Igor Levit in der Kölner PhilharmonieSo klingt die neue Corona-Normalität
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Nach der Corona-Zwangspause gaben die WDR-Sinfoniker in kleiner Besetzung erstmals wieder ein Konzert in der Kölner Philharmonie.
Das Programm war anspruchsvoll und mit dem Pianisten Igor Levis ein Publikumsliebling zu Gast.
Trotzdem ließ der Abend unsere Kritikerin zuweilen frösteln.
Köln – Die viel beschworene „neue Normalität“ ist eine Frage der Gewohnheit und der Interpretation. Am Freitag gleicht sie in der Kölner Innenstadt schon sehr der alten: Die Straßen sind voll, die Terrassen gut besetzt, Masken hängen lässig unterm Kinn, Gruppen scheren sich kaum um die Abstandsregeln. Auf dem Weg zur Philharmonie aber wird man sofort gewahr, dass hier eine Übung in Disziplin bevorstehen wird. Eine der Abstand haltenden Einlass-Schlangen windet sich bereits bis in den Tunnel hinein, viele tragen auch auf der Straße Masken.
Lange Schlangen, leere Reihen
Der Einlass ist aufwendig, das per Los zugeteilte Ticket muss vorab ausgedruckt werden, zudem ein Blatt mit den persönlichen Kontaktdaten und der Versicherung der Corona-Symptomfreiheit. Am Eingang versprüht ein Mitarbeiter großzügig Desinfektionsmittel, drinnen weist das Personal auf die Saaltüren hin, die zu benutzen sind, im Haus gilt strenge Maskenpflicht bis zum Erreichen des einsamen Sitzplatzes. Nur etwas mehr als 400 Menschen dürfen derzeit das steile Rund des 2000 Plätze bietenden Saals füllen, nebeneinandersitzen dürfen nur Menschen aus einem Haushalt. Um die Einzelplätze herum gähnen drei bis vier freie Sitze und eine leere Reihe davor und dahinter. Die Klimaanlage arbeitet gegen die gefürchteten Aerosole auf vollen Touren, die Kälte legt sich leider auch aufs Gemüt.
Wie viele Ensembles tritt auch das WDR Sinfonieorchester in diesen Zeiten zwei Mal hintereinander auf. Aber statt zwei Mal das gleiche Programm zu spielen, bietet das Orchester unter der Leitung seines Chefdirigenten Cristian Măcelaru zwei denkbar unterschiedliche Programme, die teils Raritäten, teils sattsam Bekanntes bieten. In kleiner Besetzung natürlich und mit gebührendem Abstand auf der Bühne, sowie Plexiglas-Schilden und einer Trennwand zwischen den Hörnern.
Um 18 Uhr dirigiert Măcelaru „Trittico Botticelliano“ für kleines Orchester von Ottorino Respighi, ein selten zu hörendes, dreisätziges Paradebeispiel farbenreicher Programmmusik. Die Chronistin sitzt hoch oben in Block M, dort kommt der Klang überraschend klar und kompakt an, Măcelarus Zeichensprache ist noch emphatischer als sonst, als versuche er, mit dieser Energie die Abstände zu füllen. Dann folgt Richard Wagners „Siegfried-Idyll“, die Stimmung steigt, aber nun zeigt sich auch die Unbarmherzigkeit der Abstände auf der Bühne, die jeden kleinen Wackler bloßstellen. Es folgen George Enescus „Prélude à l’unisson“ aus der Orchestersuite Nr. 1, ein mit kargen Streicher-Unisoni operierendes, kühnes Werk, sowie Jacques Iberts „Divertissement“ für Kammerorchester, ein schmissig freches Stück in sechs Sätzen, zupackend und mit sichtbarer Musizierfreude gespielt. Dennoch verlässt man – wiederum unter strengen Spielregeln – mit gemischten Gefühlen den Saal.
Um 21 Uhr gibt es dann ein Wiedersehen mit einem Kölner Publikumsliebling: Der Pianist Igor Levit kassiert schon beim Auftritt demonstrativen Applaus. Der Beethoven-Spezialist spielt nun aber Mozart, dessen frühes, ohnehin kammermusikalisch konzipiertes A-Dur-Konzert KV 414. Măcelaru geht es mit heiterer Leichtigkeit an und Levit spielt Mozart mit größter Delikatesse, weichem Klang und feinem Anschlag, das Andante spielt er schlicht, wie einen nachdenklichen Gesang. Eine Interpretation, die nichts wissen will vom gestischen Spiel und der Rhetorik der historischen Aufführungspraxis, in sich aber eine zeitlose Gültigkeit besitzt. Großer Applaus und Bravi für Levit und das Orchester, das auf meinem neuen Platz zwei Reihen weiter hinten plötzlich ganz anders klingt, denn die ersten Geigen kommen nur sehr indirekt dort an, dafür dominieren die Bläser in etwas penetranter Weise.
Zuletzt dann Schuberts B-Dur-Sinfonie Nr. 5, ein lichtes, noch sehr der Klassik verpflichtetes Werk, das Măcelaru direkt an Mozart anknüpfen lässt. Wieder große Begeisterung, der Applaus klingt sogar erstaunlich vollständig. Dennoch stellen die leeren Reihen mit ihrer schütteren Besetzung und die Kühle des Raums am Ende eine bange Frage: Was ist ein Konzert ohne das gemeinsame Atmen im nahen beieinander im Orchester und ohne den emotionalen Echoraum eines voll besetzten, unwillkürlich mitatmenden, mitfiebernden Saals? Der Mensch ist ein Säugetier, das nur durch enge Kooperation aufstieg. Kulturtechniken sind eine Feier und sublimierende Erhöhung dieser Kooperation. In der Vereinzelung erlebt, fehlt aber eben dies Entscheidende. Wollen wir hoffen, dass die neue Konzert-Normalität bald Vergangenheit ist.