- Nach hundert Tagen Pause finden wieder Publikumskonzerte in der Kölner Philharmonie statt.
- Doch mögen die Anwesenden später auch noch so enthusiastisch klatschen – die Besetzung ist schütter.
- Hier lesen Sie, warum die in Köln aufgewachsene Sopranistin Anna Sophia Richter dennoch überzeugen konnte.
Köln – Die äußeren Umstände des zaghaften Neubeginns sind in der Tat kläglich: Nach Ausfüllen und Unterschreiben einer corona-bezogenen Zugangsberechtigung kommt das größtenteils maskierte Publikum mit grün markierten Eintrittskarten ins Philharmonie-Foyer, wo gespenstische Leere herrscht.
Die Platznummern besagen nichts, man wird von den Mitarbeitern nach Betreten des Konzertsaals angewiesen. Von unten nach oben füllt sich der Raum, jede zweite Reihe ist mit Klebeband zugesperrt, zwischen den Besuchern oder Besucherpaaren müssen jeweils einige Sitze frei bleiben. Mögen die Anwesenden später auch noch so enthusiastisch klatschen – die Besetzung, man wird es hören, ist schütter.
Ein Anfang nach hundert Tagen Pause
Aber es ist eben ein Anfang – nach hundert Tagen Pause finden, wie Intendant Louwrens Langevoort zu Beginn sagt –, wieder Publikumskonzerte in der Kölner Philharmonie statt. Das sei an sich ein Grund zur Freude: „Kunst und Kultur sind systemrelevant“.
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Auch die Solistin des Abends, die in Köln aufgewachsene und ausgebildete, jetzt allerdings in Wien lebende Sopranistin Anna Lucia Richter, ist, wie sie vor ihrer letzten Zugabe bekundet, „dankbar, nach Monaten ohne Singen gerade hier wieder auftreten zu dürfen“.
Klar, ihr zur Seite steht mit dem Klavierbegleiter Gerold Huber nur ein einziger weiterer Musiker, aber ein dickes Orchester vor schwach besuchtem Saal wäre angesichts der geltenden Abstandsregeln inopportun. Aber ein Liederabend wie diesmal oder ein Kammermusikabend am gestrigen Mittwoch – das geht, da „stimmen“ dann auch in etwa die Proportionen.
Richter macht das fabelhaft
Mit „Nicht Singen“ meinte Richter selbstredend „öffentlich nicht singen“ – so wie sie singt man nicht aus dem Stand; ohne die Stimme kontinuierlich geölt zu haben. Ein Strophenlied wie Schuberts „An den Mond“ (nach Goethe) muss unter Wahrung der lyrischen Einheit des Ganzen differenziert gestaltet werden, mit behutsamen textgezeugt-agogischen Veränderungen. Richter macht das, wie auch schon im Wiegenlied „Schlafe, schlafe, holder, süßer Knabe“, fabelhaft, dabei äußerlich unaufwendig, in einem natürlich wirkenden Tonfall, ganz ohne aufgesetztes Sentiment, ohne jeden Versuch, die Musik irgendwie „aufzumotzen“.
Die Stimme mag, wie etliche Besucher feststellten, tatsächlich über die Jahre beträchtlich gereift sein. Als lyrischer Sopran verfügt Richter nicht nur über eine freie, stets wohllautende Höhe, sondern auch über eine bemerkenswert satte und volle Mezzo-Lage – und über die Fähigkeit, beide über große Intervallsprünge hinweg gefahrlos zu verbinden. Der Stimmcharakter ändert sich dabei nicht, das Timbre behält stets eine starke Individualfärbung.
Extrem unterschiedliche Lieder
Drei Titanen deutsch-romantischer Liedkunst standen auf dem Programm – Schubert , Mahler und Hugo Wolf. Dabei hatte Richter extrem unterschiedliche Lieder ausgesucht – von Mahler etwa neben dem humoristischen „Lob des hohen Verstandes“ das schreckliche „Irdische Leben“, von Wolf die frühen „Abendbilder“ und Mörikes „Begegnung“, von Schubert außer dem „Wiegenlied“ „Gretchen am Spinnrad“.
Richter ist in allen Sätteln gerecht, im „inneren Agitato“ des Gretchen-Liedes genauso wie in dem Schubert-Lied „Abschied“, wo es ihr gelingt, über die kurzen, durch lange Klavierstrecken unterbrochenen Phrasen hinweg eine nie nachlassende Bogenspannung zu halten.
Dennoch: Ihre Force sind nach wie vor die lyrischen Legato-Lieder, die Stimmungsbilder ohne herausgehobenen Handlungsanteil. Hier dürfte ihre Qualität derzeit nur von wenigen erreicht werden. Eine grausige Brutalität wie das „Irdische Leben“ überzeugt, wiewohl großartig gesungen, nicht ganz in demselben Maß. Dafür ist Richters Gesang einfach zu „schön“, da fehlt ihr eine Portion Mut zur Hässlichkeit.
Souveräner Klavierklang
So oder so hat die Sängerin allen Grund, ihrem Pianisten dankbar zu sein. Es war offensichtlich: Dessen souveräne, den Klavierklang immer wieder aufs Neue aktivierende, sowohl dienende als auch so behutsam wie deutlich eigene Impulse setzende Kunstleistung (großartig Wolfs parodistisches „Wie lange schon war immer mein Verlangen“), die mit dem Begriff „Begleitung“ keinesfalls abgebildet wird, legte die unverzichtbare Basis für die gesangliche Spitzenvorstellung des Abends.