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Francesco Tristano in KölnIst es spießig, diesen Bach furchtbar zu finden?

Lesezeit 3 Minuten
Francesco Tristano schaut seitlich zum Bild heraus.

Der Pianist und Komponist Francesco Tristano spielte „Bach & Beyond“ in Köln

Francesco Tristano gastierte mit „Bach & Beyond“ in der Kölner Philharmonie. Unser Rezensent hörte viel langweilende Einfallsarmut.

Klar, Bach hat sie alle inspiriert, von Mozart bis Procol Harum, und die Geschichte der produktiven Adaption des Thomaskantors quer durch die Stile und Genres ist noch lange nicht zu Ende. Ein illustres Beispiel dafür ist der in Spanien ansässige Luxemburger Francesco Tristano (eigentlich: Franceso Tristano Schlimé), der soeben in der Kölner Philharmonie sein Programm „Bach & Beyond“ absolvierte. Bach und darüber hinaus: Dieses „Beyond“ hat in Tristanos Fall vor allem einen Namen: Tristano.

Tatsächlich wurde da ein Programm zum Leben – wie der Pianist und Komponist (eine leicht unheimliche Kreuzung aus nettem Schwiegersohn und genialischem Exzentriker) vor seinem weithin begeisterten Publikum ausführte. Was er denn spielen wolle, wurde der spätere Schüler der amerikanischen Bach-Legende Rosalyn Tureck bereits in frühen Jahren gefragt. Die notorisch-verstockte Antwort: Bach und mich selbst.

Bei Tristano hat der Flügel viel auszuhalten, manchmal stellt sich die Assoziation an einen Roboter ein

Dabei ist es dann zwar nicht geblieben, Tristano hat auch Prokofjew, Berio und Cage eingespielt, aber Bach ist auch heute noch – siehe seinen Kölner Auftritt – der Fixstern an seinem Musikhimmel. Darüber hinaus hat der Mann seit seinem Studium ein starkes Standbein in Jazz, Techno, Electronics, Minimal Music – es spült bei ihm erfrischend über konventionell abgezirkelte Stilbereiche hinweg. Und Bach wird dabei durchaus in diesen Sog gezogen, wird auf radikale Weise zum Zeitgenossen, zum Techno-Beater avant la lettre. Das ist ein harter, schmerzhafter Bach, den Tristano anhand der c-Moll-Partita sowie einer der Englischen und der Französischen Suiten exekutierte. Da gibt es keinerlei empfindelnde Weichzeichnung, da grooven vielmehr motorisch die Synkopen, da geht die Post ab ohne Punkt und Komma, kommt der Kontrapunkt mit kristalliner Härte. Der Flügel hat da viel auszuhalten, manchmal stellt sich die Assoziation an einen IT-gesteuerten Roboter ein.

Ist es spießig und kleinkariert, zeugt es von engstirniger Befangenheit in obsoleten Hörgewohnheiten, wenn man bei diesem Spiel trotz der unbestreitbaren technischen Souveränität, ja Imposanz doch etliches vermisst? Wenn man darauf beharrt, dass Bach mehr ist als ein Produzent geschickt konfigurierter maschineller Verläufe? Dass es andererseits eine Illusion ist, dass der Interpret die eigene gestaltende Subjektivität völlig aus dem Vorgang selbst herausnehmen könnte?

Bei der Matthäuspassion wurde die Tragödie in einer Weise durchgebolzt, dass es einer Hinrichtung gleichkam

Das Fehlen einer spirituellen Dimension (was auch immer das im konkreten Fall heißen mag) drängte sich anlässlich der originalen Klavierkompositionen noch nicht so stark auf wie im Fall des von Tristano bearbeiteten Eingangschores der Matthäuspassion („Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen“). Da wurde die heraufziehende Tragödie des Neuen Testaments in einer Weise durchgebolzt, dass es einer musikalischen Hinrichtung gleichkam.

Den Weg zur Matthäuspassion ebnete sich Tristano übrigens selbst, insofern er am präparierten Flügel und am Keyboard seinen akustischen Klangraum schuf, in dem sich dann die Bach-Konturen nach dem Modus einer Weltentstehung allmählich herausbildeten – darunter bezeichnenderweise markant der durchgehaltene Grundpuls des Eingangschores aus Viertel plus Achtel. Klar, der Weg von solchen rhythmischen Mustern zu den Usancen zeitgenössischen Komponierens scheint, wenn man Einzelnes isoliert, irgendwie nicht so weit zu sein.

Ist er aber dann doch. Das zeigten an diesem Abend Tristanos eigene Werke für Klavier und Electronics: die „Ciacona seconda“, das „Ritornello“, „La Franciscana“ und „Electric Mirror“ (der motivisch nicht auf Bach, sondern auf Rameaus Oper „Castor und Pollux“ zurückgeht). Sicher: Der Groove, der Sog des Repetitiven vermag beim Zuhörer im besten Fall eine psychedelische Transformation zu bewirken. Stemmt er sich diesem Effekt entgegen, sieht er sich mit langweilender Einfallsarmut konfrontiert. Ihrer kann man Bach nun wirklich am allerwenigsten zeihen.