Gastbeitrag zu Israel von Claus KreßBestürzende Geringschätzung des Völkerrechts
Lesezeit 5 Minuten
Eine Gruppe Palästinenser demonstriert im Hebron betend gegen die jüdische Siedlungspolitik.
Copyright: dpa
ANZEIGE
ANZEIGE
Der Kölner Völkerrechtsprofessor Claus Kreß untersucht die neue Haltung der US-Regierung zur israelischen Siedlungspolitik.
Donald Trump hat die von den Vereinten Nationen als illegal erachtete Annexion palästinensischer Gebiete mehr oder weniger anerkannt.
Kreß sieht hinter dieser Kehrtwende eine gefährliche Politik am Werk, in der hohe Güter gegeneinander ausgespielt werden.
Köln. – Die Regierung der USA beabsichtigt nicht, eine Situation, einen Vertrag oder eine Vereinbarung anzuerkennen, die durch eine Verletzung des Pakts von Paris vom 27. August 1928 herbeigeführt worden sein könnte.“ Der Pakt von Paris, nach den damaligen Außenministern Frankreichs und der USA auch Briand-Kellogg-Pakt genannt, hatte eine völkerrechtliche Zeitenwende eingeleitet: Er verbot die Entfesselung eines Kriegs zur Lösung internationaler Streitfälle und als Werkzeug nationaler Politik. Japan wandte 1931 dennoch Gewalt in der zu China gehörenden Mandschurei an und richtete dort den Marionettenstaat Mandschukuo ein. Der Völkerbund wies die japanische Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht zurück. Allerdings konnte man sich nicht dazu durchringen, militärische oder wirtschaftliche Sanktionen gegen Japan zu verhängen.
Um das neue Völkerrecht gegen den Krieg nicht bereits in Anbetracht seiner ersten ernsten Herausforderung wirkungslos erscheinen zu lassen, überzeugte der nun amtierende US-amerikanische Außenminister Henry Stimson seinen Präsidenten, am 8. Januar 1932 – wie eingangs zitiert – zu erklären, dass man den von Japan ausgerufenen „Staat“ Mandschukuo nicht als solchen anerkenne. Diese „Stimson-Doktrin“ wurde fortan zur Völkerrechtspolitik der USA, und bereits kurz danach rief der Völkerbund eine völkerrechtliche Pflicht aus, keine Situation, keinen Vertrag und keine Vereinbarung anzuerkennen, die durch eine Verletzung des neuen Kriegsächtungspakts herbeigeführt worden sein könnte. Diese Pflicht zur Nichtanerkennung ist in der Folge zu allgemein verbindlichem Völkerrecht erstarkt. Mehr noch, diese Pflicht gilt inzwischen auch dann, wenn ein Staat die faktische Herrschaft über fremdes Gebiet durch einen ausnahmsweise erlaubten Gewalteinsatz erlangt hat.
Daher besteht die völkerrechtliche Pflicht, Israels 1981 vollzogener Annexion der Golan-Höhen die Anerkennung zu versagen, unabhängig davon, wie man die umstrittene Frage beantwortet, ob Israels Gewalteinsatz im Sechs-Tage-Krieg von 1967 als (vorbeugende) Selbstverteidigung erlaubt war. Entscheidend ist allein, dass Israel die Kontrolle über den entsprechenden Teil des syrischen Staatsgebiets durch den Einsatz von Gewalt erlangt hat. In Übereinstimmung hiermit hat der UN-Sicherheitsrat die israelische Annexion noch 1981 für null und nichtig erklärt – und dies mit Zustimmung der USA.
Trump spricht von einzigartigen Umständen
Trotz alledem hat US-Präsident Donald Trump am 25. März dieses Jahres verkündet, die USA betrachteten die Golan-Höhen als Teil des Staates Israel. Der Präsident der USA führte für diese Entscheidung statt eines völkerrechtlichen Grunds das Sicherheitsbedürfnis Israels an und betonte, es handele sich um „unique circumstances“ – einzigartige Umstände.
„Einzigartige Umstände“ beschworen die USA am 18. November dieses Jahres erneut: Solche hätten die USA zu der Überzeugung gebracht, dass israelische Siedlungen im Westjordanland nicht „an und für sich“ (per se) völkerrechtswidrig seien. Auch die Kontrolle über das Westjordanland hat Israel im Sechs-Tage-Krieg erlangt. Israel bestreitet allerdings, diese Gebiete im Sinne der Vierten Genfer Konvention zum Humanitären Völkerrecht militärisch zu besetzen, da sie 1967 nicht Teil des Gebiets eines anderen Staats waren, insbesondere nicht Teil des Staatsgebiets Jordaniens.
Demgegenüber nehmen der Internationale Gerichtshof (IGH) und – nahezu einhellig – die Völkerrechtswissenschaftler seit langem den Standpunkt ein, Israel sei seit 1967 als Besatzungsmacht nach der Vierten Genfer Konvention einzustufen, ohne dass es darauf ankomme, ob dieses Gebiet 1967 jordanischer Souveränität unterstand.
Nach besagter Genfer Konvention ist es der Besatzungsmacht versagt, Teile ihrer eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet zu verschleppen oder zu verschicken. Anders als Israel sind der IGH und die Völkerrechtswissenschaft der Auffassung, dieses Verbot erfasse nicht nur die zwangsweise Überführung von Teilen der Zivilbevölkerung, sondern auch die staatliche Unterstützung freiwilliger privater Siedlungstätigkeit. Die Begründung dafür lautet, bei dem Verbot gehe es nicht um den Schutz der Zivilisten der Besatzungsmacht, sondern darum, zu verhindern, dass durch eine Veränderung der demografischen Zusammensetzung der Bevölkerung im besetzten Gebiet im Sinn einer schleichenden Annexion „Fakten“ geschaffen werden.
Frieden und Völkerrecht werden gegeneinander ausgespielt
Die USA haben Israels Sicherheitsbedürfnis zu Recht stets betont, und die USA stehen einseitigen Verurteilungen Israels im Nahostkonflikt mit gutem Grund seit jeher kritisch gegenüber. Doch die international nahezu einhellige völkerrechtliche Kritik an der israelischen Siedlungspolitik haben die USA über Jahrzehnte hinweg geteilt. Noch im Dezember 2016 ermöglichten die USA dem UN-Sicherheitsrat durch ihre Stimmenthaltung die Feststellung, die israelische Errichtung von Siedlungen in den seit 1967 besetzten Gebieten sei eine „flagrante“ Verletzung des Völkerrechts.
Der Kölner Völkerrechtler Claus Kreß ist an den Internationalen Gerichtshof in Den Haag berufen worden.
Copyright: Martina Goyert
Am 18. November hat die Trump-Regierung diese Linie aufgekündigt. Auch bei diesem Positionswechsel sucht man vergeblich nach einer völkerrechtlichen Begründung. Stattdessen erklärte Außenminister Mike Pompeo, die Einstufung der Siedlungen als völkerrechtswidrig habe der Sache des Friedens nicht gedient. Frieden und Völkerrecht derart gegeneinander auszuspielen, ist gefährlich. Überdies stellt sich die Frage, inwiefern es dem Frieden dienen soll, eine Siedlungspolitik von völkerrechtlicher Kritik zu verschonen, die der Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts des palästinensischen Volks und einer Zweistaatenlösung des Nahostkonflikts immer neue Hindernisse in den Weg stellt.
Die USA haben das heute geltende Völkerrecht der Friedenssicherung wesentlich mitgestaltet. Umso bestürzender ist dessen Geringschätzung durch die Trump-Regierung in diesen beiden kurz aufeinanderfolgenden Fällen. Immerhin bleibt die Möglichkeit, dass eine spätere US-Regierung die Weichen im Einklang mit dem Völkerrecht auch wieder zurückstellen könnte. Bis dahin wird es umso wichtiger sein, dass andere Staaten die Fundamente des Völkerrechts der Friedenssicherung entschieden stützen.
ZUM AUTOR
Claus Kreß (53), Autor unseres Gastbeitrags, lehrt Straf- und Völkerrecht an der Universität zu Köln. Dort ist er Direktor des Instituts für Friedenssicherungsrecht. Am Dienstag wurde Kreß als Ad-hoc-Richter an den Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag eingesetzt. In dem Verfahren, in dem Kreß als gleichberechtigtes, unabhängiges Mitglied des Gerichtshofs agiert, geht es um eine Völkermords-Klage gegen den Staat Myanmar. Gambia hat im Namen der Organisation für Islamische Zusammenarbeit den IGH wegen der Vertreibung und Verfolgung der Rohingya, einer muslimischen Bevölkerungsgruppe, angerufen. Kreß wurde auf Vorschlag Myanmars an den IGH berufen, ist aber nicht Prozess-Vertreter des beklagten Staats. (jf)