Köln – Erstmals seit Beginn der Corona-Pandemie hat die Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland die Grenze von 300 überschritten. Von den Intensivstationen sind vielerorts bereits Warnrufe zu hören: Es gibt immer weniger freie Betten, planbare Operationen müssen wieder verschoben werden. Denn obwohl wirksame Impfstoffe flächendeckend verfügbar sind, lassen sich in Deutschland noch immer zu wenige Menschen impfen. Die Delta-Variante des Coronavirus breitet sich deshalb wieder stark aus, die vierte Welle trifft das Land mit voller Wucht.
Frank Plasberg fragte seine Gäste bei „Hart aber Fair“ am Montagabend daher: Warum sind wir wieder unvorbereitet? Knickt die Politik ein vor den Impfverweigerern? Wer hat Schuld, wenn wieder viele Tausend sterben und für alle Corona kein Ende nimmt?
Darüber diskutierten:
- Stephan Weil
- Der Journalist
- Dr. Lisa Federle
- Die Philosophin
- Professor Carsten Watzl
Stephan Weil: Einschränkungen für Ungeimpfte werden kommen
Der Präsident des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery hatte erst vorige Woche von einer „Tyrannei der Ungeimpften“ gesprochen – weil sich einige nicht impfen lassen wollten, müssten alle nun erneut mit harten Einschränkungen leben. „Nennen Sie es polemisch oder fatalistisch: Welches politische Versprechen soll zuerst gebrochen werden: Es wird keinen weiteren Lockdown geben oder es wird keine Impfpflicht geben“? fragt Plasberg zu Beginn in die Runde.
Die Notärztin Lisa Federle hat kein Verständnis für Menschen, die sich gegen eine Corona-Impfung entscheiden. Sie findet: „Das Wort Freiheit hat für mich auch etwas mit Verantwortung zu tun. Langsam sollten wir uns wirklich am Riemen reißen und als Gesellschaft Verantwortung übernehmen“.
Auch der niedersächsische Ministerpräsident Weil argumentiert ähnlich. Montgomerys Formulierung sei zwar sehr drastisch, „aber es stimmt schon. Die 20 Prozent der Erwachsenen, die sich nicht impfen lassen wollen, reichen aus, um eine ganze Gesellschaft in Angst und Schrecken zu versetzen“. Er spricht sich deshalb zwar nicht direkt für eine Impfpflicht aus, hält aber strenge 2G-Regeln und Einschränkungen für Ungeimpfte für den richtigen Weg. „Um die Gesundheit der einen zu schützen, werden wir die Möglichkeiten der anderen deutlich einschränken“, so Weil.
Philosophin: Ungeimpfte nicht kriminalisieren
Einzig die Philosophin Flaßpöhler ist anderer Meinung. Sie halte es für fatal, Menschen zu kriminalisieren, die Gebrauch von ihrem Recht machen, über Eingriffe in ihren Körper zu entscheiden. Zudem halte sie es für falsch, Ungeimpfte als homogene Gruppe uninformierter Menschen darzustellen. „Es gibt doch sehr unterschiedliche Motive sich nicht impfen zu lassen“, argumentiert sie und kritisiert, die Medien hätten zu einseitig über Corona berichtet. Konträre Meinungen würden nicht abgebildet werden.
Und sie geht im Laufe der Sendung noch weiter: In Deutschland herrsche eine Politik der Bevormundung, eine „Top-Down-Politik“. Es werde das China-Prinzip gefahren: „There is no alternative“. Sich auf ein absolutes Wissen zu beziehen, das der Politik das Handeln vorgebe, halte sie für wirklich gefährlich. Gegen Ende der 70-minütigen Diskussion warnt sie noch vor der Etablierung einer „Expertokratie“.
Frank Plasberg sieht sich schließlich in der Pflicht, Flaßpöhler gegenüber zu versichern, er wolle mit seiner Sendung sicher keine „Propaganda fürs Impfen“ betreiben. Flaßpöhler wiederum sieht sich von Plasberg in eine Ecke mit dem Querdenker-Milieu gestellt und versichert ihrerseits, vollständig geimpft zu sein. Am Ende der Sendung platzt Flaßpöhlers Mitdiskutierenden schließlich der Kragen. Mascolo und Federle werfen der Philosophin vor, wiederholt die hochkomplexe Krise bewusst zu bagatellisieren.
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Besonders deutlich wurde das an der Stelle, als Flaßpöhler versuchte zu argumentieren, man werfe einem Raucher schließlich auch nicht vor, bewusst das Gesundheitssystem zu belasten, indem er ungesunde Zigaretten rauche. Das, so die Philosophin, werde aber Ungeimpften derzeit vorgeworfen, wenn sie die Corona-Vakzine ablehnten. Die Mediziner in der Runde, Watzl und Federle, schüttelten darüber nur den Kopf. Denn ein Raucher schade zwar seiner eigenen Gesundheit, aber nicht der von seinen Mitmenschen – insbesondere seit in Innenräumen ein Rauchverbot gilt.
Ein Impfskeptiker oder Impfgegner hingegen trage durch seine Ablehnung einer Impfung dazu bei, dass sich das Coronavirus weiter stark ausbreite könne. Dadurch müssten wieder mehr Corona-Patienten auf den Intensivstationen behandelt werden und andere schwerkranke Patienten könnten nicht mehr angemessen versorgt werden.
Die Impfpflicht als Ultima Ratio
Stephan Weil glaubt, dass man Impfskeptiker durch solche logischen Argumente nicht mehr erreichen könne: „Wir sind in einer Situation, in der wir erkennen müssen, dass alle Versuche sachlich zu überzeugen, an ihre Grenzen gelangt sind.“ Er betont, „das Risiko ist zu groß, als dass man es laufen lassen kann“. Er spricht sich daher dafür aus, den Druck auf Ungeimpfte zu erhöhen, „das läuft in der Tat auf einen Lockdown für Ungeimpfte hinaus.“
Eine Impfpflicht, die Ultima Ratio, findet Mascolo, dürfe erst zum Einsatz kommen, wenn der Staat alles andere getan habe, um die Menschen von einer Impfung zu überzeugen. „Es ist eine der schrecklichsten Ideen, eine Impfpflicht zu verhängen“, so der Journalist. In Pandemiezeiten aber sei es eine der schlechtesten Ideen, eine solche Pflicht von vornherein auszuschließen. „In einer Pandemie muss man am Anfang das Ende bedenken“.
Überhaupt sei der „zick-zack-Kurs der Politik“ ein großes Problem gewesen, der bei vielen Menschen zu großer Verunsicherung geführt habe, sagt die Ärztin Federle. In der Runde ist man sich mit Ausnahme von Flaßpöhler einig, dass auch das zur aktuellen Lage beigetragen habe. „Die politischen und die gesellschaftlichen Diskussionen halten mit der Komplexität dieser Krise nicht mit“, resümiert Mascolo.
Ein Fazit, das nur in Teilen für diese „Hart aber Fair“-Ausgabe zutrifft. Größtenteils ist es der Runde gelungen, das komplexe Thema von verschiedenen Seiten zu beleuchten und schlicht falsche Argumente zu korrigieren. Nur, ob die Politik nun doch noch „einknickt“, wie Plasberg es formulierte, und ein weiterer genereller Lockdown oder eine Impfpflicht kommen werden, kann am Montagabend auch im Studio noch niemand beantworten.