Köln – Frau Rinck, das dritte „Poetica“-Festival an der Kölner Universität trägt den Titel „Die Seele und ihre Sprachen“. Das ist ein weites Feld.
Genau zu sagen, wohin es führen wird, ist einfach nicht möglich, wenn man so viele interessante, autarke und starke Dichterinnen und Dichter eingeladen hat. Was ich mir wünsche, ist ein inspiriertes, konzentriertes Gespräch zwischen den Autoren, aber auch mit dem Publikum – wofür wir einige Gesprächsrunden anberaumt haben. Da werde ich mich gerne überraschen lassen.
Aber so ein Titel gibt ja ein Thema vor und ist nicht restlos beliebig.
Auf keinen Fall. Ich habe mir dazu auf einem Zettel alles aufgeschrieben, was man mit der „Seele“ verbinden könnte. Eigentlich sollte es zur Klärung beitragen, aber wenn ich mir das Blatt jetzt so anschaue, bildet es eher die Vielgestaltigkeit ab. Seele ist ein Begriff, der die Säkularisierung – anders als andere religiöse Begriffe – überlebt hat. Man benutzt diesen Begriff weiterhin, der seiner letztgültigen Bestimmung immerzu ausweicht. Mich reizt, dass die Seele wahrscheinlich jedem Menschen zuinnerst eigen ist und trotzdem eine gewisse Fremdheit in sich trägt.
Das ganze Feld mit seinen vielen Metaphern erscheint mir ausreichend groß für so ein Festival. Da man aber die Seele immer nur im Einzelfall bestimmen kann, scheint mir das Gedicht dafür besonders geeignet. Denn wenn das Gedicht glückt, spricht es über das Besondere und Privatsprachliche, das ihm eigen ist, auch andere Menschen an.
Sie haben Religionswissenschaft studiert. Lag Ihnen das Thema auch von daher nahe?
Ja, das ist sicherlich ein Grund. Ich bedauere oft, wie heute die Diskussion um das Unerkennbare, Irrationale geführt wird – nämlich sehr plump. Da ist man im Mittelalter schon viel weiter gewesen.
Was meinen Sie mit „plump“?
Die Leute sprechen oft über Islam, Christentum und andere Religionen, ohne etwas davon zu wissen. Auch ohne zu wissen, mit welcher Konzentration und welchem Zweifel diese Fragen bereits diskutiert worden sind. Paul Tillich hat mal gesagt: Vernunft allein ist nicht in der Lage, eine Wirklichkeit zu schaffen, in der man leben kann.
Die „Poetica“ zielt vor allem auf die Lyrik. Mit der Israelin Zeruya Shalev haben Sie aber auch eine Roman-Autorin eingeladen.
Es geht uns in diesem Falle darum, dem Trauma nachzugehen. Wenn ich jemanden körperlich verletze, dann verletzte ich vermutlich auch seine Seele. Bei Krankheiten ist diese leib-seelische Verknüpfung besonders prägnant. Zeruya Shalevs letzter Roman „Schmerz“ versucht eine Sprache oder Erzählform zu finden für Verletzungen unterschiedlicher Art – die hängen zusammen mit Liebesentzug und mit der Tatsache, Opfer eines Attentats geworden zu sein. Die Seele ist wohl auch der Ort, wo sich Ängste generieren, die gesellschaftliche Wirkung zeigen.
Die „Poetica“ legt viel Wert auf ihre Internationalität. Dazu passt wie ein Motto, was Sie in Ihrer Essaysammlung „Risiko und Idiotie“ geschrieben haben: „Vor allem muss mehr Fremdes hinein, mehr Schönes, das von anderen kommt. Das ist die einzige Rettung.“
Ja, davon bin ich überzeugt. Wie der Atem geht das Denken von Innen nach Außen und von Außen nach Innen. Ich schätze es jedenfalls, wenn Gedanken auch von Außen in Bewegung gesetzt werden. Ich habe sehr große Freude daran, Dinge zu erleben, die ich noch nicht kenne. Ich schrecke auch vor meinen eigenen Texten zurück, wenn ich das Gefühl habe, sie sind Imitation von etwas, was ich schon vorher gemacht habe.
Kann ein Gedicht Antworten auf tagesaktuelle Themen geben?
Wie steht es um die Rezeption der Lyrik. In Ihren Essays ist davon die Rede, dass sie ignoriert werde
Das ist von Innen heraus schwer zu bestimmen. Allerdings nehme ich schon einen gewissen Widerstand gegenüber dem wahr, was auf den ersten Blick unverständlich ist. Ob das zugenommen hat, weiß ich nicht. Nur passiert es mir zuweilen, dass ich angefragt werde, einen Text zu schreiben und dass ich dabei alle Freiheiten habe. Dann mache ich das, schicke es ein – und bekomme die weitere Anfrage, ob ich dazu noch einen erklärenden Text schreiben könnte. Dann mache ich meistens auch dies, aber mit einem gewissen Groll. Ich habe auch gelehrt – und da gab es wunderbare Begegnungen mit Studierenden, bei denen man plötzlich in einen gemeinsamen Denkraum eingetreten ist.
Und manchmal spreche ich in einen hohlen und denkfeindlichen Raum hinein, wo gewisse Verstockungen nicht aufzulösen sind. Es gehört beim Gedicht eben die Bereitschaft dazu, großzügig mit der eigenen Assoziationskraft umzugehen – dann kommt es zur Kooperation zwischen dem Fremden und dem Eigenen. Platon hat ja das Denken als Gespräch der Seele mit sich selbst bezeichnet.
Kann ein Gedicht auch Antworten geben auf die großen tagesaktuellen Fragen – Terror, Glaubenskrieger etc.?
Es ist nicht unmöglich, aber es tritt nicht so häufig auf. Einmal habe ich ein fantastisches Langgedicht eines Kubaners über Mao gelesen – da war alles drin, die eigene Irritation, die Information, das Sprachmaterial. Aber bei der verfahrenen politischen Situation sehnt man sich vielleicht erst einmal nach einer klaren Analyse.
2016 waren Sie auch schon Gast der „Poetica“. Ist so ein Festival auch für Sie als Autorin anregend?
Im vergangenen Jahr konnte ich leider nur an den beiden letzten Tagen dabei sein – als später Gast einer laufenden Party. Aber ich war schon auf Festivals, die enorm anregend waren und mich extrem verunsichert haben. Wo ich nicht weiterschreiben konnte wie vorher. Wo ich mir die Frage stellte, ob es überhaupt ein Gedicht geben kann, das überall funktioniert. So war ich im vergangenen Jahr auf einem Festival in der Ukraine – da ändern sich dann die eigenen Texte auf eine bestürzende Weise, wenn man sie in der Fremde und dann noch in einem Land im latenten Kriegszustand vorträgt. Oder man spürt auf einem Marktplatz in Kolumbien, dass es unmöglich ist, das Gedicht vorzutragen, das in Berlin-Neukölln überhaupt keine Probleme machen würde.
Warum?
Schwer zu sagen. Da ist so ein Gefühl von unangenehmer Egozentrik.
Was ist für Sie ein Gedicht?
Es gibt ja den Spruch: Lyrik ist es, wenn sich ein Autor um den Druck kümmert, Prosa ist es, wenn das der Setzer macht. Das Gedicht verfolgt mit sprachlichen Mitteln und auf eine ästhetische Art, wie sich in mir Wirklichkeiten und Erinnerungen in Bezug auf die Welt herstellen. Das Gedicht kann mir auch zu neuen Erkenntnissen verhelfen. Wichtig ist mir dabei schon eine gewisse Heiterkeit des Denkens.
Ihren Gedichten wird gerne nachgesagt, dass diese den Zweifel pflegen. Fühlen Sie sich da erkannt?
Wenn ich schreibe, dann befinde ich mich in einem ständigen Gespräch mit einem ziemlich widersprüchlichen Gesprächspartner. Der sagt die ganze Zeit: „Aber geht es nicht auch umgekehrt, kann man das nicht auch anders ausdrücken...?“ Da muss ich dann auch mal sagen: „Basta – das ist es für den Moment.“
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