AboAbonnieren

KiWi-Verlegerin Gleba„Feministische Debatte hat durch MeToo neuen Drive bekommen“

Lesezeit 6 Minuten
20122018_IVKerstinGleba_09

Kerstin Gleba

  1. Kerstin Gleba ist neue Verlegerische Geschäftsführerin des Verlags Kiepenheuer & Witsch in Köln.
  2. Sie tritt die Nachfolge von Helge Malchow an, der als Editor at large für den Verlag tätig sein wird.
  3. Nach dem Verlagsgründer Joseph Caspar Witsch sowie den Verlegern Reinhold Neven DuMont und Helge Malchow ist sie die erste Frau auf diesem Posten im Verlag.

KölnFrau Gleba, seit Jahresbeginn sind Sie Verlegerin von Kiepenheuer & Witsch – wie ist Ihre Stimmungslage?

Ich bin erfüllt von Freude und Dankbarkeit, auch von Respekt vor der Aufgabe, und vor allem spüre ich viel Energie. Das große Glück für mich ist, dass Helge Malchow in veränderter Funktion dem Verlag verbunden bleibt. Es ist sicher ein großes Kapital, dass Kiepenheuer & Witsch so stabil ist und nach 68 Jahren erst den dritten Wechsel an der Spitze vollzieht. Ich konnte ja auch schon eine Weile das Programm mitgestalten, da ich seit 23 Jahren bei Kiepenheuer & Witsch bin, so dass das jetzt ein sehr organischer Übergang ist.

Wie sind Sie in den Verlag gekommen?

Bereits als Studentin hatte ich als Volontärin den ersten Kontakt. Was mir damals bei der Teilnahme an den Lektoratskonferenzen klar wurde: Welch gesellschaftspolitische und literarische Impulse ein Verlag geben kann. Es wurde sehr intensiv diskutiert, damals noch unter der Leitung von Reinhold Neven Du Mont.

Bald wusste ich: Das will ich eines Tages beruflich machen. Ich habe dann erst einmal zu Ende studiert, an einem Freitagabend mein Examen gemacht und am darauffolgenden Montag im Verlag mit einer Elternzeit-Vertretung begonnen. Da fing ich dann endgültig Feuer.

Es ist erst der dritte Wechsel an der Spitze, aber es ist das erste Mal, dass eine Frau ganz oben steht. Ist das für Sie etwas Besonderes?

Ja, das bedeutet mir etwas. Vergessen Sie nicht, wir verlegen seit vielen Jahren mit großem Engagement die Bücher von Alice Schwarzer. Die feministische Debatte hat ja jüngst, ausgelöst durch MeToo, einen neuen Drive bekommen. Margarete Stokowski fasst das in ihrem aktuellen Buch „Die letzten Tage des Patriarchats“ schön zusammen: Durch die Debatte habe man bemerkt, welchen Mist man die ganze Zeit über gefressen habe.

Verhaltensweise und Denkstrukturen, die man bislang individuell betrachtet hat, bekommen jetzt einen Rahmen. Der Blick ist geschärft. Das ist ein historischer Moment: Ich denke, es verändert sich etwas in der Gesellschaft. Als ich zu Kiepenheuer & Witsch kam, war mein Literaturkanon hauptsächlich männlich geprägt – durch Schule und Uni. Daher hatte ich meinen Fokus im Verlag immer darauf gerichtet, neben unseren vielen guten Autoren auch verstärkt Autorinnen ins Programm zu nehmen.

Und welche Dimension hat die MeToo-Debatte im Buchhandel ganz allgemein?

Bislang sind keine großen Skandale sichtbar geworden. Ich glaube, dass die Branche die Diskussion gerade als Referenzrahmen nutzt, um systematisch Strukturen zu überdenken. Dass der Literaturbetrieb in seinen frühen Nachkriegsjahren patriarchalisch geprägt war, auch noch als ich angefangen habe, kann man wohl sagen. Ich merke, dass selbst viele Männer froh sind, dass jetzt darüber gesprochen wird. Aber Skandalträchtiges erwarte ich nicht.

Wenn Sie ein Grundgesetz für Ihren Verlag formulieren müssten, was gehörte zwingend da hinein?

Die Bücher, die wir machen, sind notwendig, sie sind nicht austauschbar und greifen ein in die literarische und gesellschaftliche Debatte. Unsere Bücher sollen dazu beitragen, dass unsere Gesellschaft eine aufgeklärte, freiheitliche und pluralistische ist. Wir sind ein mutiger, risikobereiter und verlässlicher Autorenverlag. Anders als in den Online-Debatten, wo es immer um eine Schlagzeile geht, setzen wir auf Vertiefung und Kontinuität. Wir wählen sehr gewissenhaft die Titel aus und setzen uns dann mit 150 Prozent für sie ein.

Wer neu beginnt, wird meist mit der Frage konfrontiert, was denn nun anders werde. Was können Sie dazu sagen?

Den Anspruch an „die neuen Besen“ kenne ich natürlich. Aber ich bin in der privilegierten Lage, das Programm seit vielen Jahren mitgestaltet zu haben. Es wäre also absolut unglaubwürdig, würde ich jetzt sagen, ich mache alles anders – denn dann hätte ich die letzten Jahre verschlafen. Ich will unsere bisherige Arbeit in die Zukunft tragen. Da wird es allerdings einige neue Akzente geben. Der Blick auf Autorinnen wird noch intensiver werden. So veröffentlichen wir im neuen Programm den Roman „GRM“ von Sibylle Berg, die nicht nur eine große literarische Autorin, sondern auch ausgesprochene Feministin ist, oder das erste Buch der „Twitterkönigin“ und EinsLive-Moderatorin Sophie Passmann mit dem Titel „Alte weiße Männer“.

Es wird im Herbst ein neues Programm-Segment geben, über das ich aber noch nicht sprechen kann – das wird sehr kiwi-like sein. Und wir prüfen neue Arbeitsformen, damit der Input des hoch engagierten Teams, das aus mittlerweile 80 Personen besteht, noch besser berücksichtigt werden kann.

Ist dies eine neue Handschrift für den Verlag?

So möchte ich es nicht nennen. Es geht mir um eine gute Balance zwischen Vorhandenem und Neuem. Kiepenheuer & Witsch ist ein extrem erfolgreicher Verlag, was sehr viel mit der Kontinuität in der Zusammenarbeit mit den Autoren zu tun hat. Darauf bauen wir auf.

Es gibt neue Umfragen, wonach die Zahl der Buchkäufer rückläufig sei. Wie kann ein Verlag darauf reagieren?

Noch besser werden. Im Bereich der austauschbaren Unterhaltung ist die Konkurrenz sicher besonders groß. Diese Angebote sind womöglich leichter als andere durch Netflix-Produktionen zu ersetzen . Wir aber bieten besondere Bücher. Dem Verlag geht es sehr gut. Aber natürlich – mit dem Kauf- und Leseverhalten müssen wir uns auseinandersetzen. Eine große Aufgabe ist es, jüngere Menschen für das Buch zu begeistern.

Spielt das E-Book, von dem man hierzulande viel erwartet hatte, noch eine besondere Rolle?

Das ist weiterhin eine attraktive Abspielform. Aber die Sorge, dass das E-Book das physische Buch abschaffe, ist verflogen. Im Gegenteil: Die Bücher werden noch schöner und noch sorgfältiger hergestellt. Das E-Book ist keine Bedrohung.

Bleibt der Verlag in Köln?

Auf jeden Fall. Ich habe zuletzt mehrfach darüber nachgedacht, wie sehr der Verlag doch in der Stadt verankert ist. Ich finde, dass Köln eine sehr lebendige und liebenswürdige Stadt ist. Es immer leicht in das Horn zu stoßen, was alles nicht läuft, und Anlässe gibt es genug. Auch in der Kultur. Aber wir haben eine tolle Museumslandschaft, eine sehr vitale Musikszene mit vielen Abspielstätten, das Theater ist seit Karin Beier anders in der Stadt angekommen.

Wir haben so viele interessante kulturelle Aktivitäten von in Köln produzierten Sendeformaten wie die Show eines Jan Böhmermann bis hin zum Cinepänz-Festival. Und es freut mich sehr, dass sich die Literaturszene noch einmal neu formiert hat. Bettina Fischer macht als Leiterin des Literaturhauses mit ihrem Team eine hervorragende Arbeit. Dann ist da die lit.Cologne mit ihrer großen Ausstrahlung, international und in die Stadt hinein. Und jetzt hat sich auch noch die „Literaturszene Köln e.V.“ gegründet, worin wir uns engagieren. Der Verein plant für den 4. Mai 2019 die „1. Kölner Literaturnacht“. Es gibt den Schreibraum, das Dieter-Wellershoff-Stipendium, den Heinrich-Böll-Preis. Ich spüre in der Stadt den Willen, der Kultur eine erhöhte Aufmerksamkeit zu verschaffen.

Zum Abschluss noch einmal zum Anfang: Gab es ein Buch am Beginn ihrer Lese-Karriere, das Sie besonders beeindruckt hat?

Da gibt es natürlich viele Bücher. Aber der Umschlag zum systematischen Lesen kam mit 15, als ich Max Frischs „Stiller“ las. Dann sehr schnell auch Heinrich Böll. Diese beiden waren meine großen Götter. Bei Böll fand ich auch die Rolle, die er im politischen Diskurs spielte, wahnsinnig wichtig. Das hat mir die Augen geöffnet. Meine Abschlussarbeit an der Uni habe ich dann über Don DeLillo und E. L. Doctorow geschrieben. Das waren meine Helden. Und DeLillo ist ein Herzensautor bis heute. Kleiner Gruß nach Stockholm: Der muss unbedingt den Nobelpreis bekommen.