- Kabarettist Jürgen Becker stellt den Lockdown nicht in Frage, findet es aber falsch, dass Geschäfte weiterhin öffnen dürfen, Kultureinrichtungen hingegen nicht.
- Die Hilfen für Kulturschaffende seien gut, aber viele Soloselbständige seien durchs Netz gefallen: „Die haben es wirklich schwer und müssen sehr kämpfen. Ich kenne einige, die sehr verzweifelt sind.“
- Welche Hilfen sich der Kölner jetzt von der Stadt wünscht, um auch kleinere Theater zu retten, lesen Sie im Interview.
Köln – Herr Becker, in dieser Phase des Teil-Lockdowns wird viel über den Stellenwert von Kultur gestritten. Ist Kultur für Sie systemrelevant?
Nicht täglich. Im Moment ist es ja so, dass durch den Lockdown die Hedonisten, die Freude und Kultur haben wollen, ausgespielt werden gegen die Konsumenten, die eine neue Hose kaufen wollen. Ich würde behaupten, systemrelevant ist beides nicht. Man braucht jetzt keine neue Hose. Wer auf die Schildergasse geht und sich etwas zum Anziehen kauft, tut das auch in seiner Freizeit. Man kann auf beides eine Weile verzichten. Ich mache das auch gerne mit. Ich will den Lockdown nicht in Frage stellen. Es ist wichtig, die Zahlen wieder runterzukriegen. Aber natürlich empfinden die Leute, die sich am meisten Mühe gegeben haben und nun wieder zumachen müssen, ihn als ungerecht.
Was schlagen Sie vor?
Sollte der nächste Lockdown nötig sein, würde ich mir wünschen, dass man alles zumacht, auch die Geschäfte, die Schulen, die Kindergärten. Dann aber nur zwei Wochen. Das fände ich gerechter. Und von der Wirkung her müsste es doch ähnlich sein. Dann hätte man dieses gegeneinander Aufwiegeln nicht. Man spielt im Moment Peek & Cloppenburg gegen das Senftöpfchen aus. Das ist Quatsch. Verzicht ist möglich, aber man braucht eine Perspektive. Und ein radikaler, aber kürzerer Lockdown ist besser auszuhalten.
Wie wichtig ist das Kultur-Erlebnis in solchen Zeiten?
Ich habe gemerkt, dass die Menschen sehr gerne ins Theater gehen. Ich bin auch selbst in Veranstaltungen gewesen. Es war zu spüren, wie glücklich die Zuschauer waren, wie gut ihnen das getan hat. Das tut dann auch der Gesellschaft gut. Gleiches gilt für die Museen, die sollten auch geöffnet haben. Fußball ist auch wichtig, das ist Volkskultur, aber es gehen mehr Menschen in Museen als in Fußballstadien. Kultur ist ein permanenter Prozess, der immer stattfindet. Museen und Theater wirken auch dann weiter, wenn man gar nicht da ist, weil man weiß, es gibt sie. Das ist wie bei Gläubigen, die müssen nicht permanent in die Kirche rennen, aber sie wissen, sie ist da und wenn sie sie brauchen, gehen sie hin.
Gibt es genug Hilfsangebote für die Kulturbranche?
Mit dem jetzt angekündigten Ausgleich von 75 Prozent der Einnahmen des Novembers des Vorjahres ist das für viele Theatermacher, mit denen ich gesprochen habe, eine hoffnungsfrohe Botschaft. Aber einfacher wäre es natürlich, wenn sie das Geld selbst verdienen könnten.
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Aber viele fühlen sich dennoch ungehört. Als es darum ging, die Lufthansa zu retten, wurde ja sehr schnell eine Entscheidung getroffen. Bei der Kultur dauerte das.
Dabei müsste man das Fliegen eigentlich komplett unterlassen, so lange es keine C02-neutralen Flugzeuge gibt. Ich fliege zum Beispiel gar nicht mehr. Deswegen finde ich es falsch, dass die Bundesregierung der Lufthansa Milliarden hinterhergeschoben hat. Man muss die Bediensteten retten, aber ich habe neulich einem Straßenmusiker 50 Euro gegeben, damit er nicht spielt. Das war eine Wohltat für alle Passanten, ein Riesenaufatmen in der Fußgängerzone. Das ginge doch auch bei der Lufthansa. Sie kriegt Geld, fliegt aber nicht mehr.
Und immerhin erwirtschaftet die Eventbranche in Deutschland auch knapp 1,5 Milliarden Euro. Liegt der Fokus auch deshalb nicht so auf ihr, weil sie aus vielen kleineren Unternehmen und Soloselbstständigen besteht?
Es stimmt, was die ganze Eventbranche erwirtschaftet, liegt knapp unter der Automobilindustrie mit allen Zulieferern. Aber all die Soloselbstständigen haben ja zum Bespiel keine Betriebsausgaben und sind durch das Netz gefallen. Die haben es wirklich schwer und müssen sehr kämpfen. Ich kennen einige, die sehr verzweifelt sind. Die Kulturbranche ist sehr personalintensiv, gerade das macht sie ja so sympathisch. Ford ist natürlich auch wichtig für die Arbeitsplätze, aber nicht mehr lange. So eine Fabrik kann auch fast ohne Menschen produzieren. Für die Kulturbranche und die Gastronomie gilt das nicht. Man möchte nicht vom Roboter bedient werden. Und genau diese Branchen werden jetzt bestraft durch den Lockdown.
Sie verstehen also, dass der Frust groß ist bei vielen Kulturschaffenden?
Ja, natürlich. Viele Theater haben aufwendig umgebaut, wie zum Beispiel die Volksbühne, die eine Anlage eingebaut hat, die in kurzer Zeit fast alle Viren aus der Luft filtert. Das sind Räume, in denen man sicherer ist als im normalen Leben. Ich würde mir wünschen, dass so alle Theater umgebaut würden, damit die Leute sich dort sicher fühlen. Das kann man schaffen. Nur die ganz kleinen Theater haben da Schwierigkeiten.
Wie kann man denen helfen?
Die Stadt müsste sagen, wir haben genug große Räume, etwa in der Messe oder im Tanzbrunnen, die wir kleinen Theatern zur Verfügung stellen. Die können da ihre Veranstaltungen machen und dann könnten dort auch mit der 20-Prozent-Regel so viele Leute sitzen, wie normalerweise im Atelier-Theater oder im Senftöpfchen. Das sollte die Stadt nun während des Lockdowns angehen. Dann müsste man die Theater auch gar nicht bezuschussen, weil sie weiter arbeiten könnten.
Haben Sie noch andere Ideen?
In Dortmund zum Beispiel hat ein Veranstalter, der sonst immer in einem Zelt den Sommer über Comedy-, Kabarett-, und Musik-Veranstaltungen macht, die tolle Idee gehabt, in eine alte Fabrikhalle ein Bierzelt zu setzen. Das hatte aber keine Plane, sondern es stand nur das Gestänge, das mit Lichterketten umwickelt war. Man hatte das Gefühl, man sitzt in einem kleinen Raum mit niedriger Decke, saß aber eigentlich in einer riesigen Halle. Das wurde super angenommen von den Leuten. In Köln gäbe es solche Hallen auch.
Es wäre mehr möglich in Köln?
Wenn man alle Möglichkeiten auslotet und schaut, was geht, dann könnte man den Kulturbetrieb wieder hochfahren. Ich glaube nicht, dass ein Virus die Kultur kaputt machen kann, dafür ist sie viel zu kreativ. Wenn man diese Kreativität nutzt, kann Kultur sicherer sein als das Alltagsleben. Und die Besucher liegen sich ja nun auch nicht besoffen in den Armen.
Apropos besoffen in den Armen liegen. Wie schwer wird Köln der Verzicht auf den Karneval fallen?
Ich glaube, den 11.11. schafft man. Aber die ganze Session ist natürlich für Köln schwer. Ich habe lange darüber nachgedacht, wie es vielleicht doch gehen könnte. Es gibt ja jetzt auch Schnelltests. Vielleicht gingen ja doch Veranstaltungen irgendwie, wenn dann alle getestet sind, aber ganz zu Ende gedacht habe ich das noch nicht. Man könnte den Karneval natürlich auch verschieben. Ich bin zwar eigentlich gegen „Jeck im Sunnesching“, aber einmal könnte man die fünf Tage in den Sommer verlegen. Verzicht ist leichter, wenn man weiß, es kommt doch noch etwas, worauf man sich freuen kann. Der Psychohaushalt der Kölner Seele gerät sonst schon sehr durcheinander.
Wie haben Sie denn persönlich als Künstler auf der Bühne die letzte Zeit erlebt?
Die ersten Auftritte nach dem Lockdown waren in Autokinos. Ich fand das schön, denn die Leute waren total happy. Und dann kamen die Auftritte in den Theatern vor weniger Leuten, aber das war dennoch super. Diejenigen, die da waren, waren glücklich, dass wieder etwas möglich ist. Ich habe dann auch oft zweimal gespielt, erst für die eine, dann für die andere Hälfte. Das macht man ja gerne, weil man spürt, wie gut das dem Publikum tut. Ich war auch beeindruckt von dem Musical „Himmel & Kölle“ in der Volksbühne. Da saßen nur 80 Leute und mit Bühne, Band und Technikern waren da bestimmt 25 Leute aktiv. Allein dieser Personalschlüssel zeigt das enorme Engagement und die Leidenschaft der Branche. Wie die Kulturschaffenden quasi jeden einzelnen mental auf dem Schoß sitzen haben, finde ich fast schon rührend. Deshalb weiß ich auch, dass es direkt weitergeht, wenn der Lockdown vorbei ist. Wir sollten alles tun um uns nicht mit dem Virus anzustecken, wohl aber mit Humor, Anmut und Lebensfreude.