Die Ehrenfelder Produktionsfirma bildundtonfabrik (btf) produziert unter anderem die Show von Carolin Kebekus und auch die Netflix-Erfolgsserie „How to sell drugs online (fast)“.
Nur mit Jan Böhmermann, dessen Shows sie produzierten, kam es laut übereinstimmenden Medienberichten unlängst zum Bruch.
Im Interview erklären die beiden btf-Chefs Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann, wie sie unter Corona-Bedingungen arbeiten und drehen und was die Arbeit mit Netflix so besonders macht.
Außerdem erklären sie, wie sie die zweite Staffel ihrer Drogendealer-Serie weiterentwickelt haben, die ab dem 21. Juli zu sehen ist.
Herr Käßbohrer, Herr Murmann, bevor wir über Ihre neue Serie sprechen, eine andere Frage vorab: Wie sind Sie mit Ihrer Firma btf bisher durch die Corona-Krise gekommen?
Matthias Murmann: Wir haben ein Faible für existenzbedrohende Krisen, deshalb waren wir ganz entspannt. Nein, natürlich war das auch für uns erst mal krass. Alle MitarbeiterInnen waren im Homeoffice, viele zunächst in Kurzarbeit. Das zu organisieren und gleichzeitig die staatlichen Hilfen zu beantragen war eine Mammutaufgabe für das Leitungs-Team. Wir beide saßen täglich mit großen Abstand im leeren Büro und haben Troublemanagement gemacht. Wir haben versucht, Projekte geschickt zu verschieben oder wie bei der „Carolin Kebekus Show“ das Konzept an die neuen Bedingungen anzupassen. Zusätzlich ist die Idee zur ZDFneo Serie „Drinnen“ geboren, als sehr kurzfristige Lockdown-Produktion. Die Anzahl der Entscheidungen, die es zu treffen gibt, ist noch höher als sonst.
Philipp Käßbohrer: Wir haben zum Glück sehr viele Nerds in der Firma, die die aufkommenden Zahlen schon früh richtig interpretiert haben. So war schnell klar, dass es nichts nutzt, an Altem festzuhalten, dass wir ab sofort neue Wege gehen müssen. Unser Team war ohnehin schon an dezentrales, cloudbasiertes Arbeiten gewohnt. Daher war es ein überraschend einfacher Transfer, die Firma ins Homeoffice zu schicken. Wir sind sehr dankbar, so ein loyales, junges, flexibles Team zu haben, das schnell umdenken kann.
Bei Netflix startet jetzt die zweite Staffel von „how to sell drugs online (fast)“. Nach einem erfolgreichen Auftakt eine Serie fortzuführen ist eine große Herausforderung. Wie geht man das an?
Käßbohrer: Wir haben dem Publikum in der ersten Staffel eine Welt eröffnet, die originell ist, die es in dieser Form vielleicht noch nie gesehen hat. Über sechs Folgen konnte das Publikum mit den Figuren warm werden und eine gewisse Empathie aufbauen. Aus der eigenen Erfahrung weiß man, dass man dann eine hohe Erwartungshaltung hat. Also haben wir darauf geachtet, was man selbst erwartet, wenn man zweite Staffeln schaut und wie wir diesen Erwartungen gerecht werden können.
Welche Folgen hat das?
Käßbohrer: Man kann tiefer in die einzelnen Figuren gehen und Dinge zeigen, die für die ZuschauerInnen bisher verborgen waren. Solche neue Facetten zu zeigen, war uns sehr wichtig, nicht nur bei unserer Hauptfigur Moritz. Auch die Nebenfiguren haben deutlich mehr Tiefe bekommen und das Publikum hat so die Möglichkeit, sich hier und da nochmal neu zu verlieben.
Murmann: Die erste Staffel handelt davon, dass eine junge Figur eine Schwelle überschreitet in eine andere, unbekannte Welt. Das war eine sehr starke Prämisse. In Staffel zwei müssen die Hürden für alle Figuren noch höher werden, sodass die nötige Sprengkraft in diese Jugendlichen-Konstellation kommt. Wir wollen überraschen. Die Figuren und unser Publikum.
Ein Freund, der Mitte 40 ist, sagte mir kürzlich, er habe die Serie nach einigen Folgen nicht weitergeschaut, weil ihm das alles zu schnell und zu bunt gewesen sei. Nehmen Sie das in Kauf, weil er einfach nicht mehr zur Zielgruppe gehört?
Käßbohrer: Grundsätzlich wollen wir auch Ältere erreichen. Natürlich braucht man eine gewisse Lust, das Tempo mitzugehen. Es ist ja schon ein bisschen ist wie ein Drogenrausch. Darüber hinaus ist die Serie schon so gelayert, dass sie auch für eine Zielgruppe funktioniert, die nicht jedes Detail wahrnimmt. Für Eltern kann sie zum Beispiel wie ein Vergrößerungsglas wirken, um zu verstehen, wie es sich anfühlt, heutzutage erwachsen zu werden. Was haben heutige Jugendliche vor der Brust, womit wir damals nicht konfrontiert waren?
Und was ist das?
Käßbohrer: Diese zweite Welt, in der sie noch mal entscheiden müssen, wer sie sind: Kann ich im Internet so sein wie in der echten Welt? Erfinde ich eine neue Version meiner selbst? Hab ich da andere Freundschaften als im echten Leben? Das ist auch in der Draufsicht interessant und nicht nur in der Binnensicht.
Moritz hätte die Chance mit dem Online-Drogenhandel aufzuhören, doch er macht weiter. Mich erinnerte das ein bisschen an Walter White aus „Breaking Bad“, der irgendwann auch nicht mehr aufhören kann. Warum steigt Moritz nicht aus?
Käßbohrer: Walter White hat ja einen tiefen Komplex in seiner Psychologie. Er macht weiter, weil er sein Ego befriedigen möchte und Macht haben will. Das ist ein bekanntes Motiv, das Menschen zum Weitermachen in schlechten Sachen motiviert. Da muss man ja nur mal auf die AfD gucken. Einige von denen haben vorher an anderer Stelle vergeblich versucht, sich Gehör zu verschaffen. Dann haben sie gemerkt, dass es in der AfD einfacher ist, an Macht zu kommen, als in anderen Parteien. Und da der Applaus von rechtsaußen kommt, passt man eben seine Positionen etwas an.
Und wie ist das bei Moritz?
Käßbohrer: Bei Moritz ist es etwas anders gelagert. Es geht ihm natürlich auch um Anerkennung, darum, jemand zu sein. Aber er hat auch die Chance auf ein funktionierendes Doppelleben. Wir haben uns beim Schreiben viel bei Spiderman abgeguckt. Ebenfalls ein jugendlicher Charakter, ein Außenseiter, der ein Geheimnis hat. Heimlich ist er eine Figur, die sehr beliebt ist, von der aber nie jemand erfahren darf, dass er das ist. Das wäre viel zu gefährlich. Diese Faszination kann man sich schon vorstellen. Man hat diesen beliebten Avatar von sich selbst im Internet aufgebaut. Und obwohl es irgendwie gefährlich ist, kann man ihn nicht einfach löschen. Er muss immer weiter gefüttert werden. Wie ein Tamagotchi.
Murmann: Gleichzeitig ist Moritz auch eine filmische Figur, die uns natürlich auch überrascht, weil sie Entscheidungen trifft, die wir so nicht treffen würden. Sein Ego ist so groß, dass es für ihn das Richtige ist, seine Freunde zu betrügen, um weiterzumachen. Auch wenn man beim Zusehen natürlich sagt: Tu es nicht!
Wie gestaltete sich die Zusammenarbeit mit Netflix bei dieser zweiten Staffel?
Käßbohrer: Wenn ich eins bei der Produktion der ersten Staffel gelernt habe, dann ist das Englisch. Anfangs war das ein ganz schönes Gestammel in Abitur-Grundkurs-Englisch über Charakter-Motivationen und Staffelbögen. Das hat sich zum Glück schnell normalisiert. Die Arbeit in Videocalls, der Austausch im Team mit den KollegInnen bei Netflix – da ist über die Zeit ein großes Vertrauen entstanden. Es ist eine extrem coole Beziehung, die viel Spaß macht und trotzdem nach wie vor von konstruktivem Diskurs geprägt ist.
Murmann: Unsere Zusammenarbeit ist sehr qualitativ und inhaltlich getrieben. Rückblickend war die erste Staffel eine krasse Umstellung für unsere Firma. Wir bekamen grünes Licht und plötzlich hatten wir 25 Kontaktpersonen, die alle eine Kontaktperson bei uns brauchten. Das ist einfach eine richtig große, komplexe Produktion.
Käßbohrer: Wir haben unsere Geschäftskontakte immer danach ausgesucht, dass sie den Markt nicht als Profitcenter begreifen, sondern dass ihnen die Qualität von Inhalten am Herzen liegt. Da ist man beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen an der richtigen Adresse, weil es im weitesten Sinne eine Verpflichtung gibt, hochwertigen Inhalt zu machen. Wir sind froh, dass wir mit Netflix unter den Streamern diejenigen gefunden haben, bei denen das ähnlich ist. Klar geht es da auch um AbonnentInnen-Zahlen, aber am Ende des Tages hängen diese Zahlen unmittelbar mit der Qualität der Inhalte zusammen. Schließlich verkauft Netflix nicht auch noch Bücher, Vergnügungspark-Tickets oder Smartphones.
Wie sehr unterscheidet sich die Arbeit mit Netflix von der mit deutschen Sendern?
Murmann: Es ist allein schon sehr unterschiedlich, wie man in den USA überhaupt fiktionales Fernsehen macht. In Deutschland ist bisher noch fast alles Regie fokussiert. Wir hatten durch unsere Erfahrung im Show-Bereich eine gute Grundvoraussetzung, um uns schnell an das in den USA vorherrschende Writer-Producer-System anzupassen. Trotzdem mussten wir mit unserem gesamten Team einmal durchs rabbit hole. In der zweiten Staffel war dann alles für alle schon viel klarer.
Könnte das deutsche Fernsehen etwas von dieser Art der Zusammenarbeit lernen?
Murmann: Wir hoffen sehr, dass die deutsche TV-Landschaft Lust auf diese Veränderung hat. Die alten, gelernten Sachen einfach mal weglassen und offen sein für neue Abläufe und Strukturen. Das hat allerdings auch viel mit Mitteln und Ressourcen zu tun, die bei einer deutschen Serie anders sind als bei einer globalen.
Zu den Personen und zur Serie
Philipp Käßbohrer und Matthias Murmann, die beide an der Kölner Kunsthochschule für Medien studierten, gründeten 2008 in Ehrenfeld ihre Produktionsfirma bildundtonfabrik (btf), die mittlerweile rund 100 Mitarbeiter hat. Einem größeren Publikum wurden sie 2012 durch die Talkshow „Roche & Böhmermann“ bekannt.
Mit Jan Böhmermann produzierten sie von 2013 bis 2019 dessen Show „Neo Magazine Royale“. Laut übereinstimmender Medienberichte kam es kürzlich zur Trennung von btf und Böhmermann. Beiden Seiten wollen das nicht kommentieren. Von 2014 bis 2019 wurde sechsmal in Folge mindestens eine btf-Produktion mit dem Grimme-Preis in der Kategorie Unterhaltung ausgezeichnet.
Die erste Staffel ihrer Netflix-Serie „How to Sell Drugs Online (Fast)“ über einen Schüler, der im Internet einen florierenden Drogenhandel startet, gewann ebenfalls einen Grimme-Preis. Die zweite Staffel ist ab 21. Juli bei Netflix zu sehen.
Aber ich hoffe trotzdem, dass ein Umdenken stattfindet, das am Ende zu mehr Qualität in den Produktionen führt. Die deutschen Sender müssen daran arbeiten, auch in Zukunft ein attraktives Umfeld für High-End-Serien zu sein. Serien, die nicht nur Nico-Hofmann-mäßig groß, groß, groß, sondern mit einem Qualitätsanspruch für eine spezifische Zielgruppe gemacht werden.
Käßbohrer: Bei „Drinnen“ hat sich das ZDF beispielsweise sehr dynamisch gezeigt und nicht erst gefragt, wie viele „Tatorte“ unser Headwriter Max Bierhals denn bereits geschrieben hat. Alle waren bereit, ungewohnte Wege zu gehen. Es hat halt dafür nur eine Pandemie, also eine Art Weltuntergang gebraucht. Aber immerhin.
Wollen Sie künftig auch fürs deutsche Fernsehen Serienformate entwickeln?
Käßbohrer: Kommt darauf an, wie sich das deutsche Fernsehen in Zukunft definiert. Auf lineare Sendeplätze im Fernsehen hinzuarbeiten, reizt uns tatsächlich nicht so sehr. Im Linearen muss man einen Content für alle machen. Beim Streaming kann man für jeden einen Content machen. Das ist der große Unterschied. Wir finden es reizvoll, uns unsere Zielgruppen aussuchen zu können. Das ist viel spezifischer und somit unmittelbarer an ein Publikum geknüpft.
Murmann: Deutschland hat das Problem, dass der Medienmarkt für deutschsprachige Inhalte gerade so groß genug ist. Länder wie Dänemark mussten immer schon über den Tellerrand schauen. Das führt dazu, dass man dort Serien hat, die international viel mehr Beachtung finden. Diese Veränderung ist in Deutschland inzwischen eingeläutet. Und das ist auch gut so.