„Hart aber fair“Kölner Ex-OB Schramma kann milde Raser-Urteile „nicht verstehen“
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„Bewährung für Täter, lebenslang für Opfer. Urteilen unsere Richter zu lasch?“ fragte Frank Plasberg.
Unter den Gästen war der Kölner Ex-OB Fritz Schramma, der seinen Sohn durch Raser verlor.
Was passiert, wenn Strafe nicht abschreckt, wenn der Rechtsstaat an Respekt verliert, fragte Frank Plasberg am Montagabend bei „Hart aber fair“.
Die Gäste und die Fälle aus Köln
Fritz Schramma, früher Oberbürgermeister von Köln, dessen Sohn vor 15 Jahren bei einem Raserunfall getötet wurdeIngo Lenßen, Strafrechtler mit SAT1-TV-ErfahrungGabriele Karl, Opfer gegen Gewalt, ihre Tochter wurde von einem vorbestraften Sextäter umgebrachtJens Gnisa, Vorsitzer des Richterbundes, Richter in BielefeldJoachim Lenders, Deutsche Polizeigewerkschaft, Hamburg
Zwei Kölner Fälle standen im Zentrum der Sendung: Der Raserunfall, bei dem die 19-jährige Miriam ums Leben kam, und der tragische Unfalltod von Stefan Schramma, dem damals 31jährigen Sohn des Kölner Oberbürgermeisters. In beiden Fällen endeten die Prozesse mit Bewährungsstrafen für die jungen Männer mit den getunten Wagen. „Miriam“ sagte die Mutter der jungen Frau im einem Interview, „Miriam ist nicht nur auf Bewährung tot“.
Urteile, die nicht nur in Köln für emotional aufgeheizte, empörte Diskussionen über die Lebensferne der Richter, die Schwäche der Justiz auslösten. Frank Plasberg versuchte, Ordnung in den Diskurs zu bringen - mit einigem Erfolg.
Was sagt Fritz Schramma, dessen Sohn Opfer eines Raserunfalls wurde?
Der Ex-Oberbürgermeister gab bewegend Auskunft darüber, wie sehr ein solches Unglück nachwirkt - und auch das Bewährungsurteil für die beiden jungen Raser, das er und seine Familie „bis heute nicht verstehen“. Er sagte aber auch den großen Satz: „Es liegt mir, es liegt uns fern, an Rache zu denken.“ Und er verteilte Mitgliedsanträge für den von ihm gegründeten Verein zur Opferhilfe.
Ein Auszug aus den berührenden Worten des prominenten Kölners: „Die Zeit heilt nicht alle Wunden. Wir können das alles immer noch nicht verstehen. Meine Frau hat 52 Tage im Prozess gesessen, hat die Täter lachen und feixen gesehen - oder lethargisch. Es ging mir nicht darum, dass die jungen Männer in den Knast wandern. Es ging mir, es ging uns um Reue. Wir, unsere Familie, die Familie der Verlobten meines Sohnes, wir sind damit immer noch nicht fertig.
Man darf sich im Gerichtsverfahren nicht so stark auf die Täter konzentrieren, man darf die Opfer nicht vergessen. Die Opfer, die Hinterbliebene erfahren noch nicht mal, was aus dem Täter geworden ist. Hat er die Bewährungszeit genutzt, hat er etwas verstanden? Wir haben beobachtet, dass nach der Kölner Silvesternacht die Richter auf öffentlichen Druck reagiert haben. Urteile können eine abschreckende Wirkung haben.“
„Es wird nicht milde geurteilt“
Richter Jens Gnisa: Wir müssen in der Rechtsprechung reagieren, wenn in der Gesellschaft etwas aus dem Ruder läuft. Es wird nicht milde geurteilt, die Gefängnisse in NRW sind voll wie nie. Es ist zudem ein Irrtum zu glauben, eine Bewährungsstrafe sei etwas Flaues. Da steht jemand mehrere Jahre unter der Beobachtung eines Bewährungshelfers. Das Verhalten der Angeklagten auch direkt nach dem Unfall muss in Urteil einfließen: Ein junger Mann, der sich mehr um die Felgen des Autos sorgt als um das Opfer, der liefert ein klares Indiz dafür, dass er keine Reue zeigt.
Wie argumentiert der Vertreter der Deutschen Polizeigewerkschaft, Joachim Lenders?
Urteile wie die in den beiden Kölner Fällen seien nicht im Namen des Volkes gesprochen worden, das ist erschreckend für die Hinterbliebenen, so Lenders. „Die Leute verlieren den Glauben in die Justiz. Das haben Raser den Tod anderer billigend in Kauf genommen, die lachen uns nach einer Bewährungsstrafe aus. In Hamburg ist nach vielen Einbrüchen eine Sonderkommission eingerichtet worden, danach hat sich die Aufklärungsquote enorm erhöht. Und was ist passiert? Es sind gerade mal zwei Haftstrafen ausgesprochen worden. Unsere Rechtsprechung mit ihren Urteilen wirkt auf kriminelle Serientäter aus dem früheren Ostblock lächerlich. Und für die Ermittler sind solche Urteile eine Watsch’n.“
Das bestätigte auch ein Kommissar aus Münster in einem Einspielfilm: Nachdem man in Münster konzentriert ermittelt und verurteilt hatte, sprach sich das herum - die Banden zogen ab.
Welche Lösungen sieht der Strafverteidiger Ingo Lenßen?
Das Strafmaß sollte der Tat gerecht werden, so der TV-Anwalt. „Aber welche Strafmaß kann bei dem Tod eines Angehörigen Genugtuung verschaffen? Fünf Jahre, zehn Jahre? Im Knast ist noch niemand zum besseren Menschen geworden. Richter, aber auch Verteidiger müssen auf die Täter - auch schon im Vorfeld - einwirken, ihnen klarmachen, dass Reue haben und zeigen wichtig ist. Wir brauchen eine Justiz, die sich auch im Vorfeld engagiert. Und wir brauchen andere Anklagen: Bei einem Autorennen kann man bedingten Tötungsvorsatz unterstellen und einen Totschlag anklagen - und damit ein ganz anderes Strafmaß ansetzen.“
Was fordert Gabriele Karl, Opfer gegen Gewalt?
„Dem stimme ich unbedingt zu, es beginnt schon bei der Anklageschrift Wir müssen als Staat vermitteln, was ein Menschenleben wert ist. Die Gerichte gehen mit den Tätern zu gnädig um. Ich habe viele hundert Fälle begleitet, ich habe kaum erlebt, dass die Täter Reue gezeigt haben.“
Zum Schluss wagte Frank Plasberg einen Blick über die Grenze: In der Schweiz werden seit 2013 Raser hart bestraft, extreme Tempoüberschreitung gelten dort nicht mehr als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftaten. Sie können mit Haftstrafen belegt werden. In einem mit den Kölner Raserunfällen vergleichbaren Prozess wurden Haftstrafen von sieben Jahren ausgesprochen.