Köln – Seit Wochen schon werden die Warnrufe aus den deutschen Kliniken immer lauter: Während die Zahl der Corona-Patienten stetig weiter steigt, werden die freien Intensivbetten immer knapper. Nicht weil es zu wenig Betten geben würde. Der Engpass sind in diesem Corona-Winter vor allem fehlende Pflegekräfte. Viele haben nach den Belastungen der bisherigen drei Corona-Wellen gekündigt.
Nun liegt ein weiterer harter Winter vor denen, die noch geblieben sind. Doch wie lange hält das Klinik-Personal in der vierten Welle noch durch? Das fragte Frank Plasberg am Montagabend bei „Hart aber Fair“ seine Gäste. Und wie dort umgehen mit schwerkranken Coronaleugnern und Impfverweigerern? Schließlich argumentieren viele, dass das Land nicht in dieser Lage wäre, wenn die Impfquote wesentlich höher wäre. Kommt also auch bei uns eine Impfpflicht?
Das diskutierten:
- Markus Blume
- Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD)
- Der Oberarzt und Facharzt für Pneumologie
- Für die Journalistin
- Joachim Stamp
Welche Debatten muss man gesellschaftlich wann führen? Fragt Plasberg zu Beginn der Sendung. Um das zu beantworten, müsse man manchmal einen Blick aus den Talkshows hinaus werfen und dorthin blicken, wo es wirklich schmerzhaft ist. Auf die Intensivstationen im Land nämlich, die unter der Last der vierten Corona-Welle ächzen.
Blick auf die Intensivstation
Eine kurze Reportage begleitet den Oberarzt Celik in seinem Arbeitsalltag. Die Ärzte und Pflegerinnen erzählen: „Wir haben uns in den letzten Wochen auf die Strategie verlegt, frühzeitig zu entlassen, und nicht erst wenn es eng wird. Das geht nur zu Lasten anderer Patienten. Mehr Covid können wir nur versorgen, wenn andere Patienten abbestellt werden. Das ist die große Krux an der Sache.“
Im Zentrum des Stationsalltags liegt die Organisation: Wer kann wo liegen? Welches Bett wird frei? Haben wir noch ein freies Covid-Bett? Und vor allem immer wieder die Frage: Genügend Personal? Celik sagt: „Was viele Menschen verstehen müssen: Der Engpass sind nicht Betten oder Geräte, sondern Pfleger, die sich um die Menschen kümmern müssen.“
Es folgt ein Blick in die Patientenzimmer. Man hört das Rauschen der Geräte, das Piepen, die schwerfälligen Atemzüge. In einem Zimmer ein Patient, keine Vorerkrankungen, ungeimpft. Schwerstes Lungenversagen. „Nach wie vor ist die Sterblichkeit dieser Patienten hoch“, sagt Celik, und: „Eine Impfung würde davor schützen.“Ein weiteres Zimmer: Ein 32-Jähriger Covid-Patient, ungeimpft, sagt: „Ich kann nur jedem raten, sich zu impfen. Das war hirnrissig. Ich dachte, es wäre nur eine Grippe, ich bin jung. Man sieht ja wo es hinführt. Ich würde mich jetzt jede Woche impfen lassen.“ Celik sagt: „Man darf niemals aufgeben, mit den Patienten über die Impfung zu sprechen.“
FDP-Politiker Stamp spricht sich für Impfpflicht aus
Zurück im Studio steht die Frage im Raum: Warum haben wir es als Gesellschaft nicht geschafft, alle von der Impfung zu überzeugen? Der FDP-Politiker Stamp sagt: „Ich glaube, einen Vorwurf den wir uns machen müssen – vielleicht auch Medien und Politik gemeinsam – ist, dass wir im September nicht rechtzeitig auf die rückläufige Impftendenz reagiert haben.“ Man habe sich hauptsächlich noch auf die Bundestagswahl konzentriert. Letzteres sieht auch die Journalistin Kristina Dunz so. Die Politik habe sich zu sehr von ihrem Wahlkampf vereinnahmen lassen, nicht auf die Wissenschaftler gehört. Denn die hätten schon früh gewarnt: „Eigenverantwortung fruchtet in Teilen der Bevölkerung nicht.“
Der CSU-Generalsekretär Blume aber wirft ein, dass man im Sommer unmöglich Maßnahmen hätte diskutieren können. Die Zahlen seien so niedrig gewesen, die Impf-Euphorie in weiten Teilen der Bevölkerung verdeckte noch weitgehend die Verweigerung einer Minderheit. Im Sommer habe es Phasen gegeben, da sei man gescholten worden, wenn man nicht alles wieder aufmache.
Der Mediziner Celik hält dagegen: „Die Wissenschaft war immer sehr eindeutig.“ Dass der wirkliche Anstieg im Herbst und Winter kommen werde, und auch sehr hoch sein werde, sei allen in der Wissenschaft klar gewesen. Und das habe auch Markus Söder klar sein müssen, der noch Anfang des Monats behauptete, es habe ja niemand ahnen können, dass sich das Virus noch einmal so aufbäumen würde.
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Annette Kurschus erzählt, für sie sei die Erkenntnis, dass es eine Impfpflicht brauche, ebenfalls erst vor wenigen Wochen gekommen. Damals sei gerade eine neue Forsa-Umfrage veröffentlicht worden, die zeigte: Menschen, die bis dato nicht geimpft waren, würden es freiwillig auch nicht mehr tun. „Ich kann nur jedem sagen: Es ist deine Pflicht, wenn du in einer Gemeinschaft lebst, dich impfen zu lassen – wenn du kannst“, plädiert die Theologin.
Überhaupt sind sich beim Thema Impfpflicht alle in der Runde erstaunlich einig, sogar der FDP-Politiker Joachim Stamp spricht sich überraschend nach einigem Drängen seitens Plasbergs für eine Impfpflicht aus. Er persönlich könne sich das mittlerweile gut vorstellen. Überzeugt habe auch ihn die Dynamik der vierten Welle. „Es ist ein lernender Prozess von uns allen.“
Große Koalition und Ampel-Parteien haben versagt
Gestritten wird an diesem Abend bei „Hart aber Fair“ meist nur über politisches Klein-Klein. Der CSU- und der FDP-Politiker werfen sich gegenseitig vor, die derzeitige Lage verschuldet zu haben. Der jeweils andere habe zu spät gehandelt oder falsch oder beides. Kristina Dunz widerspricht: „Beide Seiten haben versagt. Die Große Koalition hat sich im Wahlkampf erschöpft. Und die Ampel-Parteien haben die pandemische Notlage auslaufen lassen. Das ist psychologisch einfach das falsche Signal. Sie können ja nicht explodierende Zahlen haben und sagen, das ist richtig, dass wir dieses Instrument jetzt nicht mehr haben.“
Insgesamt herrscht aber eine betroffene Stille vor an diesem Abend. Als es am Ende der Sendung um die Möglichkeit der Triage in den Krankenhäusern geht, ist den Anwesenden der Kloß im Hals deutlich anzumerken. „Ich habe unsere Gesellschaft und unser ganzes Gesundheitssystem noch nie in so einem Zustand erlebt. Wir sind doch seelisch auf dem Hund. Wir erleben eine solche Verunsicherung“, bringt die Theologin Kurschus die Stimmung auf den Punkt. Plasbergs Blick auf die Intensivstationen hinterlässt ein ungutes Gefühl. Der Blick richtet sich nun sorgenvoll auf den Winter.