Köln – Der antisemitische Anschlag in Halle, bei dem der 27-jährige Stephan B. eine Synagoge angegriffen und zwei Menschen erschossen hat, wirkt nach. Die Tat schockte ganz Deutschland, doch Attacken aller Art sind keine Seltenheit. Deshalb fragte Frank Plasberg in seiner Sendung „Hart aber fair“ in der ARD am Montagabend: „Wieder da oder nie wirklich weg: Wie stark ist der Judenhass in Deutschland?“
89 Prozent der Juden in Deutschland finden, der Hass gegen sie habe in den vergangenen Jahren zugenommen. 44 Prozent hätten sogar schon einmal darüber nachgedacht, auszuwandern. Diese Zahlen präsentiert Plasberg in einem Einspieler. Mittlerweile gehe der Blick wieder öfter in Richtung der gepackten Koffer.
„Hart aber fair“: Die Gäste des Abends
„Der Staat ist auf dem rechten Auge nicht blind!“ Das sagt Boris Pistorius. Der SPD-Politiker ist seit Februar 2013 Innenminister Niedersachsens. Pistorius fordert nach dem Attentat in Halle noch vehementer ein Frühwarnsystem vor rechtem Terror, der sich im Internet ankündigt. Eine „partielle Sehschwäche“ auf dem rechte Auge gibt er später in der Sendung dann aber doch noch zu.
Seit 2008 sitzt Janine Wissler, Politikerin der Linken, im hessischen Landtag, ist dort Fraktionsvorsitzende ihrer Partei. Seit 2014 ist sie auch stellvertretende Parteivorsitzende der Linken auf Bundesebene. Weil bei Terror von rechts oft von Einzeltätern die Rede sei, werde die Gefahr des Rechtsterrorismus „von den Behörden verharmlost. Und damit muss Schluss sein.“
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Georg Mascolo ist Journalist, Leiter des Investigativ-Rechercheteams von NDR, WDR sowie Süddeutscher Zeitung und Terrorexperte der ARD. Er ist der Meinung, dass der Staat mehr tun könne – und auch müsse. „Die Erwartung aller ist nun, dass der Staat etwas tut, damit es nicht so weiter geht.“
Der jüdische Gastronom Uwe Dziuballa führt seit 2000 das koschere Restaurant „Schalom“ in Chemnitz. Über die Tat von Halle ist er „nicht verwundert. Ich befürchte schon lange, wie auch andere, dass einer auf uns schießt.“ Der Hass gegen Juden habe sich seiner Meinung nach nicht verändert. „Nur die Aufmerksamkeit.“
Die Eltern von Michel Friedman überlebten den Holocaust nur, weil sie auf Schindlers Liste standen. Der deutsch-französischer Jurist, Moderator und ehemals stellvertretender Vorsitzender des Zentralrats der Juden ist der Meinung, dass nicht nur der Rechtsstaat handeln muss, „sondern wir alle. Denn dieser Anschlag galt unserem Rechtsstaat, uns allen.“
Und der Chef der Runde?
Viel zu moderieren hat der Moderator Frank Plasberg nicht. Schließlich ist das Thema Judenhass keines mit vielen verschiedenen Positionen. Uwe Dziuballa und Michel Friedman erzählen gerade zu Beginn von Erfahrungen, die sie im Alltag mit Hass gemacht haben. Hier muss Plasberg erst nachhaken, bis mit Boris Pistorius dann auch ein Gast nicht-jüdischen Glaubens von seinen Erfahrungen berichtet.
Nur als zum dritten Mal das Thema AfD angesprochen wird, interveniert Plasberg kurz, verweist darauf, dass später noch über die Partei gesprochen werden wird. Außerdem „sitzen die hier nicht mit am Tisch.“
Der Konsens der Gesprächsrunde
Der Konsens ist groß. Wie bei dem Thema auch im Vorfeld schon zu erwarten, ist die Runde keine Diskussionsrunde, sondern eher auf Problem- und Lösungssuche. Fast eine Art Krisenrat. Alle sind sich einig, dass das Attentat von Halle ein Angriff „auf die Demokratie, auf die Gesellschaft, auf alle“ war. Und dass die Verrohung der Sprache, die verschobene Grenze des Sagbaren, wozu AfD-Politiker ihren Beitrag geleistet haben, eine Mitschuld trägt. Friedman emotional: „Jeder, der Mitglied in der AfD ist, muss sich dem zurechnen lassen, was Höcke und andere sagen.“
Auch das Entstehen von radikalen Netzwerken im Internet (Mascolo: „Von Einzeltätern würde ich heutzutage nicht mehr sprechen“) und das Tragen der Kippa werden thematisiert. Die Aussage, dass das nicht mehr ohne Gefahr möglich ist, findet Friedman nicht gut. „Aber es stimmt.“ Und Mascolo sagt mit etwas zitternder Stimme das, was wohl viele denken: „Beschämend“. Er wird dieses Wort später noch einmal sagen.
Kontroverse
Die gibt es eigentlich erst, als Kommentare von Zuschauern eingeblendet werden. Plasberg versucht, seine Gäste gegen Kommentare mit den Worten „eintrichtern“ und „gut ist's“ argumentieren zu lassen, doch das würgt Friedman sofort ab. „Brandstifter können keine Feuerwehrleute sein“, antwortet er kurz, aber deutlich auf einen Kommentar, der argumentiert, die AfD habe mit dem Thema nichts zu tun.
Uneinig sind sich auch Wissler und Pistorius, und zwar beim Thema Geheimdienst. Die Linken-Politikerin fordert die Abschaffung von V-Leuten, Geheimdienste seien nicht zu kontrollieren. Pistorius schüttelt entschieden den Kopf, Plasberg übersieht oder übergeht das aber.
Das Ergebnis des Abends
Die Runde erkennt, dass das Problem mit der Sprache nicht die strafrechtlich relevanten Äußerungen sind. Sondern, wie Friedman es sagt, „die geistige Brandstiftung.“ Generell wird wenig diskutiert, viel berichtet und erzählt, vergleichsweise wenig gefordert. Auf wirklich konkrete Lösungen können sich die Gäste aber nicht einigen, dafür ist die Zeit wahrscheinlich auch zu knapp.
Am Ende bleibt aber auch die Erkenntnis hängen, dass es noch genug Menschen gibt, die sich dem Hass in den Weg stellen. Das merkt man auf der einen Seite daran, dass zumindest die gezeigten, kontroversen Kommentare aus der Welt der Sozialen Medien deutliche Gegenwehr erhielten. Und zum anderen an den Erfahrungen. So sagt Dziuballa, 25 positive Beispiele stünden einem negativen gegenüber.“ Auch Friedman betont, dass es immer noch viele gebe, die etwas gegen Antisemitismus und Hass tun. Aber es gebe laut Dziuballa eben auch die Angst. „Dass das mal kippt.“