oft anzusehen. Er ist grau geworden über die Jahre, sah oft müde und abgekämpft aus. Das Jungenhafte, das ihm so oft bescheinigt wurde, hat er unterwegs verloren.
Buhrow verordnete dem WDR ein Sparprogramm
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk stand noch nie so sehr unter Beschuss wie in den vergangenen Jahren. Mit der AfD sitzt eine Partei im Bundestag, die ihn komplett infrage stellt und ihn gleich abschaffen will. Aber auch viele Politikerinnen und Politiker aus anderen Parteien haben erkannt, dass Polemik gegen ARD, ZDF und Deutschlandradio bei vielen Wählerinnen und Wählern gut ankommt.
Buhrow verkündete schon früh in seiner Zeit als Nachfolger von Monika Piel Millioneneinsparungen und die Streichung von 500 Planstellen. Das wiederum sorgte intern für viel Gegenwind, zumal oft Programme etwa im Kulturbereich dran glauben mussten, die zum Kernbereich des öffentlich-rechtlichen Auftrags gehören.
In all den Jahren und vielen Krisen hat Buhrow seine gewinnende Art sehr geholfen, in der Öffentlichkeit tritt er stets freundlich und verbindlich auf. Hinter den Kulissen sieht das offensichtlich nicht immer so aus. Menschen, die mit ihm zusammengearbeitet haben, berichten, dass er sich mitunter wegducke, Entscheidungen nicht treffen wolle, sich nicht vor seine Leute stelle. Es schien oft so, dass er im Versuch, jeden Konflikt im Keim zu ersticken, zu wenig Haltung bewies.
Die Kontroverse um ein harmloses Satire-Lied offenbart seine Schwächen
Besonders deutlich wurde das bei der Kontroverse um ein eigentlich harmloses Satire-Video. 2020 sorgte die satirische Umdichtung des Kinderliedes „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“, aus dem ein Kinderchor „Meine Oma ist 'ne alte Umweltsau“ machte, für einen auch von Rechten befeuerten Shitstorm. Buhrow meldete sich vom Krankenbett seines Vaters, bat öffentlichkeitswirksam um Entschuldigung. Viele im WDR nahmen ihm übel, dass er sich damals nicht schützend vor die Redaktion stellte.
Diese Episode war für die Buhrow-Kritiker symptomatisch für größere Probleme im Sender. Die Streitkultur, die den Sender früher auszeichnete, sei verloren gegangen, heißt es oft, Dialog auf Augenhöhe nicht mehr möglich.
Schon 2018, als #metoo-Vorwürfe den Sender erschütterten, hatte sich gezeigt, dass im WDR einiges im Argen liegt. Auf Buhrows Wunsch hatte die Gewerkschafterin und SPD-Politikerin Monika Wulf-Mathies ein Gutachten über den Sender angefertigt. Ihr Fazit war mehr als deutlich: Das Betriebsklima könnte besser sein, es fehle an Wertschätzung füreinander. Der Sender brauche einen Kulturwandel.
Und wenn Buhrow dann mal versuchte, in der Debatte mutig voranzugehen, verhob er sich manches Mal. Zuletzt, als er im November 2022 eine Grundsatzrede im Hamburger Übersee-Club hielt, die die „FAZ“ in Auszügen druckte. Er war damals Interimsvorsitzender der ARD, nachdem rbb-Intendantin Patricia Schlesinger den Posten abgegeben hatte. Da stellte er durchaus wichtige Fragen, aber zum völlig falschen Zeitpunkt. Größere Impulse hatte er nämlich in seiner regulären Amtszeit als ARD-Vorsitzender vermissen lassen.
Nun ist er also noch ein Jahr WDR-Intendant, es wird ein aufreibendes werden. Die Diskussionen über die Höhe des Rundfunkbeitrags werden weitergehen, die Wahlen zum EU-Parlament und in den drei ostdeutschen Bundesländern Sachsen, Thüringen und Brandenburg werden die politische Stimmung zusätzlich anheizen.
Schon als er für eine zweite Amtszeit wiedergewählt wurde, wollte Buhrow die Liebe nicht mehr in den Mund nehmen. Damals sagte er: „Es gilt nach wie vor, dass mir der WDR am Herzen liegt.“ Es bleibt abzuwarten, mit welchen Worten er sich Ende kommenden Jahres verabschieden wird. Vielleicht ist dann ja die Rede von einer zerrütteten Beziehung.